Die Neue Synagoge feiert ihr 150. Einweihungsjubiläum mit der Ausstellung „Mittenmang & Tolerant“. „Tuet auf die Pforten“ – so steht es als hebräische Inschrift über den Portalen der Neuen Synagoge. Für einen Tag die Poller und Sicherheitsschleusen vergessen. Die Türflügel weit auf! Die Feier mit Rede und Gesang noch vor den Toren, auf dem Gehweg, im Touristen-, man sagt -mekka. So wurde es symbolisch am 5. September 2016 als Geburtstagsgeste gehalten. Foto- und Texttafeln im schmalen Außenraum laden auch jetzt ein, sich ein Bild zu machen über die Geschicke des Gebäudes in der Oranienburger Straße. In diesem Jahr jährt sich die Einweihung der Neuen Synagoge zum 150. Mal und das Jubiläum wird mit der einjährigen Ausstellung „Mittenmang & Tolerant“ begangen. Diese ergänzt den laufenden Betrieb des für alle offenen Centrum Judaicum, das seit 1995 die reichen Facetten jüdischer Kultur charmant vermittelt, einen interkulturellen Dialog initiiert und säkularen Zugang zur jüdischen Kulturgeschichte mit den Funktionen der Gemeindetätigkeit und des Gebetshauses verbindet. Die goldene Kuppel schmückt die Oranienburger Straße und ist ein Orientierungspunkt. Sie überstrahlt mit ihrem Glanz das dichte Straßennetz der Spandauer Vorstadt, die pulsierende heutige Mitte Berlins.
Die Neue Synagoge, damals eine der größten in Europa, wurde erbaut, weil das erste jüdische Gotteshaus Berlins in der Heidereuterstraße nicht mehr genügend Platz bieten konnte. Vor allem der Zustrom von Emigranten aus Russland ließ die jüdische Gemeinde mit ihren damals etwa 25 000 Mitgliedern stetig anwachsen. Mit den maurischen Prägungen, ihrer reichen Ornamentik, ihren ausgewogenen Proportionen und der viel gelobten Schönheit symbolisiert die Synagoge das gewachsene Selbstbewusstsein, sich zuerst den Berlinern und weit darüber hinaus auch allen anderen mit Würde zu präsentieren. Die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ notierte, dass der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck zur Eröffnung kam ebenso wie weitere Persönlichkeiten der preußischen Gesellschaft. Tageszeitungen lobten „die neue Eisenbaukunst, die Gasbeleuchtung in den Fenstern und das moderne Lüftungssystem“ des für 3 200 Menschen von den Architekten Eduard Knoblauch und Friedrich August Stüler gebauten Hauses. Ein neues Haus, ein neuer Ritus! Die Neue Synagoge symbolisierte gleichzeitig den Aufbruch zu einer modernen rituellen Praxis mit einem gemischten Chor, mit Orgelbenutzung und vor allem mit einem Gottesdienst in deutscher Sprache auf dem Höhepunkt der jüdischen Assimilation im vorvorigen Jahrhundert. Ein Quantensprung auch in der Geschichte der Berliner Juden, den nicht alle mitvollziehen konnten. Eigene Gebetsvereine entstanden. Auch darüber informiert die Ausstellung. Sie erzählt mit Fotodokumenten, Artefakten und Texttafeln von der wechselvollen Geschichte des Hauses und des jüdischen Lebens drumherum: Rosenthaler Straße, Linienstraße, Gormannstraße, die Große Hamburger ... Man befand sich inmitten der jüdischen Gesellschaft mit Knaben- und Mädchenschule, Lehrstätten, Waschhaus, Hospital, Verlagen, Buchhandel, mit Altersheim, Vereinen und Logen nebst Wohlfahrtseinrichtungen. So wurde 1891 die erste jüdische Volksküche in der Klosterstraße 99 eröffnet. 3 000 durchreisende russische Emigranten fanden 1914 in einem Domizil des Jüdischen Volksvereins in der Auguststraße 20 vorübergehende Unterkunft. Berlin war eine Zuwanderungsstadt. Offenheit und Abschottung in sensibler Balance. Der Besucher erfährt von der Silberwarenfabrik „Lazarus Posen Witwe“, liest von koscheren Tante-Emma-Läden. Milch und Käse dort, Fleischhandel da – und kann sich über die hier tätig gewesenen Rabbiner, Kantoren und andere Persönlichkeiten wie den Komponisten und Chordirigenten Louis Lewandowski (1821–1894) informieren. Und dann der Bruch: In der Pogromnacht 1939 wird Feuer in der Synagoge gelegt. Es war der Couragiertheit des Reviervorstehers vom Hackeschen Markt zu verdanken, dass das Haus nicht vollständig niederbrannte: „Mit vorgehaltener Pistole jagt Wilhelm Krützfeld den SA-Trupp aus der Synagoge. Und bringt anschließend auch die – in dieser Höllennacht so oft zur Untätigkeit verdammte – Feuerwehr dazu, zu löschen“, steht auf der Tafel, die der Ehrung Wilhelm Krützfelds gewidmet ist. 1943 wurde die Synagoge, die den Nazis als Sammellager diente, von englischen Fliegerbomben zerstört. Bis 1988 die Stiftung Neue Synagoge Centrum Judaicum gegründet und der Grundstein für den Wiederaufbau gelegt wurde, blieb allein die Vorderfront an der Oranienburger Straße nebst Gedenktafel als mahnende Ruine erhalten. „Wir wollen mittenmang sein“, sagt Hermann Simon, langjähriger Direktor des Centrum Judaicum, in seiner Jubiläumsrede, „und zeigen, dass jüdisches Leben, trotz seiner oft auch selbst gemachten Probleme wieder möglich ist.“
Anita Wünschmann
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Fr: 10–15 Uhr