Der isländische Profi Bjarki Elisson macht alles mit der linken Hand – außer Handballspielen. Bjarki Mar Elisson streckt seine linke Hand aus. „Woher das kommt, das weiß ich auch nicht. Das habe ich schon, seit ich denken kann“, sinniert der Isländer. Der 26-Jährige verfügt über ein ganz seltenes Phänomen: Er ist Linkshänder, schreibt mit links, auch Textnachrichten auf dem Handy, schneidet Papier mit dieser Hand, spielt so Tischtennis. Doch den Beruf, mit dem er sein Geld verdient, übt der Sportler ausschließlich mit der rechten Hand aus.
„Ich fand es immer toll, Linkshänder zu sein. Also habe ich auch versucht, den Ball mit dieser Hand zu werfen. Aber das sollte lieber keiner sehen“, erklärt er in tadellosem Deutsch. Beim Bundesligisten Füchse Berlin streiten sich die Weltklasse-Nationalspieler Hans Lindberg und Mattias Zachrisson über die Einsatzzeiten auf dem rechten Flügel. Auf seiner Position auf der anderen Seite ist der Isländer unangefochten die Nummer 1. „Ich wollte immer Profihandballer werden, und schon als 13-Jähriger habe ich allen erzählt, dass ich einmal in der deutschen Bundesliga spielen will. Das war mein Traum, so lange ich denken kann.“ Deswegen nahm Elisson, der aus Reykjavik stammt, den Umweg über die kleine Stadt Selfoss in Kauf. In dieser gab es das einzige Handball-Internat der Nordatlantik-Insel, das schon sein Opa und seine Vater besuchten; er lernte die wichtigsten Handballschritte und spielte schließlich ein Jahr in der zweiten isländischen Liga. Selfoss, die kleine Stadt südöstlich von Reykjavik, beeinflusste Bjarkis Leben aber auch in privater Art. Auf dem Sportgymnasium lernte er seine spätere Frau Unnur kennen, mit der er seit zwei Jahren die Tochter Valgerdur Elsa hat. „Man sagt immer, die Frau unterstützt die Karriere, und so weiter. Aber bei mir ist das ganz extrem: Unnur ist so positiv eingestellt zu allem, sie macht mir immer Mut und gibt mir so viel Kraft, das ist wirklich kaum zu beschreiben. Ohne sie wäre ich heute nicht hier“, sagt Bjarki.
Seit über zehn Jahren kennen sich die beiden, und schon 2013 drückte ihm die Frau aus Selfoss die Daumen, als er mit dem isländischen Verein HK Kopavogur Landesmeister wurde. Das weckte Begehrlichkeiten, und so streckte FH Hafnarfjördur – wie Kopavogur eine Satellitenstadt der Metropole Reykjavik – die Fühler nach dem schnellen Handballer aus. Wohlweislich hatte der sich aber eine Klausel in seinen Vertrag schreiben lassen, dass er bei einem Angebot aus dem Ausland noch vor Saisonbeginn wechseln dürfe. „An einem Freitag Ende Juli kam der Anruf, sonntags war ich schon in Eisenach“, erinnert sich der heutige Nationalspieler noch genau an die Offerte aus der Wartburgstadt. Zwar bummelte Eisenach noch durch Liga 2, doch der isländische Trainer Adalsteinn Eyjolfsson hatte von dem Talent aus der Heimat gehört. Hier in Thüringen wurde der Neuling prompt Torschützenkönig der gesamten Liga und von dem bei den Füchsen als Trainer eingestiegenen Landsmann Erlingur Richardsson an die Spree geholt. Man kannte sich schließlich, war in Kopavogur gemeinsam Meister gewordent.
„Ja“, blickt Bjarki auf seine Festland-Karriere zurück, „das ging alles sehr schnell.“ Das beschauliche Eisenach hat insofern Nachwirkung hinterlassen, dass er dort Verständigungsschwierigkeiten verspürte. „Ich hatte zwar etwas Deutsch gelernt, war aber in der Schule etwas faul dabei und nicht so konzentriert. Aber in Eisenach hatte der Handball einen riesigen Stellenwert, und ich wollte mit allen sprechen. In der Mannschaft konnte keiner Englisch, Deutsch war Pflicht als Kabinensprache. Also musste ich schnell lernen. Und das geht nicht aus Büchern, da muss man reden, reden, reden“, erklärt er. Mittlerweile klappt das fast akzentfrei, und er hat bei seinen Teamgefährten in Berlin auch noch Schwedisch und Dänisch gelernt.
Dass isländische Handballer in Europa einen ausgezeichneten Ruf genießen, freut den Nordländer. „Wir sind auch gut“, lacht er und erzählt: „Die Isländer sind aber in dieser Beziehung etwas verrückt. Alle Jungs dort wollen Profi-Sportler werden und irgendwann in Europa spielen. Und die Eltern sind noch verrückter. Die denken immer, ihr Sohn ist ein Olafur Stefansson oder ein Lionel Messi.“
Der Handball hatte die Insel in den vergangenen Jahren im Griff. Durch den Erfolg der „Huh-Männer“ bei der jüngsten Europameisterschaft, als sogar England in die Knie gezwungen wurde, haben die Fußballer zwar aufgeschlossen. „Aber Handball kommt wieder, unser Nachwuchs-Team hat bei der WM Bronze geholt“, ist er ganz sicher. „Wir bauen eine junge Nationalmannschaft auf.“ Hier hat er sich bei der vergangenen Weltmeisterschaft in Frankreich mit einer Klasseleistung und sechs bis sieben Toren pro Spiel den lange ersehnten Stammplatz auf seiner linken Außenbahn erkämpft.
Die Zuversicht hat sicherlich auch etwas mit dem ausgepägten Nationalstolz der Insulaner zu tun. „Ich bin wahnsinnig stolz, ein Isländer zu sein“, bestätigt Bjarki. Zwar ist er schon in jungen Jahren nach Europa gegangen und kennt nicht jeden Winkel der Heimat. „Aber meine Heimatstadt Reykjavik kenne ich genau. Ich liebe diese Stadt.“ Wie Island überhaupt. „Wenn sich die Gelegenheit ergibt, ein paar freie Tage anstehen, dann versuchen wir, nach Hause zu fliegen.“ Und wenn nicht, dann beherbergt er in seiner Wohnung im Stadtteil Prenzlauer Berg Gäste aus Island. „Ein- oder zweimal im Jahr kommt die gesamte Familie. So steht für ihn fest: „Nach der Karriere gehe ich auf alle Fälle nach Island zurück. Meine Tochter soll die Heimat kennenlernen.“ Was er selbst dann dort machen wird, ist noch unklar. Vielleicht als Trainer einsteigen, oder erst einmal sein Studium Sportpädagogik in Reykjavik fortsetzen, das er wegen des Wechsels nach Deutschland ein Jahr vor dem Bachelor unterbrochen hat. Das ist aber noch weit weg. „Wir fühlen uns so wohl in Berlin. Die Großstadt hat viel Grün, tolle Restaurants, sehr viele Spielplätze. Meine Frau hat Arbeit, die ihr die Frau von Erlingur Richardsson vermittelt hat. Meine Tochter geht in den Kindergarten, fast neben unserer Wohnung.“ Selbst mit dem europäischen Essen hat sich die Familie angefreundet. In Island stehen Fisch und Lamm auf dem Speisezettel, alles andere ist entweder nicht so frisch – oder sündhaft teuer. „Ich mag so gern ein richtig gutes Rinderfilet vom Grill, dazu Süßkartoffel.“ Und wenn mal kein Training ansteht, seine Frau bei der Arbeit und die Tochter im Kindergarten ist, dann geht er mit Teamgefährten golfen. In dieser Sportart schwingt der Handball-Rechtshänder dann den Schläger aber wirklich mit der linken Hand.
Lydia Mendon