Gäbe es einen Wettbewerb um das schönste Kino Berlins – das „International“ würde gewiss vorn mit dabei sein. Der Bau in der Karl-Marx-Allee zählt zur kühlen architektonischen Moderne. Riesige Glasfront, an der handgemalte Plakate prangen, die von weither noch zu erkennen sind. Großes Foyer mit Bar. Das Wichtigste: Es sitzt sich bequem im flach ansteigenden Kinosaal. Wenn der blaue Vorhang zur Seite rauscht und die richtige Filmwahl getroffen wurde, dann kann ein Kinobesuch zum Ereignis werden. Der silberne Paillettenvorhang, der zur Erstausstattung des Kinos gehörte, öffnet sich nur noch bei Premieren. Er ist schon etwas altersschwach und soll demnächst durch einen ersetzt werden, der dem Original bis auf die letzte Paillette gleichen soll. Das gesamte Haus wurde innen und außen sukzessive erneuert, restauriert und wieder zu seinem eleganten Glanz zurückgeführt. Der erstrahlte erstmals vor über 53 Jahren. Allerdings war die Premiere ein ziemliches Desaster. Staats- und Parteichef Walter Ulbricht war nebst Gattin erschienen, dazu der sowjetische Botschafter. Es gab das sowjetische Revolutionsepos „Optimistische Tragödie“ im 70-mm-Format. – Das International gehört zu den wenigen Kinos, die technisch so ausgestattet sind, dass sie heute noch Filme im 70-mm-Format zeigen können. – Der Film riss, Unruhe im Saal, Geraune, und Ulbricht zischelte in etwa: „Das soll die neue Technik sein?“ Somit hatte die „Optimistische Tragödie“ mehrere Zwangspausen. Es stellte sich heraus, der Film war falsch gelagert worden und in der trockenen Luft geschrumpft. Das passiert heutzutage mit neuer Filmtechnik nicht mehr. Jeden Mittwochnachmittag werden die neuen Filme für die Woche auf eine Festplatte übertragen, zusätzlich werden die Werbefilme eingespielt, alles wird nochmal kontrolliert und fertig ist die Kinowoche.
Aber nach einem verpatzten Start konnte es nur besser werden. Filme wie „Cabaret“, „Jenseits von Afrika“ und „Dirty Dancing“ zogen die Massen ins International. Letzterer stand 15 Wochen lang auf dem Programm. Getoppt nur von Konrad Wolfs „Solo Sunny“, der sich 16 Wochen hielt und ebenso wie der Tanzfilm von über 100 000 Besuchern gesehen wurde. Das sind Rekorde aus einer längst vergangen Kinozeit. Vor 15 Jahren stieß die Filmproduktion noch circa 300 Filme pro Jahr aus – heute das Doppelte. Und da kann sich kein Film mehr so lange halten, wie einst. Ein guter, populärer Film schafft es auf vier Wochen, die Regel sind zwei. Das Kino International, das zur Yorck-Gruppe gehört, geht mit den Filmen etwas sanfter um und gibt ihnen Zeit sich zu entwickeln, das heißt ein Film kann sich auch durch Mund-zu-Mund-Empfehlungen im Kino halten.
Eine der letzten großen Premieren in der Ost-Geschichte des Kinos war Heiner Carows „Coming Out“, der am Tag der Mauerfalls gezeigt wurde. Diese Premiere begründete auch die Beziehung zur Berlinale. Das Internationale Filmfestival, dessen 67. Ausgabe kürzlich zu Ende gegangen ist, ist immer ein besonderer Kinozustand und auch für das International prägend.
Das International ist seit 1990 eine Spielstätte der Berlinale.
Berlin vis-à-vis sprach mit Festivaldirektor Dieter Kosslick über das Kino.
Das „International“ ist seit 1990 Spielstätte der Berlinale. Warum entschied man sich für dieses Kino und nicht für das ebenso in der DDR als Premierenkino genutzte und beliebte Kino „Kosmos“?
Nach dem Fall der Mauer im November 1989 wurden nach langen behördlichen Verhandlungen im Februar 1990 zum ersten Mal Teile des Berlinale-Programms wieder in Ost-Berlin gezeigt. Sowohl das Kino International als auch das Kosmos und das Colosseum wurden Berlinale-Spielstätten. Große Bedeutung hatte Heiner Carows Coming Out, der einzige DEFA-Spielfilm über Homosexualität, der im Wettbewerb der Berlinale lief und einen Silbernen Bären erhielt. Carows Film hatte bereits am Tag des Mauerfalls 1989 Premiere im Kino International gefeiert. Das schuf schon eine besondere Beziehung des Festivals mit dem Kino International.
Hat das Kino International ein spezielles Berlinale-Profil?
Es ist Teil der Berlinale-Geschichte und eines der bemerkenswertesten Gebäude der DDR-Moderne. Es ist ein klassisches Lichtspielgebäude mit viel Charme und Wärme und eignet sich durch seine schöne glamouröse Atmosphäre perfekt für Premierenabende mit rotem Teppich.
Die Berlinale ist ein besonderer Kinozustand. Wie geht es da im International zu?
Da es im Kino International einen ganzjährigen Kinobetrieb gibt, unterscheidet sich der Ablauf während der Berlinale nur gering. Für Premieren bzw. für Preisverleihungen wie zum Beispiel die Berlinale Kamera ist ein größerer Aufbau nötig. Circa ein bis zwei Tage vor dem Festivalbeginn beginnt der Aufbau für die Berlinale. Neben dem roten Teppich, der vor allen Premierenkinos ausgerollt wird, gibt es Lichtinstallationen und eine Fotowand im Foyer des Kinos.
Welche besonderen Berlinale-Filme hatten im International Premiere und machten danach Furore?
Ein besondere Premiere war sicherlich die des indischen Films Om Shanti Om im Jahr 2008 mit Bollywood-Star Shah Rukh Khan, der von einer tosenden Fanmenge vor dem Kino International in Empfang genommen wurde und den umliegenden Verkehr in einen kleinen Ausnahmezustand versetzte. Der Film zählt heute zu einer der erfolgreichsten Bollywoodproduktionen.
Die Retrospektive 2009 „70 mm – Bigger than Life“ war ebenfalls ein Höhepunkt. Was waren Ihre persönlichen Highlights?
Die Retrospektive aus dem Jahr 2009 war auch einer meiner Höhepunkte im International, da wir im Zuge dessen William Wylers Ben Hur (1959), einen meiner Lieblingsfilme, in Camera 65 zeigen konnten. Als weiteres Highlight aus den letzten Jahren fällt mir noch die internationale Premiere der Doku „Cobain: Montage of Heck“ von Brett Morgen ein, bei der uns Kurt Cobains Witwe Courtney Love beehrt hatte, und nicht zu vergessen der leider vor Kurzem verstorbene Superstar George Michael, der 2005 persönlich seine Doku „George Michael – A Different Story“ vorstellte.
Etliche Stars erhielten in diesem Kino Berlinale-Ehren. Katrin Sass nahm 2005 die Berlinale Kamera aus Ihren Händen entgegen – wer wurde hier noch ausgezeichnet?
Unter anderem wurde im letzten Jahr der US-amerikanische Schauspieler und Regisseur Tim Robbins im International mit der Berlinale Kamera ausgezeichnet und 2013 unser langjähriger Wegbegleiter und Filmemacher Rosa von Praunheim. Außerdem haben wir in diesem Haus auch einen Goldenen Ehrenbären verliehen: 2008 an den italienischen Filmregisseur Francesco Rosi für sein Lebenswerk.
Danke für das Gespräch
Martina Krüger