Zuversichtszone

Es ist die Zeit der Möbelmessen von Köln bis Paris, Mailand folgt, wenn der Frühling aufpoliert ist – Zeit also für die Frage, was über das Wohnen der Zukunft erzählt wird.

Irgendwo braucht jeder sein Nest, einen Rückzugsort, das private Festzelt, das man für schöne Begegnungen gedanklich aufspannen kann. Es sind die vertrauten Räume, die womöglich mehr denn je an Bedeutung gewinnen. Slogans wie „My Home is my Castle“ oder der aktuelle Begriff „Hygge“ (Behaglichkeit) markieren Varianten des uralten Bedürfnisses nach Geborgenheit. Suggeriert das erstere gute englische Tradition, Individualismus pur und gleichzeitig stärkere Abschottung, lässt die aus Dänemark kommende Glücksvokabel mit Trendqualität Offenheit zu. Es geht also weniger um die schützende Burg als um einen Begegnungsort für Familie und Freunde, der Wohlgefühl, Entspanntheit und Nestwärme vermittelt. Eine Sehnsucht, die mit Farben, Stoffen, Möbeln und Raumstrukturen moderiert werden soll. Dabei geht es zunächst um Loslassen, Ruhe finden. Warmherzigkeit statt Wettbewerb. „Weniger ist mehr“ meint hier vor allem: Das Einfache ist wichtiger als das Exklusive.

Trendbegriffe kommen und gehen, in den letzten Jahren etwa „Cocooning“ und „Homing“. Sie markieren Zeitgefühl und fungieren als Balancierstab für die eigene Suche, ohne dass man zwingend ins nächste Stilkaufhaus spazieren muss. Gut 400 Euro werden allerdings hierzulande, so der Einführungsbericht in Köln, durchschnittlich pro Jahr fürs Wohnen ausgegeben.

„Die turbulenten Zeiten, die das Vertrauen gebrochen und unsere Sicht in Bezug auf die Zukunft verzerrt haben, neigen sich nun dem Ende zu“, erklärt Li Edelkoort. Die Trendanalystin aus den Niederlanden definiert eine Inkubationszeit, ein Zwischenstadium, das alle Lebensbereiche bestimmt. So heißt es nahezu suggestiv: „Die soziale Stimmung wandelt sich hin zu einem Klima des Kümmerns und des Zusammenseins, das Mitgefühl wird durch eine kreative Mentalität gelenkt, einer sanfteren und milderen Art, sowie auch einer alternativen, beruhigenden Periode in der Politik.“ Weiche runde Formen, zarte Farben, positive Appelle – so sieht eine Embryonalphase aus.

Alles schön eingepudert! Noch immer markieren sanfte und eher matte Töne, rosé und grau, die Oberflächen von Accessoires oder Möbeln. Parallel leuchten grün oder ozeanblau. 

Ein knallgelber Jubiläums-Panton-Chair, der kurvige Kunststoffklassiker wurde 1967 von Vitra in die Produktion übernommen, könnte neben einer goldgrünen samtbezogenen Chaiselongue und dem Eichentischchen „Guéridon“ von Jean Prouvé vor grüner Wand ein zeitlos zeitgemäßes Ambiente charakterisieren, ebenso wie Regal und Tisch aus Upcycling-Möbeln, allen voran die zurechtgesägten und gehobelten Transportpaletten, kombiniert mit dem Sofa „can“ (Brüder Bouroullec, Hay) oder dem eleganten Sessel „Uchiwa“ aus dem Studio „delighted“. Oder das blaue, sympathische Sofa „Hoppa“ mit flamingofarbenen Metallbeinen von der jungen Designerin Renske Rothuizen aus Eindhoven neben ..., na egal! Es gilt mehr denn je, „die Collage macht den Charme aus“. Individualismus  gilt   als  Megatrend. Genau genommen seit Marxens Manifest, seit seiner Zukunftsvision – jedem nach seinen Bedürfnissen. 

Pflanzen, Pflanzen. Pflanzen sind die dekorativen Lebewesen, um die man sich zumindest gelegentlich kümmern muss, wenn sie wirklich die Luft verbessern sollen. Sie sind nach wie vor ebenso aktuell wie die Offenheit des Grundrisses. Kochen, essen, spielen, Kinder betreuen und arbeiten verschmelzen in Zeiten, wo das Homeoffice technisch immer besser möglich, aber auch zunehmend notwendig wird und mit kreativem Handwerk sinnstiftend Zeit und obendrein das Portemonnaie gefüllt werden soll. 

Wie weit ist die Ära des Speisezimmers entfernt! Vorvorvorgestern! In der Wohnung passiert heute alles zugleich. Zeitstränge verweben sich ineinander mit den Tätigkeiten, die parallel ablaufen. Und dennoch, so die Glücksformel, brauchen wir Verlangsamung (Bitte renne nicht durch die Wohnung!) und weniger Multitasking (Sprich mit mir, ohne dabei deine Accounts zu checken!). Der übergroße Tisch als Spielfeld für alle und die Badewanne als erprobter Rückzugsort sind Bilder, die der 41-jährige US-Designer Todd Bracher auf der Kölner Plattform „Das Haus – Interiors on Stage“ und Werner Aisslinger mit „House of Wonders“ in der Münchner Pinakothek der Moderne kreierten. Das allzu Bekannte wird noch einmal auf den Punkt gebracht, um zu fragen: Geht Alltag so? Todd Bracher: „Wir werden die Vorstellung davon, was zeitgenössisches Wohnen ausmacht, infrage stellen, indem wir die Grundlagen überdenken, die das Heim definieren, und uns ansehen, ob sie den Anforderungen der heutigen Welt entsprechend ausgelegt sind.“

Holz und Backstein, Holz und Naturstein, Holz und Acryl, Samt und Plüsch – nein, es muss kein ausgestopfter Auerhahn an der Wand hängen, wenn es heißt, der Alpenstil, die Hüttenromantik ziehen in die Großstädte. Was sind denn die Attribute der Gemütlichkeit neben den vertrauten Materialien? Also Zwanglosigkeit, weil Möbel weich und leger sind, wasch- und wechselbar die Bezüge, oder weil das Funktion-Form-Ideal der Bauhausklassiker um die Qualität eines neuen Spielraums erweitert wird: weicher, runder, kuscheliger. Gepolsterte Stühle, Küchensofa (COR) statt Küchenbank. Die große Sehnsucht: Sens und Sinnlichkeit. Kein anderer Werkstoff als Keramik vermag diese Dualität perfekt zu transportieren. Das perfekt gemachte Unperfekte lässt mit der dazu gehörenden Gemeinschaft Glücksgefühl aus Schüsseln und Trinktöpfen glucksen. Bitte keine Angst vor der Zukunft, rufen Forscher und erklären, dass Erwartungsmuster häufig negativ und von Ängsten geleitet werden. Zukunft ist eben auch Aufbruch, Umgestaltung, Neukombination, ein Ringen um Werte, die sich ebenfalls entwickeln. Muss man sich darüber Gedanken machen, ob der Kühlschrank die Kommunikationsrolle selbst übernimmt und digitale Anweisungen schon am Morgen übermittelt? Oder sollte man unbeirrt seinen Tee trinken, um für den Tag gewappnet zu sein, selbst wenn am Abend die Salami fehlt? Smarte Funktionen und „roboting“ bleiben ein großes Thema. Im Alltag sind sie bislang nur marginal angekommen und verbinden wie der Rasenroboter gute Arbeit mit stetig störendem Geräusch.

Wie viel Lieferservice erleichtert den Tag? Und wie lassen sich noch besser Tomaten auf dem Balkon züchten? In die Küche zieht neben smart und Hightech mit Neugierde auf die Kochkunst aus der Welt und dem Nebeneinander von Menschen verschiedener Herkunft neues Gerät ein, wer es mag, brutzelt auf japanischen Elektrogrills. 

In den letzten Jahren riss die Debatte ums Licht und Leuchten nicht ab. LED wurde wärmer, das Design vielgestaltig. Licht verbindet sich zunehmend mit der Frage, wieviel davon nötig ist und der Wertschätzung natürlicher Hell-Dunkel-Prozesse. Die romantische Mondanbetung, auch die sah man bei Todd Bracher. Mit einer übergroßen naturhaft-künstlichen Kugelleuchte im Nachtdunkel, aus schwarz und braun und blau arrangiertem Schlafraum. Dunkelheit und Licht! Diesen Wechsel nicht nur maximal überblenden, sondern bewusst wahrnehmen. Ja, auch genießen. 

Anita Wünschmann

69 - Winter 2017