Ein Baumarkt ist für Otto Normalverbraucher eine riesige Sache. Bohrer, Gewindeschneider, Sägen in Hülle und Fülle und manchmal, ob der Vielfalt, auch verwirrend. Keine Frage, für den Hausgebrauch sind diese Werkzeuge unverzichtbar.
Da stimmt Philipp Dressel, Geschäftsführer der Adolf Neuendorf GmbH, zu. Aber vergleichen lassen sich seine Produkte und die für den Hobby-Heimwerker schwerlich. Die Firma ist zwar in der gleichen Branche unterwegs, aber in ganz anderen Dimensionen. Seine Firma vertreibt Werkzeuge zum Bohren, Sägen, Feilen, Schleifen etc. für Profis, also Automobilzulieferer, Fabriken, die zum Beispiel Haushaltsgeräte, Telefone, Medizintechnik, Computer, aber auch Turbinen und Motoren herstellen. Da möchte Werkzeug schon einiges aushalten können, bis aufs Tausends-tel präzise sein. Sage und schreibe 400 000 Artikel hat das Unternehmen mit seinen 25 Mitarbeitern parat. Aber das ist circa ein Viertel von dem, was Werkzeughersteller im Allgemeinen anbieten. Was ein Kunde wünscht, kann besorgt werden. Das Unternehmen ist ein klassischer Händler von heute, der die Zukunft der Branche fest im Visier hat. Die Zeit, als Händler bloße Verkäufer waren, ist passé.
Zum Vertriebsterrain gehören Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, meist Betriebe des Mittelstandes und Kleinst-
unternehmen. Die verbliebenen Großbetriebe gehören ebenfalls dazu. An diesem Punkt setzt die Idee der Neuendorf GmbH an. Kaum ein Unternehmen kann es sich erlauben, eigens Mitarbeiter zu beschäftigen, die sich ausgiebig mit den neuesten Entwicklungen auf dem Werkzeugmarkt beschäftigen. So wachsen den Händlern ganz neue Aufgaben zu. „Wir Händler bündeln die technischen Innovationen, die ein Unternehmen selbst nicht mehr verfolgen kann, und stellen sie unseren Kunden vor. Denn technisch auf dem neuesten Stand zu sein, bedeutet für die Unternehmen, die Güte der Produktion zu bessern oder in kürzerer Zeit mehr herzustellen. Also kurz, effektiver und besser zu arbeiten“, sagt Dressel. Jeder Neuendorf-Mitarbeiter absolviert 45 Schulungstage im Bereich der Zerspanungstechnik pro Jahr, um als Mittler zwischen Käufer und Verkäufer stets auf dem neuesten Stand zu sein. „Wir verstehen uns mehr als Produktionsberater“, erläutert er. Früher gab es dazu Messen, wo die neuesten Trends präsentiert wurden – leider auch nur noch eine Seltenheit. Sicher, heute wird auch per Video vieles an den Mann gebracht. Und neue Werkzeuge und Technologien direkt vor Ort zu präsentieren, ist meist unrealistisch. Maschinen müssen angehalten werden, um das Neue vorzustellen. Auch produktive Arbeitszeit geht verloren.
So gehen Dressel und sein Unternehmen einen ganz neuen Weg. Sie bieten an, dass sich Meister und Arbeiter in der Säntisstrasse in Marienfelde, wo die Neuendorf GmbH ihren Sitz hat, selbst ein Bild vom Neuesten machen und an den Hochpräzisionsanlagen Dinge ausprobieren können. Eigens dafür sind zwei kleine Werkhallen, Computerräume und eine Cafeteria eingerichtet worden. Sodass auch eine entspannte Atmosphäre geschaffen wird. Partner sind dabei Dozenten, die das Know-how des Herstellers vermitteln, Fragen beantworten und im Gespräch die Wünsche und Ideen der Kunden zu ihrem Unternehmen mitnehmen können. Für alle ein Gewinn. Die ersten Probeseminare hat es schon gegeben, alle ausgebucht. Die Idee ist aufgegangen. Maximal 25 Teilnehmer besuchen ein Seminar, mal eine Ganztagsschulung, mal auch nur einen halben Tag – je nach Thema und Bedürfnis. Offiziell gestartet wird 2017. Und Dressel denkt schon weiter in die Zukunft. Er möchte Professoren der Technischen Hochschulen einladen, darüber zu sprechen, wie sich das Themenfeld Zerspanung in 20 oder 30 Jahren gestalten wird. Welche Anforderungen wird der Markt stellen, wie sind diese zu bewältigen? Auch an den Nachwuchs denkt er und daran, Kurse für Auszubildende anzubieten. So wären sie schneller fit für moderne Produktionsprozesse.
Obwohl die Neuendorf-Mitarbeiter ganz auf Zukunft orientiert sind, kann auch ein Blick in die Vergangenheit stolz machen.
1909 verkaufte Adolf Neuendorf in Berlin, damals in der Sonnenallee, seine ersten Werkzeuge und Maschinen. In den 1970er-Jahren wechselte der Betrieb zur Familie Kaminski und blieb seither in Familienbesitz. Effektiv und mit immer neuen Ideen. Was generell für die Innovationskraft kleinerer und mittlerer Unternehmen spricht.
Martina Krüger