Wo schlafen die Gäste? Diese Frage kann gelegentlich Hektik auslösen. Vor Weihnachten womöglich noch mehr, wenn das große Hin- und Herreisen zur Familie, zu Freunden oder eben einfach das Nachhausekommen der erwachsenen Kinder ansteht. Alle wollen untergebracht sein. Aber nicht jeder findet sein (ewiges) Kinderzimmer vor.
Das Gästezimmer – dort, wo genügend Platz ist für diesen Komfort – ist ganz gewiss ein Lieblingsort. Ein aus wenigen Dingen charmant arrangierter Rückzugraum, auch wenn er durch marginale Nutzung mitunter schneller als gedacht zur Abstellkammer mutiert. Da heißt es aufpassen, und Sorgfaltspflicht ist angeraten – und ja, öfter mal Gäste einladen.
Wir reden jetzt nicht vom Schlafplatz in der Orangerie für den Besuch, dem Zimmer im Familienlandsitz, vom Schloss mit Himmelbetten für alle oder über Omas Eisenbetten unter der Dachschräge. Wo wurde eigentlich der vielreisende Schriftsteller Theodor Fontane gebettet, wenn er in Brandenburger Herrenhäusern um Unterkunft bat oder zur Übernachtung samt Dinner eingeladen wurde? Gibt es von ihm ein Lob auf die Gästecouch oder ein bequemes Chaiselongue für die Nacht? In Zeiten der multifunktionalen Raumgestaltung lässt sich beispielsweise ein Arbeitszimmer mit wenigen Handgriffen in ein Rückzugsrefugium verwandeln. In Wohnbereiche muss sich neben essen, spielen, lesen, fernsehen auch eine Übernachtungsfunktion integrieren lassen. Das Zusammentreffen der Lieben soll schließlich Spaß machen!
Das verwandelbare Sofa fürs gehobene Liegen ist ein Trendmöbel schlechthin. Und Möbelhersteller haben über die Multifunktion des einstigen Sitzmöbels, über klappen, schieben, falten, herausziehen und eindrehen sowie und erst recht auch über Schönheit nachgedacht. Klappsofas und Wandbetten aus früheren Zeiten standen nicht selten dafür Pate. Das fast völlig vergessenen Ziehharmonikabett oder wie der Großvater sagte Knarrbett, weil seine Kreuzgitterholzkonstruktion bei jeder Schlafwende Geräusche wie ein alter Dielenfußboden abgab, ist ebenfalls ein Urahne der flexiblen Gästemöbel. Es ließ sich fix zu einer schmalen Liegestatt mit einer weichen, aber dünnen Matzratze auseinanderziehen und sich tagsüber zu einem kastenhaften Eckensteher zusammenschieben, der Platz bot für Legewäsche – ein altes Wort – und Decken. Wer diese Betten kennt, weiß, dass am Morgen jeder dritte Rückenwirbel den Druck von den Querstäben auszubalancieren hatte. Dennoch wäre es Zeit für ein Comeback oder besser Relaunch. Und somit ist es in einer behaglicheren Variante schon wieder da – als Bett „tojo“ von der gleichnamigen Firma mit einem Ziehharmonikaunterbau, der sich als schraubenlose Steckverbindung auf- und abbauen lässt. Das praktische Systemmöbel wurde bereits mit Designerpreisen gewürdigt.
Das „Multy“ von Claude Bisson/Ligne Rosé ist freilich kein Urahne, aber schon eine längere Zeit eine probate Schlafstatt für den Gast oder die Gäste, je nach Dimension. Es sieht noch immer jung aus, wenn man ihm begegnet. Es wirkt leicht und charmant. Eleganz und Hippness vereinen sich hier sehr vorteilhaft mit einer praktisch herstellbaren Schlaffunktion. „Balto“ ist der jüngere Bruder, von Arik Levy entwickelt. Für ganz kleine Räume haben britische Designer mit der Schlafcouch „Haru“ einen Hingucker entworfen, der gerade einmal 32 Kilogramm wiegt, zwei Knopfkissen hat und wie aus einer Bewegung zusammengerollt wirkt. Andrea Parisio steht für Eleganz aus Italien, auch mit seinem 2012 entwickelten LAW-Schlafsofa. Die lässig anmutenden Bezüge des eckig geformten Sofas lassen nicht ahnen, dass im Innern Bett-Metallgestell und ein selbst tragender Gitterrost verborgen sind. Im Premiumbereich wird der schnelle Handgriff, wenn nicht gleich nur der Knopfdruck geliebt. Mit dem Aufwand eines Daumendruckes oder sensorisch ferngesteuert wird aus einem veritablen Sofa mit Seitenlehnen, einem etwas kompakt-eleganten Zeitgenossen, wie mit Zauberhand bewegt, ein schönes hohes Bett. Der Vorteil besteht darin, dass alles das, was zum Schlafen benötigt wird, mit ausrollt. Keine Arbeit! Die Gäste können kommen! Neben der jüngeren Idee, die Betten im Sofacorpus mit allem Drum und Dran verschwinden zu lassen und eine vorwiegend duale Nutzung aus Sitzen und Schlafen zu ermöglichen, behauptet sich auch ein anderes Herangehen: Die Extension des Sofas durch Herunterklappen von Seiten- und Rückenlehnen dient einer lässigen Lebensweise, die unkompliziert sitzen, lümmeln oder schlafen gestattet.
Minimalistischen linearen Sitzgelegenheiten wird womöglich nicht unbedingt eine komfortable Schlafqualität zugetraut. Dabei ließen sich solche Schmalcouchen wie etwa GE258, ein „Daybett“ von Hans J. Wegner aus den Sechzigern, mit zwei Hebehandgriffen entsperren, auseinanderziehen oder -klappen und ein Bett ist bereitet. Das geht heute ebenso elegant z. B. mit „Scandinavia“ von Bolia. Das Bettzeug, wenn es nicht in einem integrierten Kasten verstaut ist, muss anderswo hergeholt werden. Das Schrankbett, das Le Corbusier und Pierre Jeanneret für die Weißenhofsiedlung 1927 in einer Betonwand verschwinden ließen, war ein Signal für diverse nachfolgende Holzkonstruktionen, die in den hellen funktionalen Kinderzimmern des späten Midcentury beheimatet waren. Gurte zum Festschnallen des Bettzeugs, eine Hebefunktion – basta. Schrankbetten existieren heute in einer großen Mannigfaltigkeit und erleichtern in kleinen Haushalten die Unterbringung der Gäste. Ein bisschen was hin- und herrücken und schon ist Platz geschaffen für eine großzügige Schlafsituation. Einen Klassiker der Gästebeherbergung hat 1966 Rolf Heide kreiert. Sein preisgekröntes Stapelbett (Interieur Award Cologne, 2003) aus Schichtholz hat viele Nachahmer gefunden. Die Gäste sollen es gut haben. Die Zeit der Isomatte, die irgendwo auf dem Boden ausgerollt wurde, scheint vorbei. Oder besser, es ist eine Generationsfrage und kein Geheimnis, dass die meisten hierzulande Lebenden in einem Alter sind, in dem die Luftmatratze oder eben die jüngere Isomatte ausgedient haben. Faltbare Gästematratzen – wo aber bringt man sie unter? – sind schon etwas gemütlicher und rückenfreundlicher als ihre sportiven Vorfahren aus der Backpackerzeit. Es heißt ja auch nicht Matratzensurfen sondern Couchsurfing, selbst wenn der Journalist Stephen Orth, der jüngst den Iran bereiste und daraus ein unterhaltsames Buch gemacht hat, eher auf Teppichen, zumindest auf dem Boden denn auf Sofas nächtigte. Es gibt so viele Möglichkeiten, die Nächte herumzukriegen.
Anita Wünschmann