Das C/O Berlin im alten Postfuhramt in Mitte ist heute einer der interessantesten Orte für große Fotokunst. Zu Besuch bei Kulturunternehmer Stephan Erfurt.
Das Postfuhramt in der Oranienburger Straße wird gerade geöffnet, da warten schon drei Italiener und wollen sich die Porträts von Wowereit anschauen. Zwei junge Berliner folgen, dann kommt ein einzelner Herr. Und am Abend wackeln die Wände. Zu Gast im Haus ist das Studio Babelsberg mit prominenten Gästen zur Vernissage „The International“. Erstmals werden Fotografien des Filmproduzenten Lloyd Phillips (u.a. Twelve Monkeys, „Vertical Limit“, „Auf Messers Schneide“) ausgestellt. Das Postfuhramt ist ein Publikumsmagnet. 80 000 Menschen besuchten allein 2008 die Ausstellungen des „C/O Berlin – Internationales Forum für visuelle Dialoge“. Sie kommen, um hochkarätige Fotografieausstellungen zu erleben. Berlin-Exotik und Hochglanz. Beides zusammen sendet die Lockstoffe aus, die ein internationales Publikum anziehen.
Stephan Erfurt, 51, ist der Spiritus Rector und derzeitige Hausherr und spricht von einem großen Glück, hier gemeinsam mit dem Architekten Ingo Pott und dem Designer Marc Naroska ein Fotozentrum realisieren zu können. Erfurt ist Fotograf und war von 1984 bis 2000 für das FAZ-Magazin tätig. Es waren die goldenen Jahre der Magazin-Kultur, Geld und Platz für große Fotostrecken. Glück ist, wenn man ausreichend abbekommen hat, ein Bodenschatz, mit dem man dann das ganze Leben hindurch wuchern kann. So klingt es bei Stephan Erfurt, der, so sagt er, „einfach Glück hatte, so früh und erfolgreich in seinen Beruf eingestiegen zu sein“. Weil er „diese Riesenzeit“ erleben durfte, will er etwas davon zurückgeben: Einen Ausstellungsort für die Magazin-Fotografen-Generation der Achtziger, dazu eine Talenteschmiede für Kinder und Jugendliche, für Absolventen der Hochschulen wiederum eine eigene Plattform. Nachdem das FAZ-Magazin eingestellt worden war, so sagt er, „haben wir unsere Familie, unsere Heimat verloren“. Ein Schock. „Aber für mich war es dann auch ein Glück.“ Nun begann etwas Neues: Das „C/O Berlin“. Die Abkürzung von Care off (per Adresse) erinnert an den einstigen Postzustellungsbetrieb. Es ist Stephan Erfurts zweite Leidenschaft. Die erste Ausstellung war die Magnum-Schau „Zehn Jahre Mauerfall“, 2002. Ein großer Erfolg. Inspirierende Begegnungen mit Fotografen wie René Burri etwa oder James Nachtwey motivierten zum Weitermachen. Das C/O ist keine Galerie, es wird nichts verkauft, es ist auch kein Museum, sondern ein aus bürgerschaftlichem Engagement hervorgegangenes Kulturinstitut, dessen inhaltliche Freiheit mit einem klugen Finanzierungsmodell abgefangen wird: Eintrittsgelder, Verein, Projekt-Service, Vermietung, Sponsoring – die Frankfurter Börse mit eigener Fotosammlung als wichtigem Unterstützer. Erstmals wurden 2008 schwarze Zahlen geschrieben. „Wir wissen jetzt, wie es funktioniert, dass unsere Idee aufgeht.“ Mit der Selbstgewissheit ist auch der Spaßfaktor eingezogen. „Es sei ein Glück, das hier machen zu können mit so einem tollen Team.“
Stephan Erfurt erinnert ein bisschen an Uwe Ochsenknecht: weiche Züge, ein offenes Gesicht, in dem sich Konzentration und Wille spiegeln. Es sitzt einem kein Fünfzigjähriger gegenüber, sondern ein Grenzgänger zwischen den Altern und Lebensstilen. Der Wuppertaler Industriellensohn, der Kosmopolit, der sensible Fotograf, der Abenteurer und engagierte Promoter mit pädagogischer Ader. Die Kamera entdeckte Stephan Erfurt für sich in Paris. „Man greift zur Kamera, um einen Begleiter zu haben, wenn man allein unterwegs ist“, sagt er. Und: „Ich begann mit der Kamera zu sprechen.“ Da ging es auch gleich los. Die „Trommler vom Montparnasse“ hieß seine erste Reihe zum Vorzeigen. Nach dem Studium in Essen ließ er sich von New York locken und entdeckte die Nächte, das Leben. Er lernte Hans Namuth, den Künstlerfotografen, und andere Größen kennen. Wieder zurück, bewirbt er sich mit einer Arbeit zu Max Frischs „Das Leben als Mann“ in Frankfurt. Er bereist Amerika, Russland, die Ukraine, fotografiert Schriftsteller und ihre Städte und sagt: „Die große Herausforderung bestand darin, dass alles möglich war. Die Grenze war nur in einem selbst.“ Das war der Antrieb: Bilder zu zeigen, welche die Leser überraschen konnten, und eigene Vorlieben zu entwickeln. Eine Leidenschaft galt dem Zwielicht etwa in Las Vegas, um die Traumwelt fühlbar zu machen. Dieses Changieren von Violett, Grün zu Erdbeersoßenhimmel, die Zeit vor dem Sonnenaufgang und dazu die kalte Künstlichkeit der Straßenbeleuchtung. Für das Berliner Bildgedächtnis hat Stephan Erfurt zum Schluss den Reichstag aus dem Helikopter fotografiert.
Aus seinem Büro blickt man auf eine Brandmauer mit Einschusslöchern, schwarze Ziegel, daneben urbanes Wohnen. Der Blick inspiriert. Nicht nur Fotografen, auch Investoren. Wie lange das Postfuhramt ein Ort der Kunst bleibt, ist ungewiss, aber zur Vision gehören zwei Glashallen für die Fotografie im Innenhof, von dem aus einst die Pferde die Post austrugen. Zur Vision gehört auch ein neues Projekt: Teens-Förderung von Jugendlichen in ihren Wohngebieten, Wedding oder Neukölln, Ausstellungen dort, wohin auch die Eltern gucken kommen. Im Alltag geht’s erst mal weiter mit Prominenz: Derzeit läuft die Schau mit Fotos von Annie Leibovitz.
Anita Wünschmann