Mit Urbanisierung, Pendelarbeitsplätzen, Erasmusjahr und anderen Anforderungen an moderne Nomaden, ihr Hab und Gut, das bisschen Kram, einzupacken und woanders wieder aus, wächst der Bedarf an flexiblen Möbeln.
Der Klappstuhl ist regelrecht ein Synonym für flexible Möbel. Auch das Klappbett und der Ausziehtisch oder das Klappsofa, das sich zum Bett verwandeln lässt. Als Klassiker für Funktionswechsel in kleinen Räumen gilt der Sekretär, der mit hochstellbarer Front platzsparend an der Wand stand und Ruhe ausstrahlte, bis sein Benutzer den Schlüssel drehte, die Türfassade auf Arbeitstischhöhe herunterließ, die Scharniere einrasteten, Stabilität hergestellt war und der Benutzer sich in die häusliche Büroarbeit vertiefen konnte.
Offenbar ist Flexibilität keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Vom Gewicht aber waren die Vielkönner zumeist Kolosse. Die neuen flexiblen Möbel, egal ob Bett, Stuhl oder Tisch, sind leicht, fantasievoll und praktisch. Ganze Wohnräume lassen sich zusammenpacken. Bis an die Grenzen geht die Chinesin Naihan Li mit ihrer Serie „Crate“. Ein komplexes Raumprogramm – Küche und Garderobe oder Sofasessel im Zweierverbund und Fernsehecke, Homeoffice und Spielnische finden Platz in Reisekisten aus Sperrholz. Oder besser, sie sind integrierte Bestandteile der Transportboxen und können überall, vor allem eben auch in Katastrophengebieten, für ein Mindest-Wohngefühl sorgen. Mit Urbanisierung, Pendelarbeitsplätzen, Erasmusjahr und anderen Anforderungen an moderne Nomaden, ihr Hab und Gut, das bisschen Kram, einzupacken und woanders wieder aus, wächst der Bedarf an flexiblen Möbeln sprunghaft. Messen, Mietpreise und erst recht Unterkünfte für Flüchtende machen es darüber hinaus notwendig, über handhabbare, mobile Möbel nachzudenken, die noch einfacher zusammenzubauen sind als Billy von Ikea. Flügelschrauben, Magnet- und Steckverbindungen, Scharniere und Faltkonstruktionen gehören zum technischen Know-how der flexiblen Möbel, die ohne Werkzeug in Position gebracht werden können und sei es aus Lust an Variation und Spiel. Nachhaltigkeit und Schönheit sollen eine optimale Symbiose eingehen; auch das eine Anforderung an die neuen Flexiblen.
Die Berliner Startup-Lieblinge von „Room in a Box“, haben sich fokussiert auf den Trend der mobilen Möbel, die man um die Welt schicken kann. Ihre preisgekrönten Kreationen – Schreibtisch, Regal und Hocker – können online bestellt werden. Auch das mit dem Berliner Crowdfunding-Award prämierte Bett kommt als Schachtel per Post ins Haus. Die komplett aus Wellpappe hergestellte, zusammenfaltbare Liegestatt mit ihrem Zieharmonikaunterbau in variablen Maßen ist ein Leichtgewicht von max. 8,5 Kilogramm. Ein Bett leichter als ein Wassereimer! Lionel Palm, Gründungsinitiator im dreiköpfigen Team mit Gerald Dissen, beide Wirtschaftswissenschaftler, und Christian Hilse, Verpackungstechnik, hat vor Beginn des Studiums acht Monate im Controlling der Wellpappenwerke Carl Eichhorn KG in Kirchberg gearbeitet und damit seinen Blickwinkel fokussiert.
Ein Papphocker neben dem Piano. Leicht neben schwer ergibt schon mal einen respektablen Mittelwert für einen Umzugstransport und sieht auch originell aus.
Pappe comes back! Etwa mit dem ausziehbaren Pappsofa von Flexible Love (2010). Hans-Peter Stange hat schon in den Achtzigern mit dem Verpackungswerkstoff experimentiert und seinen ersten Hocker aus Pappe kreiert. Sein Unternehmen in Tempelhof stellt inzwischen eine große Produktpalette vom Bett bis zum Spielobjekt her, und seine Frau, Mechthild Kotzurek-Stange, sagt: „Wir haben als Studenten angefangen, uns über transportable, bezahlbare Möbel Gedanken zu machen. Als wir Platz für die Legosteine der Kinder brauchten, kam zum Hocker eben das Regal mit Schubkästen. Es hat sich alles logisch entwickelt.“
Wellpappe ist das Abfallprodukt aus dem immens anwachsenden Logistikbereich. Transnationale Rücktransporte oder selbst Recycling sind längst teurer als Upcycling, die Neuinterpretation und Neuverwendung. Seit den Sechzigern haben sich Designer mit dem industriellen Werkstoff befasst, der auch im Modellbau eine Rolle spielte. Erfolg aber ließ sich erst zehn bis zwanzig Jahre später verbuchen. 1971 entwickelte der US-Architekt Frank O. Gehry den Pappsessel „Wiggle Side Chair“, Bestandteil der Serie „Ease Edges“. Das wellenförmige Sitzobjekt avancierte umgehend zur Berühmtheit. Die beiden Brasilianer Fernando und Humberto Campana, bekannt für Plüschtier Upcycling, haben neben Möbeln aus Sperrholzschnipseln auch Sessel aus Pappe vorgestellt. Die Armutskreationen ihres Heimatlandes, die Blech- und Wellpappebehausungen der Favelas, inspirierten zum kritischen Design. Die Wellpappe-Pioniere schufen leichte dabei aber ausladende skulpturale Möbel und ließen schon mal weißen Rauch hinsichtlich der Ökodebatte aufsteigen. Die Anforderung heute geht noch einen Schritt weiter: Mehrfachfunktion, minimale Volumen, gestalterische Qualität ohne die Attitüde des Artefakts bestimmen die Experimente mit Pappe, Sperrholz, Plastik und Co. Drei-D-Drucker, bzw. Flachbettschneideplotter, erlauben raffinierte Lösungen und schnelle Herstellung.
Alles aus Pappe bedeutete lange Zeit fade Farbe. Fade Farbe des Holzfasermaterials war allerdings die ästhetische Schwester des Béton Brut, dem Grau des ehrlichen unverhüllten Bauwerkstoffes. Inzwischen gilt es als akzeptabel, wenn die Oberfläche veredelt wird: lackiert wie bei chinesischen Pappschachteln, matt gestrichen in französischem Grau oder Puder, fantasievoll bedruckt. Ein geometrisches 3-D-Bild an der Wand wird bei Malte Grieb zu einer herausklappbaren Garderobe. Malte Grieb, auch studierter Wirtschaftswissenschaftler, gehört eben-falls zu den jungen Firmengründern. Gemeinsam mit dem Designer Sebastian Feucht entwickelt er flache, schicke Möbel unter dem Label „Ambivalenz“ für Firmen, Messen und zu Hause. Und da ist auch wieder der Klappstuhl: Er heißt „Fläpps“, ist gerade mal 19 Millimeter dünn, weiß lackiert oder bemustert. Er passt noch in die schmalste Nische oder macht sich als Objekt an der Wand gut.
Anita Wünschmann