Aufsteiger Berlin Grizzlies mischt die Bundesliga auf – Präsident Mick Schmidt lenkt den Verein aus Australien. Fußball. Sonst nichts. Da müssen sich die Verantwortlichen der auf Sport spezialisierten Spartensender etwas einfallen lassen, um das Publikum vor den Bildschirm zu ziehen. So kam man 2015 auf die Idee, die Rugby-Weltmeisterschaft zu übertragen, weil die Spiele im nicht so weit entfernten England ausgetragen wurden. Und siehe da: Die überaus harte wie ebenso faire Sportart der Gentlemen begeisterte und bannte bis zum Endspiel nicht nur Enthusiasten, sondern erschloss auch zahlreiche neue Freunde für die rasante Sportart. Es ist ein Zufall, dass dieses Datum mit dem richtigen Durchstarten eines Vereins zusammenfällt, der nach einem Durchmarsch von ganz unten in der Bundesliga angekommen ist, um hier zu bleiben. „Wir werden im ersten Jahr sicher noch keine Bäume ausreißen. Aber mit dem Abstieg sollte die Mannschaft nichts zu tun haben“, ist sich Gründer und Club-Präsident Mick Schmidt sicher. Die ersten beiden Spiele in der Beletage der besten deutschen Teams geben ihm recht: gegen Odin Döhren und den Hamburger RC ging seine Equipe als Sieger vom Platz.
„Wir hatten schon vier Jahre zuvor versucht, den Sport in Deutschland populärer zu machen. Doch bei unserer Kooperation mit anderen Vereinen blieb eine echte Partnerschaft auf der Strecke. Deswegen haben wir 2015 gesagt: Jetzt machen wir das alleine und so, wie wir uns das vorstellen“, blickt der gebürtige Oberberger zurück. Erfahrung hat der heute 48-Jährige genug. Schon in jungen Jahren zog es ihn hinaus, um als Profi die Welt kennenzulernen. Doch das britische Empire und Frankreich spielen europäisch in einer Liga für sich. Auf der Südhalbkugel unserer Erde jedoch ist Rugby die unbestrittene Nummer 1 – weit vor Fußball. An den Endspielen der Weltmeisterschaft, wo sich Australien und Neuseeland mehrfach gegenüberstanden, wird das ersichtlich. Hier können höchstens die Südafrikaner mitmischen, mit Abstand folgen Japan, einige südamerikanische Länder und die kleinen Inselstaaten Western Samoa, Fidschi und Tonga. Aber Deutschland? „Das ist gerade unser Traum. Das wollen wir ändern. Wir träumen nicht davon, den Fußball hier abzulösen. Aber es muss doch möglich sein, Rugby in der Publikumsgunst neben Handball, Basketball und Eishockey zu platzieren“, schwärmt Mick Schmidt. Dafür lässt er sich auf einen abenteuerlichen Spagat ein, denn der Präsident führt den von ihm gegründeten Verein vom fernen Australien aus. „Wir haben uns kundig gemacht. Das geht und ist nach Statuten möglich.“ Weil der Oberberger eine Australierin geheiratet hat, er nach vielen Führungspositionen in der Heimat sich auf dem fünften Kontinent eine mittlerweile florierende Existenz aufbaute und vor fünf Jahren hier sein Sohn zu Welt kam, hat der Deutsche inzwischen die Staatsbürgerschaft angenommen.
Doch wie kommt ein in Brisbane lebender Wipperfürther auf die Idee, ausgerechnet in Berlin den Startschuss zum Aufstieg in deutsche Rugby-Höhen zu wagen. „Das geht fast nur in Berlin. Keine deutsche Stadt ist weltweit so bekannt, Schmelztiegel für Angehörige vieler Nationen – und daher auch vieler Rugby-Begeisterter.“ Diese Situation stachelte den Geschäftsmann an, der einen Blick dafür hat, solche Gegebenheiten auszunutzen. Mit dem nötigen finanziellen Hintergrund schuf er die Basis, holte mit dem Briten Josh Harvey einen Top-Trainer, schickte seine Mitstreiter in Schulen und begeisterte die Kinder. „Wir wollen keine Profimannschaft, die hier trainiert, spielt und auf ihren Sold wartet. Wir wollen eine Rugby-Familie“, macht der 48-Jährige seinen Traum deutlich. Deshalb muss jeder der rund 60 Spieler der ersten beiden Mannschaften sein Geld selbst verdienen – unabhängig vom Rugby. Unter dem Dach der Grizzlies spielen mehrere Jugendteams, der Aufbau einer Nachwuchs-Akademie steht unmittelbar bevor. „Die Sprache der Bundesliga-Mannschaft auf dem Feld ist noch Englisch, aber wir kümmern uns intensiv um den Berliner Nachwuchs“, erzählt Mick Schmidt. Für die familiäre Atmosphäre mietete der Club mehrere benachbarte Wohnungen an. Dort leben die Spieler, kochen und essen gemeinsam und verbringen auch sonst viel Zeit miteinander. Der Berlin-Bonus kommt den Grizzlies dabei sehr zugute. Pro Woche melden sich mehrere Spieler, die im Verein aktiv werden wollen. Der Australier Ciaran Sambrook, der vor 18 Monaten auf einer Urlaubsreise Kumpels und die Stadt besuchte, ist heute immer noch da und spielt für den Verein Rugby. Und er arbeitet in Berlin. „Wir haben keinen einzigen Profi. Die Grizzlies sind eine Mannschaft von Amateuren, die auf professionellem Level Sport treibt“, schildert Mick Schmidt. Dabei hat der Deutsch-Australier nicht einmal die Wahl des Standorts dem Zufall überlassen. Mit Absicht suchte er den Südosten, genau das Willi-Sänger-Stadion im Stadtbezirk Treptow, als Zentrum der Rugbyspieler aus. „Ich habe geschaut, wo die anderen Vereine sitzen, wo viel los ist. Dort wollten wir nicht hin. Wir wollten Leuten eine Zukunft anbieten, dort, wo sich im Rugby ansonsten nicht viel tut.“ Dabei gibt ihm nicht nur der Zulauf durch die Jungs aus der Umgebung recht. Auch die Sponsoren, ohne die im Sport mit einem Aushängeschild in der Bundesliga nichts geht, wurden hellhörig. „Wir haben eine ganze Anzahl potenter Wirtschaftsunternehmen, die sich in unserer Familie wohlfühlen“, freut sich der Präsident, der 2015 seine Bemühungen hinschmeißen wollte und nun den erneuten Anlauf („Das war der letzte Versuch mit aller Kraft.“) nicht bereut.
Seitdem ging es nur bergauf. Der Weg aus der Drittklassigkeit mit dem Durchmarsch durch Liga 2 war von Siegen gepflastert. Dabei entpuppten sich die Grizzlies als wahre Raubtiere im Punktefeldzug, schickten beispielsweise im Ortsderby den alteingesessenen Berliner RC mit 146:0 vom Platz und überrannten Brandenburg mit 155:12. Doch der Präsident kann solche Sturmläufe meistens nicht miterleben. „Ja, die Entfernung ist doch zu beträchtlich. Ich will jetzt, nach dem Aufstieg in die Bundesliga, wenigstens ein- bis zweimal im Jahr live dabeisein. Derzeit verfolge ich alles übers Internet, da gibt es ja mittlerweile auch einen Liveticker zum Spiel.“ Dabei weiß Mick Schmidt, dass er sich auf seinen Manager Moritz Koburg („Den hat uns eine Glückswelle in den Verein gespült.“) verlassen kann. Alles ist solide aufgebaut. „Ich bin überzeugt, dass unsere Anstrengungen Früchte tragen“, weiß Mick Schmidt den Kraftakt von 2015 auf dem richtigen Weg. Die Liga ist längst auf die Grizzlies aufmerksam geworden. Bald werden auch die Medien hellhörig und später damit wuchern können, von Anfang an dabeigewesen zu sein.
Hans-Christian Moritz