Der Kurfürstendamm, klar, der ist weltbekannt. Schlüter-, Bleibtreu-, Mommsen- und die anderen Seitenstraßen des Ku'damms dagegen sind eher ein Insidertipp. Dabei gibt es in ihnen fast mehr zu entdecken als am berühmten Prachtboulevard.
Haben Sie einen Hund? Und sind Sie der Meinung, dass für Ihren Liebling nur das Allerbeste gut genug ist? Dann dürften Sie zur Zielgruppe von Koko von Knebel gehören. So heißt der Laden in der Uhlandstraße, dessen Motto „every dog is a star“ lautet und der so unverzichtbare Dinge wie den Bademantel Puppia (notabene für den Hund, nicht für den Hundehalter), den Geburtstagskuchen aus Plüsch („für Mädchen in Rosa, für Jungen in Blau“) und die gelbe Schwimmweste („So sichern Sie Ihren Vierbeiner für den nächsten Segeltörn“) verkauft.
Für ihre Geschäftsidee haben sich die Ladenbetreiber den passenden Ort ausgesucht. Denn in den Straßen zwischen Kurfürstendamm und Savignyplatz ist Berlin zwar möglicherweise nicht sonderlich sexy, aber auf keinen Fall arm. Hier hat Udo Waltz, der Friseur der Prominenten, seine Salons, und hier findet man jede Menge Geschäfte mit Dingen, die man nicht unbedingt zum Leben braucht – von handgefertigten Hüten über Designmöbel aus den fünfziger Jahren bis hin zu Silberschmuck. Natürlich sind auch die Passanten und vor allem die Passantinnen deutlich eleganter gekleidet als im schlampigen Berliner Durchschnitt. Sehen und gesehen werden, heißt die Devise in Gaststätten wie dem Ovest oder dem Adnan (beide in der Schlüterstraße), die in einschlägigen Gazetten Promi-Restaurants heißen und es für unter ihrer Würde halten, den Vorbeigehenden eine Speisekarte oder gar eine Preisliste zu präsentieren.
Dass es sich in den Seitenstraßen des Kurfürstendamms gut leben lässt, rührt nicht zuletzt von der Architektur her. Imposante Gründerzeitgebäude, nur ab und zu von schmuckloser Nachkriegsbebauung unterbrochen, säumen die kopfsteinbepflasterten Straßen. Sie entstanden um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, kurz nachdem der einstige Jagdweg in den Grunewald zum mondänen Kurfürstendamm ausgebaut worden war. Hier, im sogenannten Neuen Westen, fand das wohlhabende Bürgertum sein Domizil. Stucküberladene Fassaden und großzügige Wohnungsgrundrisse zeugen noch heute davon, wie besonders eindrucksvoll das Eckgebäude Kurfürstendamm/Leibnizstraße zeigt. Hinter seiner mit Kuppeln bekrönter Fassade erstreckten sich ursprünglich Elf-Zimmer-Wohnungen von 575 Quadratmeter Fläche.
Auch viele Hotels gibt es hier, darunter das Hotel Bogota in der Schlüterstraße 45. In dem 1911 als Wohnhaus errichteten Gebäude wohnte die Fotografin Else Simon, die unter dem Namen Yva berühmt wurde und als Lehrmeisterin des noch berühmteren Helmut Newton gilt. Nicht weit davon entfernt, an der Ecke Schlüter-/Kantstraße, war die Schriftstellerin Else Ury zu Hause. Sie verfasste die viel gelesenen „Nesthäkchen“-Romane und fiel wie Yva der nationalsozialistischen Judenverfolgung zum Opfer.
Überhaupt fühlten sich – und fühlen sich noch – viele Prominente in diesem Teil Berlins wohl. Der Maler George Grosz zum Beispiel lebte nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil am Savignyplatz 5, und in der Knesebeckstraße 12 schrieb Hedwig Courths-Mahler zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihre erfolgreichen Kitschromane.
Wen wundert es da, dass Kultur noch heute eine wichtige Rolle im Kiez um den Savignyplatz spielt. Das Kino Filmkunst 66 (Bleibtreustraße 12) ist eine feste Größe für Freunde anspruchsvoller Filme, und die Buchhandlung Bücherbogen in den S-Bahn-Bögen am Savignyplatz glänzt mit ihrem Sortiment im Kunst- und Architekturbereich (passenderweise gleich daneben befindet sich die Architekturgalerie Aedes). Traditionsreiche Buchhandlungen fernab vom Einerlei der Buchverkaufsfabriken sind ferner Marga Schoellers Bücherstube (Knesebeckstraße 33) und die Autorenbuchhandlung (Carmerstraße 10). In der Fasanenstraße locken das Käthe-Kollwitz-Museum und das Literaturhaus mit seinem angenehmen Café.
Ohnehin wird ja der intellektuelle Diskurs durch Speis und Trank gleich noch einmal so lebhaft, weshalb es wahrlich nicht an Gaststätten mangelt. In der Grolmanstraße zum Beispiel bieten sich das Florian und das Diener Tattersall an, aber auch das griechische Restaurant Terzo Mondo, dessen Wirt Kostas Papanastasiou man aus der „Lindenstraße“ kennt.
Berlin wäre aber nicht Berlin, wenn neben all diesen Höhepunkten nicht auch der ganz normale Alltag seinen Platz hätte. Zwischen den edlen Restaurants der Schlüterstraße betreibt der Getränkehändler Lehmann (Werbespruch: „Ick koof bei Lehmann!“) seine Geschäfte, und schräg gegenüber vom Promi-Liebling Adnan bietet der von einer religiösen Gemeinschaft getragene Franziskushof-Laden Eintopf für zwei Euro an. Auf eine Rarität stößt man am Savignyplatz: einen veritablen Eisenwarenladen, nämlich das vor 110 Jahren gegründete Geschäft C. Adolph, das von der Mistgabel über den Einkochtopf bis hin zur Türklinke alles Denkbare und Undenkbare verkauft.
Überhaupt der Savignyplatz: Der rechteckige Platz lädt zum Verweilen mitten in der Großstadt ein. Irgendwo zwischen dem schicken Restaurant Drei und der Alt-Achtundsechziger-Kneipe Zwiebelfisch wird jeder Besucher einen Ort finden, wo er sich wohl fühlt. Und dabei vielleicht an die Verse denken, welche die Lyrikerin Mascha Kaléko, vor ihrer Flucht vor den Nazis in der Bleibtreustraße wohnhaft, im Rückblick dichtete: „Ich bin, vor jenen ,Tausend Jahren‘, viel in der Welt herumgefahren. Schön war die Fremde, doch Ersatz. Mein Heimweh hieß Savignyplatz.“
Emil Schweizer
Heimweh nach Charlottenburg
37 - Winter 2008