Das Werk des Künstlers John Bock in der Berlinischen Galerie, bis 21. August 2017. Da pumpt ein Herz, das als ein Müllbeutel aus einem sperrigen weißen Kasten herausragt. Einen Schritt weiter liegen amputierte Beine und Arme in geöffneten Koffern. Es sind grob behauene Holzskulpturen, weiß und schwarz bemalt. Dazu flimmert ein Video, irgendetwas Unangenehmes, Gott sei Dank, unscharf. In einer Höhle aus karierten und rosenbedruckten Wolldecken gibt es ein Puppenspiel-Video, ein Schauermärchen, eine Seemannsklamotte, und erzählt von Mord und Totschlag und vom Überleben im Innern des Weißen Wals – „Da-Dings-Da ist im Groß-Da-da weil der Wurm im Moby Dick wohnt“. Die Ausstellung „Im Moloch der Wesenspräsenz“ ist die erste große Museumsausstellung des international agierenden Künstlers in Berlin, dessen Werke in Gent und Amsterdam, im Museum of Modern Art, in der Schirn Kunsthalle Frankfurt, auf der Biennale in Venedig oder zur documenta in Kassel gezeigt wurden. Mit Bezug auf Artauds „Theater der Grausamkeit“ zelebriert John Bock nahezu orgiastisch seine Welt- und Lebenssicht, die ewige Wiederkehr des Bösen mit zerhackten Mythologien, fiktiven Codes, Zeichen, die tentakelhaft in virtuelle Kunsträume hineinzugreifen scheinen, ausreichend (Theater)Blut, Schminke und Kostümen und zumeist eigener körperlicher Präsenz. Ein Zerbersten und Blubbern mit einem guten Schuss Wahn für die Gewissheit: Alles ist Prozess. Nichts fertig.
Das Lieblingsmaterial des Performers und Aktionskünstlers im geistigen Sinn ist – so sagt er es selbst – Modder. Mit der amorphen Masse lässt sich gut formen. Aus Modder und Lehm ist der Golem hervorgegangen, jene Prager Gestalt, die längst aus ihrer Kabbala-Geschichte, aus dem Zirkel jüdischer Mystik, hinausgetreten und in der Kunstwelt in mannigfachen Bedeutungen und Formen angekommen ist. In John Bocks „Freakshow“ begegnet der Besucher dem Golem gleich in der ersten Guckkastenkabine. Es gehe dem Künstler, der von der ersten Berlin Biennale 1998 bis zur Schau in der Temporären Kunsthalle 2010 am Schlossplatz für Aufsehen sorgte, um Kreativität, um Werden und mehr noch um Vergehen. Psychedelisch kunterbunt kreiselt die kinetische Installation „Suggestion“ von 2012.
Aufgewachsen ist der Wahlberliner, Jahrgang 1965, auf einem schleswig-holsteinischen Bauernhof in Gribbohm. Dort ist er den Utensilien seiner drastischen Arrangements wie Fischgräten, Eierschalen, Strohpuppen als Kind begegnet. Der Fischgrätenmelkstand – eine Bezeichnung für die Stallanordnung für Milchkühe – ist so ein Muster, auf das John Bock, der die Kühe selbst gemolken hat, immer wieder zurückgreift.
Was hier in der Berlinschen Galerie aber aus Einzelkunstwerken der letzten zehn Jahre zusammengeführt wurde, lässt sich als eine Höllentour erleben, vorbei an Installationen wie einem Autowrack, dem die komplette Vorderfront weggesägt ist, derweil – ganz Autokino wiederum – ein etwa siebenminütiges Video („Escape“, 2013) die Fahrt als einen Gruseltrip erzählt. Ein Zyniker würde meinen, die Welt ist gegen den Baum gefahren und John Bock hat mit großen Augen, Tatendrang und Spielfreude ihre Überreste zu einem Horrorparcours zusammengesetzt: Kino, Labor, groteskes Theater, Dada-Ingredienzien. Da ist zum Beispiel der Western „Hell’s Bells“. Das klassische Gut-und-Böse-Genre, mit Lars Eidinger als Bösewicht, wird zerzupft bis einem schwindlig ist, und besser, als die Fäkaldrohungen weiter zu ertragen, erscheint dann die Flucht raus aus der Videokabine hin zu den Höhlentableaus wie etwa der Netzkonstruktion aus ausgestopften Strümpfen, weich wie Würste. Dabei mutet das Tarnzelt wie ein Gebeinhaus an.
Mit Thesen wie „Dilemma der Verneinung des Lebensernstes“ reklamiert er für sich selbst Witz und Provokation, um Kunst und Besucher mit einer Art Herz-Druckmassage zur Reanimation der Sinne zu verhelfen. Man kann es auch Katharsis nennen. Die Verwandtschaft reicht dabei von Beuys‘ Sozialer Plastik bis Jonathan Meeses chaotisch-fäkalischen Traktaten und Gesellschaftsplastiken. Mit einem Wink zu Georg Baselitz und Sigmund Freud betitelt John Bock eine seiner „Lectures“, so nennt er seine Performances, „Große Erscheinung der ins Licht getretenen Triebkreatur“.
Anita Wünschmann