Man müsste so viel lesen. Aber was? Susann Sitzler hat sich schon mal durch die aktuellen Neuerscheinungen gewühlt. Hier ihre Empfehlungen.
FALTEN UND FREUDE
Dass Hannah Jona plötzlich aus ihrem Rollstuhl aufsteht und sich die greisen Haare pechschwarz färbt, ist nicht das Wichtigste an ihrer Verwandlung. Auch nicht, dass sie irgendwann in ihrem 78. Lebensjahr erkennt, dass das Festhalten an ihrem Haus eigentlich nur dazudient, sich nicht der Trauer um ihr Leben zu stellen. Das Wichtigste an der Verwandlung von Hannah Jona ist, dass sie am Ende ihres Lebens alle Kompromisse aufgibt und auf einmal die Leichtigkeit bekommt, die sie in all den Jahrzehnten zuvor, die sie zur Ehefrau, zur Mutter, zur Witwe machten, Stück um Stück verlor. Und dass ihr ausgerechnet dann die Liebe in Form des feinfühligen Bruno begegnet, der genau so übernatürlich blaue Augen hat wie sie selbst.
In ihrem neuen Roman „Zu blaue Augen“ verflicht die israelische Erfolgsautorin Mira Magén die Erzählstränge rund um Hannah Jona und ihre drei erwachsenen Töchter zu einem lebensstrotzenden Bild vom Alltagsleben in Israel. Kraftvoll und unsentimental.
Information
Mira Magén: „Zu blaue Augen“,
dtv, 384 Seiten, 21 Euro.
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DIE GESPENSTER SIND SCHULD
Dass in Berlin immer irgendetwas nicht richtig funktioniert, ist keine Neuigkeit. Und auch nicht, dass einem ziemlich oft merkwürdige Gestalten über den Weg laufen. Diesen Berliner Alltagserfahrungen fügt der Drehbuchautor Rudolph Herzog in seinem literarischen Erstling „Truggestalten“ eine neue, spannungsvolle Facette bei. Er nimmt nämlich zur Erklärung ganz selbstverständlich hin, dass bei vielen Zwischenfällen und absonderlichen Begegnungen Phantome und Gespenster im Spiel sind. In sieben Erzählungen, die alle im heutigen Berlin spielen, begegnet man so nicht nur den üblichen Vögeln – Möchtegernkünstlern, Eckenstehern, verstörten Zugezogenen –, sondern auch vielen alltäglichen Orten. Doch weil Herzog sie auf ungewohnte und düstere Weise ausleuchtet, entsteht ein ganz neues Bild der Stadt. Ganz nebenbei liefert er auch noch eine neue Erklärung für das Scheitern des BER: Ein rachsüchtiger Wiedergänger auf Rachefeldzug trägt die Verantwortung dafür. Auch nicht bizarrer als die tatsächlichen Gründe.
Information
Rudolph Herzog: „Truggestalten“, Galiani Berlin, 256 Seiten, 20 Euro.
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SPORTFOTOS, DIE NIE GEMACHT WURDEN
Rennsport ist Dynamik und Nervenkitzel. Historische Fotografie ist eingefrorene Zeit in körnigem Schwarzweiß. Das passt überhaupt nicht
zusammen. Computergestützte Fotografie ist die Lösung. „When Motor Racing was bloody dangerous“ heißt ein spektakulärer Bildband, in dem authentische, jedoch nie gemachte Fotografien von Schlüsselmomenten des Autorennsports zu sehen sind. Aufwendig stellte ein junges Team von Computergrafikern aus Prag mit historisch gewandeten Statisten an Originalschauplätzen Motive nach, fotografierte sie und bearbeitete die Bilder anschließend mit einem eigens entwickelten Verfahren. Entstanden sind fotorealistische, enorm detailreiche und liebevoll komponierte Bilder: Silberpfeile auf der Avus, Hans Herrmanns Porsche 1970 in Le Mans. In ausführlichen Texten werden dazu die Hintergründe dargestellt – sowohl der sportlichen Ereignisse und ihrer Zeit als auch der Entstehung der „nie gemachten“ Fotos aus den Dreißiger- bis Siebzigerjahren. Sich in den Sog der Szenen hineinziehen zu lassen, ist ein faszinierendes Vergnügen – nicht nur für Rennsportfans.
Information
Bart Lenaerts: „When Motor Racing was bloody dangerous: Ein Bildband nie gemachter Rennsportfotos“,
Delius Klasing, 252 Seiten, 59,90 Euro.
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ARNOLD SCHWARZENEGGER, PRIVATDETEKTIV
Ende der 1960er Jahre ging der junge österreichische Kraftsportler Arnold Schwarzenegger nach Amerika, um sich seinen Traum von Glück, Reichtum und „Aktschenfuim“ zu verwirklichen. Der Rest ist bekanntlich Geschichte. Doch es hätte auch anders kommen können: Der wissbegierige Muskelmann mit dem sonnigen Gemüt hätte nach einem kleinen, aber lästigen Autounfall den Muskelsport nicht mehr ausüben können und stattdessen ein abgehalftertes Detektivbüro übernommen, um sich finanziell über Wasser zu halten. Was dann geschehen wäre, erzählt der österreichische Autor Wolfgang Pollanz in seinem witzigen Roman „Hasta la vista, baby“. Pollanz kennt sich aus, in der Populärkultur ebenso wie mit der Literatur dieser Jahre. Unbeschwert verwebt er Versatzstücke aus Thomas Pynchons Zeitgemälde „Inherent Vice“ mit Hinweisen auf Schwarzeneggers Œuvre und schafft dabei ein Bild der Jahre, in denen der kalifornische Hippietraum in Drogenkriminalität zu ersticken begann. Doch der Held – der hier Arno Weissenegger heißt – besteht alle Herausforderungen mit Charme. Und begegnet in diesem Buch auch der eigenen Zukunft.
Information
Wolfgang Pollanz:
„Hasta la vista, baby“, Milena Verlag, 260 Seiten, 18,50 Euro.