Wir stellen sie in jeder Ausgabe vor, die Berlin-Macher. Diesmal Dieter Kosslick.
Als es Ende der 60er Jahre der größte Wunsch eines frisch gebackenen Abiturienten ist, Werbefilmer zu werden, dieser dann nach München trampt und in einer Werbeagentur anheuert, es dort mit einem Bären, nämlich dem der Bärenmarke zu tun bekommt, hätte man die Zeichen der Zeit schon erkennen können. Rund 30 Jahre später kommen dieser Mann, der Film und der Bär endgültig zusammen – und zwar in Berlin. Jeder, dem das Thema am Herzen liegt, weiß spätestens jetzt, um was und vor allem wen es geht: die Berlinale und ihren Chef Dieter Kosslick.
Im Sternzeichen des Zwilling geboren, erscheint der heute 60-Jährige geradezu als Idealbesetzung. „Der Zwilling ist ein Gegenwartsmensch, und auch in schweren Zeiten brechen die leichte Seite und der Humor immer wieder durch. Diese Leichtigkeit kann das Göttergeschenk des Zwilling an andere Menschen sein“, heißt es in einer Sternkreiszeichenbeschreibung. Und eben dieses Göttergeschenk ist es, mit dem Kosslick seine Mitmenschen begeistert und mitnimmt. „Ich habe den besten Job der Welt“, sagt er und lächelt verschmitzt. Den versuche er gut zu machen. Dabei müsse er nicht jeden Tag erzählen, welche Probleme es gebe. Die Branche, medial im allgemeinen auf Stars und Sternchen sowie Glitzer und Glamour reduziert, weiß das zu schätzen und kommt mittlerweile nicht nur zum Festival ausgesprochen gerne an die Spree.
Vor allem dem deutschen Film hat die Berufung Kosslicks an die Spitze der Berlinale ausgesprochen gut getan. Denn als er im Mai 2001 die künstlerische und organisatorische Verantwortung der Internationalen Filmfestspiele Berlin übernimmt, ist das größte deutsche Filmfest eher No-Go-Area als Heimspiel für die Produzenten zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen. Das ist mittlerweile (wieder) anders – nicht zuletzt dank der guten Kontakte, die der gebürtige Pforzheimer in den Jahren als Filmförderer in Hamburg (1983-1992) und Nordrhein-Westfalen (1992-2001) bei seinen diversen beruflichen Stationen aufgebaut hat.
Ob nationale oder internationale Filmschaffende, sie alle kennt Kosslick. Und sie kennen ihn. Auf dem politischen Parkett gibt er eine ebenso gute Figur ab wie auf der großen Kinobühne. Seine politischen Lehrjahre absolviert er nach einem erfolgreichen Magisterstudium (Kommunikationswissenschaften, Politik und Pädagogik) und einer Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität beim damaligen ersten Bürgermeister Hans-Ulrich Klose in Hamburg. Dort schreibt er ab 1979 für ihn Reden und leitet dessen Büro, bevor er als Pressesprecher zur Leitstelle für die „Gleichstellung der Frau“ und dann 1982 als Redakteur zur Zeitschrift „KONKRET“ wechselt. Sozialdemokratisch sozialisiert, hat er heute keine Probleme mit Leuten anderer Parteien. Das gilt für die Schwarzen wie die Roten. „Ich bin ein konservativer Linker“, definiert er sich selbst und meint damit wohl, dass es ihm in erster Linie um die Sache geht. Will heißen: die Berlinale ausbauen und Filmemacher auch und gerade auf Gebieten fördern, in denen es kein Geld gibt.
Das tut Kosslick mit Vehemenz seit Beginn seiner Tätigkeit in Berlin. „Perspektive Deutsches Kino“, „Talent Campus“ und „Generation“ sind nur ein paar Stichworte, die für die Zukunftsorientierung der Berlinale stehen. „Extra value“ nennt der Festival-Chef all das und meint damit: „Es geht um mehr, als nur über den roten Teppich zu laufen.“ Für ihn haben die Filmfestspiele einen Bildungsauftrag: „Wir müssen den Leuten auch außerhalb des Entertainments etwas vermitteln.“ In diesem Sinne ist die Berlinale für ihn immer schon politisch gewesen und wird es nach seinem Anspruch auch immer sein: „Im Rahmen des bereits zum dritten Mal bei der Berlinale stattfindenden Kulinarischen Kinos werden wir 2009 einen Film zeigen, bei dem einem der Appetit vergeht“, kündigt der bekennende Anhänger der Slow-Food-Bewegung einen Beitrag an, der in dramatischen Bildern kriminelle und unverantwortliche Vorgänge in der weltweiten Nahrungsmittelindustrie aufdecke. Ganz kurz ist die Leichtigkeit des Seins beim Festspielleiter verschwunden, auch als in diesem Zusammenhang der empfohlene Speiseplan des Berliner Finanzsenators für Hartz-IV-Familien zur Sprache kommt: „Sarrazins Vorschlag ist nicht nur zynisch, sondern auch ökologisch schwachsinnig.“
Und Kosslick weiß, wovon er spricht. Kochen – das ist nach dem Film seine zweite große Leidenschaft. Und da wird er sich und seinem Sternzeichen auch gerecht, wenn er bei allem Ernst schnell wieder zu den schönen und ihm angenehmen Dingen des Lebens kommt. Eines seiner Lieblingsrezepte „ist mein berühmter Zwiebelkuchen“. Und während einem schon – bildlich gesprochen – das Wasser im Munde zusammenläuft, wartet er mit etwas ganz Besonderem auf, zückt ein altes, mit der Hand eigens für ihn geschriebenes Kochbuch seiner Mutter und präsentiert Rezept Nr. 11: „Hefezopf! 3/4 Pfund Mehl, 125 gr. Zucker, 1 Vanillzucker, 1/2 Würfel Hefe in einer Tasse mit lauwarmer Milch mischen, 1/8 Pfund Fett, Butter oder Rama, alles zusammen mit der Hand kneten, bis der Teig schön glatt ist. Langsam in einem warmen Raum gehen lassen. Dann aus dem Teig drei Teile gleichmäßig verteilen und dann nochmals gehen lassen. Zum Schluss machst Du einen Zopf, aufs Blech setzen und mit Eigelb bestreichen. Wenn alles so weit fertig ist, backen auf 200˚C halbe Stunde in vorgeheiztem Ofen“, steht da liebevoll geschrieben. „Das sollten die Leute öfter mal samstags machen“, frotzelt der Hobbykoch, „dann würden sie auch wieder lernen, Zöpfe zu flechten.“
Kosslick selbst, der in seiner Freizeit auch Aquarelle malt und Saxophon spielt, dürfte es können. Denn zusammen mit seiner Mutter hat er oft Zopf gebacken. „Mächtig stolz ist sie, wenn ich im Fernsehen zu sehen bin“, erzählt er und scheint für einen nur kurzen Augenblick der Gegenwart entrückt und ihr ganz nahe zu sein. Ebenso schnell ist er zurück und dann auch schon wieder in der Zukunft. „Cleopatra, Lawrence von Arabien und Ben Hur“, zählt er nur einige Filmtitel begeistert auf, da sich die Retrospektive der nächsten Berlinale dem Filmformat „70 mm“ widmet. Vollends ins Schwärmen gerät er bei dem Gedanken daran, dass die Klassiker im International, das 1963 als drittes 70 mm-Kino in der DDR eröffnet wurde, zu sehen sind und damit die Bildgewalt des Breitfilms so richtig zur Geltung kommt. Die Freunde epochaler Mammutwerke wird es freuen. Der Festival-Chef selbst hat allerdings nichts davon. „Leider kann ich während der Berlinale nicht in die Retro gehen“, bedauert er und zuckt die Schultern in seiner ihm eigenen Art. Und wieder ist sie da, diese Leichtigkeit – das Göttergeschenk des Zwilling.
Detlef Untermann