Innenansicht einer Musiker-Dynastie

Vater-Sohn-Probleme ziehen sich wie ein roter Faden durch die Familiengeschichte der Berliner Musiker-Dynastie Kollo. Langanhaltende Fehden und Zerwürfnisse, bedingt durch die Egoismen und Eifersüchteleien unter ausgeprägten Künstlernaturen, hinterlassen in der Jugend Blessuren, die eine Heilung durch Versöhnung erst in reifen Jahren zulassen.
So war das zwischen Walter Kollo, dem überaus fruchtbaren Komponisten musikalischer Ohrwürmer („Untern Linden, untern Linden“, „Immer an der Wand lang“, „Es war in Schöneberg im Monat Mai“), und seinem Sohn Willi Kollo, der sowohl als Komponist wie auch als Texter Erfolg hatte („Nachts ging das Telefon“, „Einmal wirst du wieder bei mir sein“, „Zwei in einer großen Stadt“).
So war es auch zwischen Willi Kollo und seinem Sohn, dem weltberühmten Tenor René Kollo. Als späte Frucht der gespannten Beziehungen zwischen Walter und Willi Kollo liegt nun immerhin ein Buch vor mit dem Titel „Als ich jung war in Berlin...“. Es handelt sich dabei laut Untertitel um „Literarisch-musikalische Erinnerungen“. Was das Buch besonders lesenswert macht, sind die anekdotenreichen Schilderungen aus dem Berliner Künstlermilieu im ersten Viertel des vergangenen Jahrhunderts bis hinein in die Nazi-Zeit und den Zweiten Weltkrieg.

Willi Kollo schaut hinter die Kulissen des Amüsierbetriebs der noch unzerstörten Hauptstadt, auf den auch die Politik zunehmend Einfluss nimmt. Er skizziert in feinen Miniaturen zeittypische Persönlichkeiten wie den Maler Zille oder die Diseuse Claire Waldoff („Ach Jott, wat sind die Männer dumm“), die sein Vater entdeckt und gefördert hat. Er erinnert sich an die Schauspielerin Orska, die im Opiumrausch vollkommen nackt im Fahrstuhl des Hotels Eden in der Budapester Straße (wo er selbst damals als ständiger Gast wohnte) in die von Gästen wimmelnde Halle heruntergefahren war, um „ganz Dame“ dem Portier Anweisungen zu geben und sich dann wieder per Fahrstuhl in ihr Zimmer zurück zu begeben. Aber er streift am eigenen Beispiel auch die Probleme, die ein erfolgreicher Komponist in der Nazi-Zeit hatte, wenn er sich nicht in den Propaganda-Apparat einspannen lassen wollte mit Schlagern, die noch den Krieg verherrlichten.
Das alles war längst Vergangenheit, als Willi Kollo sich daran machte, seine Sicht der Zeitläufe und Ereignisse niederzuschreiben. Als hochbegabter, aber auch hochempfindlicher Mensch galt er vielen als ausgesprochen schwierig. In seinem Vorwort zum Buch schreibt er selbst: „Es wird mir heute ,Beleidigungslust‘ vorgeworfen. Vielleicht ist das richtig.“ Nicht wenige Menschen in seiner Umgebung wissen, dass das Wort „vielleicht“ hier fehl am Platze war. Er führte so viele Prozesse, dass er das Buch bis zu seinem Tod nicht mehr selbst vollenden konnte. Das hat seine Tochter Marguerite Kollo, eine Musikverlegerin und Agentin, auf liebevolle Art besorgt. Allerdings reichen die Originalaufzeichnungen, die sie im Nachlass gefunden hat, nur bis ins Jahr 1946. Aber sie gestatten einen aufschlussreichen Rückblick auf eine stürmische Umbruchszeit deutscher Geschichte, die auch in der Musik Walter und Willi Kollos Spuren hinterlassen hat.

Gudrun Gloth

 

 

Buchtipp
Willi Kollo: „Als ich jung war in Berlin...“
Schott Music Verlag, Mainz 2008
367 Seiten und ICD, 22,95 Euro

 

 

38 - Frühjahr 2009