Das Museum der Europäischer Kulturen in Dahlem zeigt Schmuckstücke europäischer Tuchintarsien vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart.
Blüten, Vögel, Katzen, Punkte und Kreuze, Wölkchen und Sonnen – so hat man sich offenbar das Paradies auf Erden vorgestellt und dreihundertfünfzehn Quadrate aus gefärbten und gewalkten Wollstoffen als ein Hohelied der Lebensfreude sorgfältig zusammengefügt. Die farbigen Flächen sind wiederum mit Applikationen und Stickereien überreich geschmückt. Diese Arbeit aus dem 18. Jahrhundert kündet noch heute von der heiteren Gestimmtheit der Textilhersteller, offenbar etlicher fleißiger Hände, die über Jahre an diesem prachtvollen Hochzeitstuch gearbeitet haben. Es ist ein Prunkstück der Dahlemer Ausstellung, die vierzig Tuchintarsien aus Europa, den USA und Australien in einer Geburtstagsausstellung anlässlich des zehnjährigen Gründungsjubiläums des Museums Europäischer Kulturen zusammengebracht hat. Für Textilliebhaber ist diese Schau eine Kostbarkeit im Berliner Ausstellungsgeschehen in diesem Frühjahr.
Die opulenten Bildwelten und Ornamente mögen dabei ebenso faszinieren wie die Herkunftsgeschichten der Stoffbehänge und Decken, die eine reiche europäische Textiltradition bezeugen. Diese erzählt von Kunstsinn, Emsigkeit und Sparsamkeit. Textil war ein hohes Gut, keine Wegwerfware. Jeder Schnipsel wurde aufbewahrt, zumal wenn er etwa von einem zitronenfaltergelben Sonntagsstaat herrührte.
Eine Tuchintarsie wird aus gewalkten Wollstoffen hergestellt. Die Ränder des speziell bearbeiteten Wollgewebes können nicht ausfransen, was einer effizienten Verarbeitung, etwa Stoff sparender Uniformnäherei diente und zugleich als ideale Voraussetzung für das kunstvolle Zusammenfügen zu Bildwelten erkannt wurde. Da gibt es Altarschmuck und fürstliche Pferdedecken, Intarsienarbeiten für herrschaftliche oder religiöse Zwecke, seltener für den profanen Gebrauch. Schablonen dienten ebenso wie später Grafiken als Vorlage für die mit hunderten Nadelstichen zusammengefügten Textilien aus unzähligen fein geschnittenen Teilen. Je nach Zeit und Herkunft, nach Zweck und Würde variierten die Technik und die Handschrift. „Die frühesten Tuchintarsien kommen aus Skandinavien“, erklärt Ausstellungskuratorin Dagmar Neuland-Kitzerow. Aus mitteleuropäischen Textilzentren wie Berlin, Wien oder Oberschlesien sind vor allem mittelalterliche Stücke zusammengeführt. In Großbritannien und Irland behauptete sich die Intarsienkunst im Gegensatz zu den anderen Standorten bis ins 19. Jahrhundert. Wertvolle Objekte, die unter anderem das Krönungsritual der Königin Victoria zeigen, belegen das hohe Vermögen der Angelsachsen, die ihre Tuche zu großen Bilderzählungen des politisch-höfischen Lebens verdichteten.
Die Ausstellung wird durch Leihgeber aus Großbritannien, Deutschland, Österreich, Polen, der Schweiz und Schweden sowie aus Australien und den USA ermöglicht. Die erstmals in diesem Kontext zusammengetragenen Artefakte sind auf großen molltonunterlegten Schautafeln präsentiert und behutsam ins Licht gesetzt. Ergänzend zur historischen Überblickschau zeigt die Textilkünstlerin Ursel Arndt einen in Gemeinschaftsarbeit und in 2000 Stunden entstandenen Bildteppich. In Berlin fotografierte Graffiti werden in der Proportion eines Mauerelements neu komponiert. Ursual Arndt, die den Teppich mit dem Titel „Stückwerk Berlin – Stückwerk Europa“ als Auftragsarbeit des Museums realisierte, wagt ein Experiment. Es ginge darum, das Textil als ein „Speichermedium“ zu erkennen, in dem die flüchtigen Bilder, die uns täglich umgeben, verdichtet und aufbewahrt werden können.
Anita Wünschmann
Ausstellung
Tuchintarsien in Europa von 1500 bis heute
19. März bis 5. Juli 2009
Museen Dahlem
Arnimallee 25, 14195 Berlin