Schon mehr als 300 Siege hat der Kasache Bauyrzhan Murzabayev, genannt Borschi, als Profi-Jockey hingelegt.
Über Weihnachten fand sich Bauyrzhan Murzabayev seit Langem wieder einmal im Kreis der Familie. Für Kurztrips ist die Entfernung zu groß. Die enge Saison und das tägliche Training ließen das nicht zu. Deswegen ist auch kein Heimweh aufgekommen bei dem Kasachen. „Ich verstehe mich mit allen gut, mit Filip Minarik bin ich sogar befreundet“, erklärt der seit vielen Jahren erstmals wieder aktive Jockey in Hoppegarten. Minarik spricht als Tscheche natürlich fließend seine Muttersprache. Und die beherrscht auch Bauyrzhan Murzabayev perfekt. Acht Jahre hat er im Nachbarland gelebt, anfangs mit Unterbrechungen und mehreren Heimreisen, die letzten sechs Jahre permanent.
Bereits mit 16 Jahren ist er aus der Heimat nach Tschechien gegangen. Und so kam es, dass der Reiter Anfang des vergangenen Jahres im Stall Germanius anheuerte. Betreut wird das erfolgreiche Quartier von der Slowakin Eva Fabianova, auch ihre Tochter Alexandra und der einstige tschechische Star-Jockey Jan Korpas sind bei Germanius beschäftigt. Verständigungsschwierigkeiten mit Bauyrzhan Murzabayev gibt es somit nicht.
Das hat seine Schattenseiten, denn so ist der Sportler nicht gezwungen, sich Deutschkenntnisse anzueignen. „Ich hätte das gar nicht geschafft“, lässt er seine Trainerin übersetzen. Die
Arbeit im Stall, die vielen Ritte – Murzabayev ist sehr begehrt auch bei anderen Trainern und Besitzern – sowie die mehrmaligen Reisen nach Tschechien, um seine Papiere zu vervollständigen, haben die Abendschule bislang verhindert.
„Das kommt schon noch“, erklärt er und gesteht, dass er eigentlich als Jockey nach England gehen wollte. Das scheiterte vor einem knappen Jahrzehnt am Visum und an seinen Sprachkenntnissen, die er im Schulunterricht vernachlässigt hatte.
Über einen kasachischen Besitzer, der mit einem in Most ansässigen russischen Trainer zusammenarbeitete, gelangte der Reiter nach Tschechien und lebte seinen Traum. „Ich wollte immer Jockey werden. Schon als kleines Kind“, verrät er. Bereits mit sieben Jahren saß er für Rennen auf Pferderücken. Das war familiär bedingt, denn Vater und Mutter betrieben eine Farm. „In der Nähe von Alma-Ata“, sagt Bauyrzhan Murzabayev. Dabei darf man keine deutschen Maßstäbe anlegen. In der Nähe heißt im neuntgrößten Flächenland der Welt rund 200 Kilometer entfernt von der einstigen Hauptstadt, die heute Almaty genannt wird und nahe der Grenze zu Kirgisien auch fast an China grenzt.
Allerdings wird auf den kasachischen Anlagen anders geritten als in Hamburg, Hoppegarten und Baden-Baden. „Es sind Sandbahnen und die Distanzen sind bis zu 20 Kilometer“, erklärt Bauyrzhan Murzabayev und freut sich über die bewundernden Blicke selbst seiner Trainerin. Und: „Bei den Ritten hatten wir auch keinen Sattel.“
Reiten ist äußerst populär in Murza-bayevs asiatischer Heimat und die Preise sind außergewöhnlich. Er zeigt auf seinem Smartphone ein Foto mit einem halben Dutzend aufgereihten nagelneuen Autos. „Für den Sieg gibt es ein Auto.“ Warum dann Deutschland? „Den Preis bekommt der Besitzer. Der Jockey kriegt seine Prozente vom Preisgeld.“ Immerhin sind die Autos so begehrt, dass kasachische Pferdefreunde allein im vergangenen Jahr mehr als 500 Vollblüter, teils bester Abstammung, in die Quartiere zwischen Almaty im Süden und der neuen Hauptstadt Astana im Norden aus Westeuropa importierten.
Weil der große und schlanke Bauyrzhan Murzabayev aber schwerer als die dort üblichen unter 50 Kilo wurde und nicht mit seinen Ritten die Garagen der betuchten Besitzer füllen, sondern als Jockey für Furore sorgen wollte, ging er ins Ausland. Anfangs hatte der junge Mann Heimweh nach den Eltern und den drei Geschwistern. Mittlerweile hat er sich an den Alltag in Ställen und auf Bahnen gewöhnt; sein drei Jahre jüngerer Bruder eifert ihm in Tschechien nach. „Das ist mein Leben, so wollte ich es“, versichert der im Freundeskreis nur Borschi genannte Jockey. Das Wiedersehen mit der Familie beschränkt sich seit seinen Jahren in Tschechien auf einen Monat zu Weihnachten. Ansonsten trifft man sich im Internet. Alles andere wäre zu aufwendig bei der Entfernung. Von Berlin bis nach Almaty sind es 4700 Kilometer Luftlinie, der Flug in die Stadt, die auf der Höhe der indischen Südspitze und der Breite Albaniens liegt, dauert sechs Stunden. „Ich fühle mich wohl hier in Europa“, versichert der junge Kasache, der in seiner Kindheit neben Reiten auch Judo betrieb. „Doch das ging nur zwei Jahre. Dann kam das“, sagt er und zeigt seinen rechten Arm, den er nach einer schweren Verletzung nicht mehr richtig geradeaus strecken kann. „Beim Reiten hindert mich das aber nicht“, sagt er. Die mehr als 300 Siege in seiner Karriere bezeugen das. Murzabayev erhielt 2012 in der neuen Wahlheimat die Lizenz als Rennreiter.
Mit drei Championaten, einem Derbysieg und Triumphen in weiteren wichtigen Rennen hatte er sich längst einen Namen gemacht und auch Siege in Ungarn, Polen, Frankreich und Deutschland eingefahren. Da kam die neue Herausforderung mittels einer Offerte des Stalls Germanius gerade recht. Bauyrzhan Murzabayev hierzulande ein prominenter Jockey geworden und mischt in der Spitze der Reiter mit. Das weckt Begehrlichkeit bei anderen Trainern. Und so heuert der Reiter für diese Saison bei Star-Trainer Andreas Wöhler in Ravensburg an.
Von Hans-Christian Moritz