Potsdam ist längst nicht mehr ein Anhängsel von Berlin. Immer deutlicher entwickelt sich die brandenburgische Landeshauptstadt zu einem attraktiven Wohnstandort, wie zahlreiche neue Projekte belegen.
Noch ist es recht ruhig in der Potsdamer Speicherstadt. Nur an dem direkt am Wasser gelegenen Kornspeicher, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter Mitwirkung des berühmten Architekten Karl Friedrich Schinkel entstand, sind fleißige Bauarbeiter zugange. Das imposante Nachbargebäude, dessen Gestalt vom kaum weniger berühmten Ludwig Persius stammt, dämmert noch vor sich hin. Und auch sonst präsentiert sich das sieben Hektar große Areal des ehemaligen Königlich Preußischen Proviantamts, zwischen Leipziger Straße und Havel gelegen, noch als nicht sonderlich anziehender Wirrwarr von Speichergebäuden und Lagerhallen aus allen möglichen Bauepochen.
Doch hier, nur wenige Fußminuten vom Potsdamer Hauptbahnhof entfernt, soll nach langem Leerstand in den nächsten Jahren ein attraktives Wohn- und Gewerbequartier entstehen. Die Bauarbeiten am Schinkel-speicher sind ein Anfang. Die Prinz von Preußen Grundbesitz AG aus Bonn schafft darin 35 Wohnungen. Die Einheiten, 75 bis 200 Quadratmeter groß, kosten zwischen 3.200 und 3.800 Euro pro Quadratmeter und werden 2009 die ersten Bewohner aufnehmen. Zwei weitere Baudenkmäler, ein Getreidemagazin und das historische Amtshaus, will das prinzliche Unternehmen ebenfalls sanieren. Zusammen mit den anderen Investoren in der Speicherstadt, nämlich dem städtischen Unternehmen Pro Potsdam und der privaten Speicherstadt GmbH, soll so in den nächsten Jahren ein aus Alt- und Neubauten bestehendes Ensemble mit zahlreichen Wohnungen und Arbeitsplätzen Gestalt annehmen.
„Allein aufgrund des einzigartigen Ensembles außerordentlicher Baudenkmäler erfreut sich Potsdam größter Beliebtheit“, sagt Theodor J. Tantzen, Vorstand der Prinz von Preußen AG. Besonders Neu-Potsdamer schätzen nach seinen Beobachtungen das Wohnen in historischen Mauern. Und von diesen neuen Bürgern gibt es viele: Während andere ostdeutsche Städte mit rückläufigen Einwohnerzahlen zu kämpfen haben, wächst Potsdam stark. Wohnten zur Jahrtausendwende noch keine 130 000 Menschen in der brandenburgischen Landeshauptstadt, so sind es mittlerweile über 150 000 – und im Jahr 2020 werden es nach Berechnungen der Statistiker sogar 164 000 sein.
Die Folge ist, dass nur noch drei Prozent der Wohnungen leer stehen. Dringend wird deshalb nach Ansicht der Stadtverwaltung neuer Wohnraum gebraucht – und zwar nicht nur im gehobenen Segment, das Unternehmen wie das des Prinzen von Preußen mit prognostizierten Mietpreisen ab neun Euro pro Quadratmeter bedienen. Vielmehr, heißt es im jüngsten Potsdamer Wohnungsmarktbericht, stehen auch „nicht ausreichend günstige Ein- und Zweiraumwohnungen sowie günstige große Wohnungen für Familien zur Verfügung“.
Zumindest kleine Wohnungen, etwa 600 an der Zahl, sollen nun auf einem anderen lange vernachlässigten Grundstück in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs entstehen: auf dem Areal des einstigen Reichsbahnausbesserungswerks (RAW) zwischen Bahngleisen und Friedrich-Engels-Straße. Neben Wohnungen plant die Unternehmensgruppe Semmelhaack hier ein günstiges Hotel, Büros und eine Messehalle.
Dass sich so viel tut in Potsdam, war vor zehn Jahren nicht zu erwarten. Damals hatte der „Spiegel“ das böse Wort von der „Hauptstadt der Jammer-Ossis“ geprägt. Doch mit der Bundesgartenschau von 2001 zog frischer Wind durch die Stadt. Sie nahm einen wirtschaftlichen Aufschwung, der sich heute in einer relativ niedrigen Arbeitslosenquote ausdrückt. Zahlreiche wohlhabende Menschen verlegten ihren Wohnsitz an die Havel und machten es damit Prominenten wie Günther Jauch, Friede Springer und Wolfgang Joop nach. Und seit vor dreieinhalb Jahren das Karstadt-Kaufhaus in der Fußgängerzone wiedereröffnet worden ist, lockt auch die Innenstadt mit einer angenehmen Atmosphäre und interessanten Geschäften verstärkt Kunden an.
Sogar zur familienfreundlichsten deutschen Stadt wurde Potsdam in einer vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegebenen Untersuchung gekürt. Wohl fühlen sich Familien zum Beispiel im Kirchsteigfeld, wo derzeit das Bauunternehmen NCC hundert Reihen- und Doppelhäuser im Bereich der Lise-Meitner-Straße hochzieht. Beliebt ist auch das Bornstedter Feld: Auf diesem einstigen Militärgelände im Norden der Stadt sind in den vergangenen Jahren Tausende von Wohnungen entstanden, nicht wenige davon in alten Armeegebäuden. So errichtet zum Beispiel die Berner Group Am Ruinenberg in vier Bauabschnitten 165 Wohneinheiten; die ersten davon sind jetzt gerade fertig geworden. „Wir sind“, sagt Pressesprecherin Karin Menzel, „sowohl von der Attraktivität des Wirtschaftsstandortes als auch von der hohen Lebensqualität Potsdams überzeugt.“
Zuvor hatte die Berner Group bereits ein ähnliches Projekt namens Parc du Bois realisiert. Französische Namen scheinen in Potsdam – wo zu Zeiten von Friedrich dem Großen ja fast mehr Französisch als Deutsch gesprochen wurde – ohnehin en vogue zu sein: Château Palmeraie (zu Deutsch Palmenschloss) taufte die Nürnberger Firma Terraplan die ehemalige Kleiderkammer der Roten Kaserne an der Nedlitzer Straße, in der 27 Wohnungen entstanden sind. Für 8 Euro pro Quadratmeter nettokalt kann man sich dort einmieten.
Doch nicht nur gewohnt wird in Potsdam. An der Schiffbauergasse hat sich ein pulsierender Kultur- und Gewerbestandort mit dem Hans-Otto-Theater als Leuchtturm etabliert. Und auf dem Gelände des Filmparks Babelsberg konnte Filmpark-Chef Friedhelm Schatz im Oktober die Metropolis-Halle eröffnen. Sie bietet Platz für 5000 Personen und ermöglicht es damit, in Potsdam auch Großveranstaltungen durchzuführen.
Berlin muss sich also auf Konkurrenz gefasst machen. Und nicht nur Berlin: „Potsdam“, sagt Theodor J. Tantzen, „entwickelt sich langsam, aber sicher zu einem Wohnstandort, der es in puncto Attraktivität durchaus mit international renommierten Toplagen aufnehmen kann.“
Emil Schweizer
Stadt im Aufschwung
37 - Winter 2008