Hat das Automobil als universelles Fortbewegungsmittel wesentlich die Moderne geprägt, wird zukünftig nun die Digitalisierung das Auto selbst verändern, ihm eine neue Bedeutung geben. „Autos werden zu einem mobilen Zuhause, im besten Sinne des Wortes. Regelrechte Schutzräume, in denen die Menschen ihren Wünschen und Bedürfnissen nachgehen können“, so Daimler-Chef Dieter Zetsche zu Beginn des Jahres. Er drückte damit aus, woran die wichtigsten Autokonzerne derzeit arbeiten: das Auto zum neuen Lebensraum umzugestalten. Sichtbar wird dies vor allem am zukünftigen Fahrerarbeitsplatz, der von einem virtuellen Cockpit dominiert wird und mit Hilfe eines übergroßen Panoramadisplays alle Dienste und Apps bereithält, die für die Generation Smartphone selbstverständlich sein werden: Infotainment, Navigation, Medien, Texte-eingabe, Videokommunikation während der Fahrt u.a.m. Letzteres unter Zuhilfenahme des Autopiloten, der rechtzeitig signalisiert, wann der Fahrer wieder steuernd übernehmen soll. Dabei flimmert die brillante AMOLED-Technik (Active Matrix Organic Light Emitting Diodes) wie in einem Raumschiff. Auch im Auto im Cyberspace surfen, soziale Medien nutzen, das Fah-ren zeitweise dem Computer überlassen und alles mit Gesten steuern, so soll der neue Lebensraum Auto in wenigen Jahren aussehen.
Einen Vorgeschmack vermittelt VW mit dem BUDD-e, ein futuristisch anmutender „Bulli“, dessen Serienstart für 2019 geplant ist. Er wird elektrisch angetrieben mit einer Reichweite von etwa fünfhundert Kilometern. Der neue Lebensraum offenbart sich aber innen. Anstelle von Knöpfen oder Schalthebeln prangt ein durchgehendes, fast umlaufendes Tablet vor dem Fahrer, an der Seitenwand ein 34 Zoll großer Bildschirm mit Zugang zum Internet. Gesten und Wischbewegungen ersetzen konventionelles Handling und Befehlseingabe. Drehbare Lounge-Sitze sorgen für Bequemlichkeit.
Andere Autokonzerne und Zulieferer gehen noch weiter. Mercedes kündigt für die neue E-Klasse einen Autopiloten an, der automatisch lenkt, beschleunigt und bremst. Außerdem soll die neue E-Klasse mit anderen Autos kommunizieren können. Volvo-Fahrer können bald über das Hightech-Armband Microsoft Band 2 ihrem Auto Befehle erteilen, beispielsweise um das Navi einzustellen, die Scheinwerfer aufzublenden oder die Türen zu schließen. Bosch will 2018 vollautomatisiertes Einparken ermöglichen. Bereits in diesem Jahr präsentierte der Autozulieferer einen Touchscreen mit haptischem Feedback. Die Tasten darauf fühlen sich wie echte Knöpfe an, wodurch die Bedienung ohne hinzusehen möglich ist. Und Continental stellte das Bedienkonzept „eHorizont“ vor, das mit Daten aus der Cloud Aussagen über die vorausliegende Strecke machen kann. So wird der Kraftstoffverbrauch gesenkt und die Fahrsicherheit erhöht.
Bereits 2016 will Audi ein solches, jetzt noch futuristisch anmutendes Cockpit im künftigen A8 präsentieren. Voll vernetztes und hoch automatisiertes Fahren ist zwar ein weitgesetztes Ziel der Autokonzerne. Doch solange der Fahrer nach derzeitiger Rechtssprechung seinen Blick nur für wenige Sekunden von der Straße abwenden darf, wird es für das autonome Fahren enge Grenzen geben. Vorerst genügt, das Lenkrad smarter zu machen. Das zumindest demonstrierte eine Firma auf der CES Anfang Januar: Eine spezielle Lenkrad-Hülle „überwacht“, ob die Hände am Steuer sind, nimmt aber auch andere Befehle entgegen.
Limitierter Leichtbau-Elfer
R wie Racing, der Porsche 911 R mit Erinnerungsaccessoires [Foto: Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG]
Es ist die magische Zahl „911“ und sie ist mit einer Stückzahl verbunden. Nur 991 Stück, besser Einheiten, des neuen Porsche 911 R werden ab Mai ausgeliefert. Für Porsche ist das limitierte Sondermodell eine Hommage an das historische Vorbild, den Rennsportwagen aus dem Jahr 1967, wobei das „R“ selbstredend damals wie heute für Racing steht. An den Vorgänger sollen aber auch die roten oder grünen Streifen über der Karosserie erinnern und die Schalensitze mit Pepita-Karo-Muster. Die sind allerdings aus Karbon, wie auch Fronthaube und die Kotflügel, Indizien für den neuzeitlichen Materialeinsatz. Andere Karosserieteile sind aus Magnesium und Kunststoff gefertigt, sodass der neue 911 R gerademal 1 370 Kilogramm wiegt. Einen leichteren Neunelfer gab es noch nie zuvor. Aber dem fantastischen Gewicht mussten die Ingenieure auch weitere Opfer bringen: Es fehlen sowohl eine Audioanlage als auch eine Klimaanlage und andere übliche Extras, und eine Rückbank sucht man vergebens. Dafür ist das Sondermodell wieder die reine Sportversion und begeistert jene Puristen, die sich mit den neuerdings Downsizing-Turbomotoren nicht so recht anfreunden können. So übertrifft der neue Neunelfer R noch die beiden Sportversionen GT3 und GT3 RS, von Letzterem er allerdings den 500 PS starken Sechszylinder-Saugmotor kopiert hat. Mit schließlich 3,8 Sekunden von Null auf Tempo 100 und einer Spitzengeschwindigkeit von 323 Kilometern pro Stunde lässt diese „Fahrmaschine in Reinkultur“ dann aber auch jeden Porschezweifler verstummen.
Rein äußerlich wäre er ohne die genannten Erinnerungsaccessoires kaum als solcher zu erkennen. Allenfalls an den Carbon-Zierleisten auf der Beifahrerseite und der Plakette mit der limitierten Stückzahl. Das Publikum auf dem Genfer Autosalon erkannte im neuen 911 R am ehesten einen konventionellen Carrera. Doch die potenzielle Fangemeinde hatte längst zugeschlagen: Alle 991 Exemplare sollen bereits ihre Käufer gefunden haben.
Genf in SUV-Laune
Borgward BX5 [Foto: 2015 BORGWARD GROUP AG]
Beim 86. Autosalon fanden schnittige Sportwagen wie Fahrzeuge mit echtem Nutzwert viel Anklang. Hatte das Messepublikum möglicherweise in diesem Jahr besonders innovative und vor allem zukunftsorientierte Modelle auf dem Genfer Autosalon erwartet, entsprach das Bild wiederum ganz der gewohnten Inszenierung: extravagant, sportlich, leistungsstark.
Dennoch musste diesmal ein neuartiges Adjektiv dazugesetzt werden: „SUVisierend“. Denn neben den Showcars nahmen etliche SUV-Modelle großen Raum ein und bezeugten so auch in Genf, dass die Autokonzerne nach wie vor das Segment ihrer sportlichen Geländewagen getreu der anhaltenden Nachfrage allerorten ausbauen. Mittlerweile werden in Europa mehr SUVs und Mini-SUVs als Kleinwagen verkauft. So ließ beispielsweise der VW-Konzern mit all seinen Töchtern keinen Zweifel daran, weiterhin am SUV-Boom teilhaben zu wollen. Skoda präsentierte den neuen Vision S, Seat als Weltpremiere den Atica und Audi schlug neben dem neuen Q2 mit dem Hochleistungs-SUV RS Q3 alle Rekorde in puncto Leistung, Geschwindigkeit und Lifestyle.
Angesichts der SUV-Euphorie wunderte es kaum, dass sogar Maserati mit dem Levante sein erstes SUV-Modell präsentierte und Borgward, die wiedererwachte legendäre Automarke, nun mit ihrem zweiten SUV diesen lukrativen Markt bereichern will. Nach dem BX7, den Borgward im vergangenen Jahr vorstellte, soll der kleinere BX5 auch nach Deutschland kommen, allerdings ausschließlich als Elektro-Version, rein elektrisch oder als Plug-in-Hybrid.
Bei BMW war in Genf nicht zu übersehen, dass es dem Münchner Autokonzern zukünftig um die Ausweitung der Oberklasse gehen wird. Luxusmodelle für den chinesischen und US-Markt sollen dabei eine entscheidende Rolle spielen. Dafür stand stellvertretend der BMW M 760 Li xDrive, das Top-Modell der 7er-Baureihe mit beeindruckender Ansage: 6,6-Liter-Twinturbo-12-Zylindermotor, 600 PS, 3,9 Sekunden von Null auf Tempo 100.
Spektakulär, leistungsstark und sportlich traten natürlich die einschlägigen Sportwagenschmieden auf, derentwegen viele Besucher überhaupt zum Genfer Autosalon kommen: Jaguar mit dem F-Type SVR, dem wohl bislang schnellsten und leis-tungsstärksten F-Type, Ferrari mit dem GTC4 Lusso, als Nachfolger des FF, Lexus mit einer Europapremiere, dem LC 500 h und Porsche mit dem 718 Boxter. Neu ist bei Porsche der Motor mit 300 PS bzw. 350 beim Boxter S, aber nur vier Zylindern und damit weniger CO2-Ausstoß. Im April war Verkaufsstart mit Preisen ab rund 54 000 Euro.
Natürlich stellten sich die Besucher beim Bugatti Chiron die Sinnfrage. Als Nachfolger des Veyron sind es nun unglaubliche 1 500 PS, die diesen Supersportwagen antreiben. Dagegen wirkten die 750 PS des Lamborghini Centenario oder die 675 PS des offenen McLaren 675LT Spider fast bescheiden.
Opel machte beispielsweise mit dem Opel GT Concept deutlich, zukünftig sportlichen Formen mehr Raum zu geben, um damit neue Käuferschichten anzusprechen. Die Sportwagenstudie RX-Vision von Mazda verfolgt das gleiche Ziel und der französische PSA-Konzern beeindruckte mit der DS-Studie E-Tense.
Volvo kam nach Genf, um der Autowelt zu demonstrieren, dass der Kombi nach skandinavischer Lesart durchaus eine Zukunft hat, und zwar traditionell auf hohem Sicherheitsniveau. Dafür sorgen beim neuen V90 etliche Assis-tenzsysteme. Sogar ein Notbremsassis-tent ist an Bord. Marktstart für den neuen Kombi ist im Sommer, zum Jahresende folgt dann noch ein Plug-in-Hybridmodell mit 407 PS und 50 Kilometer Reichweite rein elektrisch.
So eröffnete der mittlerweile 86. Autosalon in Genf das europäische Auto-Messe-Jahr mit vielen Neuheiten und Premieren und setzte nicht zuletzt neue Sportwagen-Maßstäbe. Neben den extravaganten Showcars und faszinierenden Designstudien galt das Interesse der Besucher aber durchaus auch den Autos mit Nutzwert, die in diesem Jahr einen relativ großen Raum einnahmen.
Reinhard Wahren