Die Gründerszene in der Hauptstadt wächst weiter. Doch Firmengründung ist nicht gleich Firmengründung. Startups folgen eigenen Gesetzen und pflegen besondere Rituale.
Berlin ist derzeit ein Mekka für innovative Jungunternehmer. Keine andere Stadt hat eine solche Anziehungskraft. Der aktuelle Start-up Monitor weist die Hauptstadt immer noch mit der größten Gründerszene aus, obwohl die Startup-Gründungen von 31 Prozent 2015 auf 17 Prozent 2016 zurückgegangen sind, gemessen an der Gesamtzahl in Deutschland. Aktuelle Beispiele in Berlin lassen keinen Zweifel daran, dass die Szene weiter wächst und in Bewegung ist: 13 Start-ups aus dem Food-Bereich haben kürzlich die Fachgruppe „Food und Food-Tech“ gegründet, der Musikstreaming-Anbieter Sound-cloud gilt als wertvollstes Startup in Berlin, Startup Steady hilft Journalisten, Bloggern und Podcastern, mit ihrer Arbeit Geld zu verdienen; zahlreiche neue Startups in der Buch- und Medienbranche präsentieren sich auf der Leipziger Buchmesse, Yeay will mit einer App das Shopping revolutionieren, die Deutsche Börse beabsichtigt, ab März Startups den Börsenzugang zu erleichtern. Die größte Gruppe der Startup-Gründer ist bislang zwischen 25 und 35 Jahre alt, Teamgründungen mit zwei bis drei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen werden bevorzugt und 42 Prozent der Mitarbeiter in Berlin kommen aus dem europäischen Ausland.
Dennoch gibt es noch immer viele potenzielle Gründer in der Stadt, die nicht wissen, wie sie mit ihrer guten Idee auf den Markt kommen können. Das fängt bereits beim Startup-Begriff an. Denn Firmengründung ist nicht gleich Firmengründung. Ein echtes Startup ist laut Startup-Monitor jünger als zehn Jahre, hat ein hochinnovatives Geschäftsmodell und ist wachstumsorientiert. Insofern grenzt es sich ab von einer gewöhnlichen Firmengründung, einem Klein-unternehmen oder Gewerbe. Lange prägten zudem auch vorwiegend digitale Geschäftsmodelle die Start-upszene, mittlerweile sind sämtliche Branchen vertreten, immer vorausgesetzt, es handelt sich um innovative Wachstumsunternehmen.
Neben einer erfolgversprechenden Idee, gesundem Optimismus, Durchhaltevermögen, geeigneten Partnern und viel Glück hängt der Erfolg einer Gründung vor allem vom notwendigen Anfangskapital ab. In acht von zehn Gründungen ist laut Monitor das eigene Geld die Finanzierungsbasis, demzufolge sind auch 75 Prozent der Gründungen unabhängig, neben beispielsweise 12 Prozent als Ausgründungen aus Universitäten. Das zeigt gleichermaßen Mut und Risiko der meisten Startup-Gründer.
Aber Startups hätten nicht eine solche Anziehungskraft und Popularität erlangt, gäbe es noch die gleichen Märkte wie zu Zeiten der New-Economy. Die neuen IT- Technologien generierten eine neue, scheinbar attraktivere Unternehmenskultur gleich mit, die sich vor allem im Silicon Valley immer wieder neu erfindet: Mit hauseigenen Kaffeekreationen, freien Mahlzeiten, Snacks und Obstständen, Yogamatten und Rückzugsräumen für Entspannungsübungen sorgt beispielsweise Facebook in Menlo Park für jene Arbeitsatmosphäre, die besonders jüngeren Mitarbeitern als angenehm und zeitgemäß erscheint. Arbeiten und Leben verschmelzen miteinander und schaffen ein positives Gemeinschaftsgefühl zum Nutzen der Firma. Insofern verbindet die neue Unternehmenskultur Technologie und Geschäft mit einer von jungen Gründern und Berufseinsteigern präferierten Lebensart.
Es verwundert kaum, dass sich dieses offensichtliche Erfolgsmodell für Unternehmensgründungen auf die allgemeine Startup-Szene überträgt, mit den entsprechenden Klischees: Denn natürlich wollen sich die Startups möglichst in jeder Hinsicht von anderen Unternehmen unterscheiden. Was ist also typisch für ein deutsches Startup? Laut Startup Monitor ist der Dresscode am augenscheinlichsten. In fast allen Startups wird der Sweater oder Kapuzenpulli gepflegt – zum Image der Startups haben hauptsächlich die Hoodie-Träger beigetragen. In jedem vierten Startup vergnügen sich die Mitarbeiter an einem Kickertisch und jedes zehnte Startup hat eine sogenannte Startup-Oma, die für das leibliche Wohl und für ausreichend Club Mate, das Lieblingsgetränk vieler Mitarbeiter, sorgt.
Für Einsteiger und um der Berliner Startup-Szene und deren Klischees näherzukommen, empfielt sich der Besuch einschlägiger Coworking Spaces, beispielsweise das Café im Betahaus, der Office Club Prenzlauer Berg oder das Sankt Oberholz. Sie bieten erste Einblicke in eine Szene, die nicht nur junge Kreative in die Stadt zieht, sondern mittlerweile für den Wirtschaftsstandort Berlin immer größere Bedeutung erlangt.
Reinhard Wahren