Das Museum der Moderne als Festhalle. Das Basler Büro Herzog & de Meuron baut Museum des 20. Jahrhunderts. Im November 2014 beschloss der Deutsche Bundestag, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 200 Millionen Euro für einen Neubau für die Kunst des 20. Jahrhunderts am Kulturforum bereitzustellen. Mit dem Bau soll Platz geschaffen werden, um die bedeutenden Bestände der Nationalgalerie zur Kunst des 20. Jahrhunderts dauerhaft zeigen zu können. Im Oktober 2016 wurde der Siegerentwurf bekannt gegeben.
Ein „dritter Weg“ sollte für das Museum der Moderne gefunden werden, erklärte schon nach dem Ideenwettbewerb im vorigen Frühjahr der Juryvorsitzende Arno Lederer. Kein Wegducken vor den Großen und keine Konkurrenz, kein Historisieren und Anknüpfen weder an die Zeit vor dem Krieg noch an die Nachkriegsmoderne. Alles dies sei abgeschlossen. Man muss neu denken. Und das ist jetzt auf überraschende bis schockierende Art geschehen. Das Nichtgedachte wurde vom Basler Büro Herzog & de Meuron vorgeschlagen. Der Siegerentwurf – von der Jury gefeiert – zeigt einen lang gestreckten Backsteinbau, überdeckt von einem Satteldach, flach genug, dass alle anderen Gebäude wahrnehmbar bleiben. So hoch immerhin, dass auf zwei Etagen großzügige Promenaden, Wege hin zur Kunst und erst recht diese selbst untergebracht werden können. Dazu Untergeschosse. Die Visualisierung zeigt einen mit Glassteinen durchsetzten Baukörper, der nachts in die Stadt hinaus leuchtet und schimmert – und, so wie es Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie, gern sieht, auch späten Besuchern Einladung bedeutet. Breit und ausladend zeigt sich das Gebäude in der Wettbewerbsfassung, so dass die Tuchfühlung zur St. Matthäus-Kirche eng wird.
Seit Kulturstaatsministerin Monika Grütters im November 2014 die Initiative für den Neubau ergriffen hatte und 200 Millionen Bundesmittel für einen Erweiterungsbau der Neuen Nationalgalerie zugesagt wurden, halten sich Jubel und Skepsis bzw. vehemente Ablehnung und pragmatische Befürwortung eines solchen Bauvorhabens die Waage. Hauptmanko: Es gab keinen klärenden städteplanerischen Wettbewerb vorab. Das Grundstück an der Potsdamer Straße, eigentlich recht einleuchtend, hielten viele für eine Fehlentscheidung gegenüber dem langjährigen Vorhaben, den Erweiterungsbau an die Sigismundstraße hinter der Neuen Nationalgalerie anzuschließen. Die Zeit drängte. Die Mäzene wollten ihre Sammlungen gut untergebracht wissen. Berlin sollte endlich seine Schätze des 20. Jahrhunderts ausbreiten können; das Kulturforum mit seinen prominenten Einzelbauten gleichwohl auch ein lebendiger Ort werden. Seit der zweistufige Wettbewerb ausgelobt wurde, gärt es unter Architekten, Planern und Bürgern. Das Scharounsche offene Stadtlandschaftskonzept sahen die einen gefährdet, andere frösteln beim Anblick der Brache samt aufsteigender Piazzetta vor der Gemäldegalerie. Die Verkehrsschneise, welche die Nationalbibliothek vom Kulturforum trennt, galt und gilt bis heute als ein raumplanerisches Handicap. Und dann der geistige Druck! Der Ideenwettbewerb gab schon eine Ahnung vom Wegducken. Und nun ist der Siegerentwurf gekürt. Monika Grütters nennt ihn einen „grandiosen Entwurf“. Er sei geeignet, „dem Stellenwert der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts eine angemessene Heimat zu geben“. Und der künftige Bauherr, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, sieht „ein ganz starkes Zeichen“. Der Entwurf „passe sich vorzüglich zwischen die beiden ‚Diven‘ von Mies van der Rohe und Scharoun ein, mit denen er bewusst nicht konkurrieren will“. Er ist zweifelsohne die größte Überraschung, das ganz und gar Unvorhergesehene, wenngleich die 42 Wettbewerbsergebnisse auch zeigen, wie schwer es ist, das gehegte Verlangen nach Vollkommenheit zu erfüllen.
Der zweite Platz (Büro Lundgaard & Tranberg aus Kopenhagen) ermög-licht vielgestaltige Räume und Höfe, zusammengefasst in einer organischen Großform. Die Auflösung des Volumens in Bungalows und Terrassen von Huttenbruch & Sauer und ähnliche Denk-wei-sen der spielerisch musikalischen Raum-gliederung mit deutlichem Maßbezug zu Mies van der Rohe mag nach wie vor faszinieren. Aus dem Zaha-Hadid-Büro ein imposanter aufgeschichteter Tempel aus Kraft und Transparenz, längst nicht so schön fließend wie in Rom. Rem Koolhaas schickt mit seinem Büro OMA aus den Niederlanden einen kristallinen Kunsthügel, der innen und außen besetzt werden kann – Freilichttreppen, Bühne, Terrasse. Dieser genau in die Fassung des Vorhandenen hinein geschliffene Diamant bekam eine der vier „Anerkennungen“ der Jury, obwohl er wie kein anderer das Sehnsuchtsobjekt hätte sein können.
Backstein allover für eine Lagerhalle mit Satteldach. Das also ist die Zukunft, die man so gespannt erwartet hat. Die Polemik reißt nicht ab. Wer will schon ein Oktoberfestzelt und sei es aus „digitalisiertem Backstein“ inmitten der Stadt, eine Scheune oder welche Assoziationen auch immer freigesetzt werden von Bahnhof bis Lagerhalle. Es ginge um eine Art geis-tiges Reset auf dem Kulturforum. Alles ist schon da – Glas, Beton, Stahl, klar geometrisch, dynamisch gefaltet. „Was kann man da noch tun?“ Den dritten Weg also finden, das Unprätentiös-Selbstbewusste, die Verneinung von Bildlichkeit für ein Urbild, einen Seelenabdruck.
Das „Haus vom Nikolaus“ bauen, so der Basler, diese einfache Ganzheit aus Dach und Quader, Rechteck und Dreieck, „wie es sich jedes Kind einprägt“. „Ein Haus für das 20. Jahrhundert. Ein Haus ganz direkt und konkret. Keine abstrakte Form, weil sie reiner und perfekter als die neue Nationalgalerie nicht werden könnte.“ Dafür lang und breit. Ganz von selbst sprießen nun angesichts des gestreckten XXL–Formates in gewiss perfektester Schweizer Ausführung die Assoziationen, von den Architekten gewollt in oben genannte Richtung. Man starrt auf den lichtdurchlässigen Entwurf, ein Steinhaus, das Schwere leicht macht, Tradition aufhellt. 2020 soll es fertig sein und in das 21. Jahrhundert weit hinauswirken. Unzweifelhaft werden die Leute herbeipilgern und schauen, wie die weltberühmten Architekten aus Basel den Salto wagen. Alles auf Anfang für die Zukunft.
Womöglich wird dieser irritierende Entwurf das Lieblingshaus für alle, die sich nach einer Erdung sehnen, nach eben der Urhütte, von der aus die polyzentrale Stadt her betrachtet und erkannt werden kann. So gesehen wirkt das Museum der Moderne als ein Statement, als ein Festspielbürgerhaus, das sich horizontal, sockellos, raumgreifend auf der Ebene ausbreitet.
Anita Wünschmann