Viele Berliner bekommen immer noch glänzende Augen, wenn sie an das erste Sommermärchen im wiedervereinigten Berlin 1995 zurückdenken. Es waren magische 14 Tage und Nächte, als Christo und Jeanne-Claude den auf den Umzug von Parlament und Regierung aus Bonn noch wartenden Reichstag silbernglänzend verhüllten. 24 Jahre hatte es gedauert von der ersten Idee bis zur Verwirklichung.
Sogar mehr als vier Jahrzehnte brauchte die Realisierung der Floating Piers. Ursprünglich für den Rio de la Plata in Argentinien, dann für eine Bucht an Japans Küste geplant, konnte Christo – inzwischen Witwer und 81 Jahre jung – seinen kühnen Plan, Menschen förmlich übers Wasser laufen zu lassen, jetzt auf dem norditalienischen Lago d’Iseo realisieren. Für 16 Tage und Nächte wurde der sonst eher verschlafene See in den Voralpen bei Bergamo zu einer Pilgerstätte für Christo-Jünger aus aller Welt: statt der erwarteten 500 000 Besucher spazierten über 1,2 Millionen faszinierte Menschen über die rund viereinhalb Kilometer langen goldfarbenen Floating Piers zwischen dem Festland, der großen Insel Monte Isola und dem Privatinselchen des Waffenschmiede-Clans Beretta.
Wolfgang Weber