Entscheidend ist fachlich fundierte Beratung

Das Reformhaus feiert in diesem Jahr sein 130-jähriges Bestehen. Wenig bekannt ist, dass die Wurzeln in Berlin zu finden sind. 1887 eröffnete Carl Braun, Unternehmer und Mitglied eines Naturheilvereins, ein Textilgeschäft mit dem Namen „Gesundheits-Zentrale“. Das Reformhaus hat seither ein Gründungsdatum. Anlässlich des Jubiläums sprachen wir mit Rainer Plum aus dem Vorstand. 

Bei der jüngeren Generation hat das Reformhaus ein etwas angestaubtes Image. Tun Sie etwas dagegen? 

Für viele jüngere Leute ist Reformhaus entweder gar kein Begriff oder ein Begriff, der heißt: „Meine Oma ...“. Das ist aber meist positiv gemeint. Dieses etwas altbackene Image steht auch für Herkunft, Heimat, Zugehörigkeit, alles positive Begriffe. Daraus können wir auch Kraft ziehen. Außerdem, was das äußere Erscheinungsbild betrifft, ist im Ladenbau auch sehr viel passiert, wir haben mittlerweile schon topmoderne Reformhäuser. An der einen oder anderen Stelle könnte hier auch noch nachgebessert werden.

Was bedeutet Ihnen die Tradition von 130 Jahren? 

In der letzten Zeit haben wir uns sehr intensiv mit unserer Historie beschäftigt. Wo kommen wir her, wo stehen wir und welche Bedeutung hat das für uns. Es begann in Berlin mit der Kleiderreform. Mit dieser kam die Gesundheitswäsche auf, zu einer Zeit, als von den Damen noch Korsett getragen wurde. Später kamen im Geschäft von Carl Braun auch Lebensmittel hinzu. Der Gedanke einer vegetarischen Lebensweise gehört ebenfalls zur Ursprungsidee des Reformhauses. Später dann folgten die Hautfunktionsöle. Nach und nach entwickelten sich schließlich die vier großen Produktbereiche der Reformhäuser: Lebensmittel, Naturarzneimittel, Kosmetik und Nahrungsergänzungsmittel. 

Wie lebendig sind die Wurzeln? Einige Marken repräsentieren bis heute die Gründungszeit des Reformgedankens. Zum Beispiel Eden, das seinen Ursprung als Vegetarier-Siedlung in Brandenburg hat. Städter haben sich zusammengetan, um eine neue autarke Lebensform zu praktizieren. 

Unsere Ursprünge in der Lebensreformbewegung sind uns heute noch sehr wichtig.  Auf der Ebene der Produkte betrifft es das Vegetarische genauso wie die Vollwertigkeit. Ein Weißmehlerzeugnis werden Sie bei uns nicht finden. Ganz stark ist auch der Gedanke der Ganzheitlichkeit. Es geht also auch bei den Nahrungsergänzungsmitteln nie nur um einen isolierten Wirkstoff. Das reicht bis hin zur Hülle einer Arzneikapsel, bei der keine Gelatine verarbeitet wird. Bei den Lebensmitteln müssen die Rohstoffe in Bioqualität hergestellt sein, ohne Einsatz von Gentechnik und dergleichen. 

Sie haben in den Großstädten durch die Bio-Supermarktketten eine starke Konkurrenz. Wie halten die Reformhäuser dagegen? 

Ich komme aus der Naturkostbranche, habe 1976 in München einen der ers-ten Bioläden mit gegründet, habe dann mit meiner Frau über Jahre einen Naturkosmetikbetrieb geführt. Die Reformhäuser sind die Pioniere in der Branche. In Oranienburg/Eden wurde der Biolandbau mitentwickelt. 

Der Unterschied der Reformhäuser zu den Biosupermärkten besteht erst mal im Sortiment. Der Biohandel hat einen großen Frische-Anteil, also Obst und Gemüse. Unsere Lebensmittel sind überwiegend Produkte für besondere Ernährungserfordernisse wie Unverträglichkeiten, Gluten-, Laktose-, Histamin-, aber auch basische Ernährung, ayurvedische Ernährung, TCM-Ernährung. Wenn man vegan als besondere Ernährungsform nimmt, dann auch vegan. 

Welche Rolle spielt dabei die Beratung?

Entscheidend bei uns ist eine gute, fachlich fundierte Beratung. Wir haben eigens dafür die Stiftung Reformhaus Fachakademie, die Inhaber und Mitarbeiter von Reformhäusern ausbildet. Wer ein Reformhaus eröffnen möchte, muss eine mindestens sechswöchige Grundausbildung dort absolvieren. In jedem Laden muss während der Öffnungszeit auch immer eine Person anwesend sein, die diese Ausbildung gemacht hat. Vor allem im Bereich hochwertiger Naturkosmetik, die bei uns einen großen Teil des Umsatzes ausmacht, ist die Kundenberatung sehr wichtig. Das geht bis hin zur Haut- und Typberatung.

Reformhausprodukte sind auch online zu erwerben.

Wir sind eine Genossenschaft, von daher haben wir auch etliche Mitglieder, die Online-Shops betreiben, mehr oder weniger erfolgreich. Wir als Zentrale betreiben selbst zwei Online-Shops. Das passiert auf genossenschaftlicher Basis. Der Gewinn fließt also wieder an unsere Mitglieder zurück.

Wird es auch in 130 Jahren noch Reformhäuser geben?

Da muss ich jetzt mal meine Glaskugel holen. Machen wir mal eine Vorausschau auf die nächsten 20 Jahre. Ich denke, da sind wir auf einem guten Weg. Der Repositionierungsprozess ist weitgehend abgeschlossen. Einige unserer Mitglieder eröffnen gerade in guten Stadtlagen neue Geschäfte. Man muss immer genau schauen, wo passt ein Reformhaus und wo nicht. Aber vertrauensvolle Beratung im Fachgeschäft wird immer einen Stellenwert haben, Online hin oder her.

Danke für das Gespräch.

Karen Schröder

 

71 - Sommer 2017