Das Sammlerpaar Axel und Barbara Haubrok ist ein Glücksfall für Lichtenberg. Eigentlich. Aber der Bezirk stellt sich gegen den Kunstort. Berlin-Mitte ist gefühlt Lichtjahre entfernt. Kaum jemand läuft zum Vergnügen durch diesen Teil der Lichtenberger Herzbergstraße, alle haben ein Ziel, gehen ihren Geschäften nach.
Die wenigen Wohnhäuser sind in ruinösem Zustand. Die Fensterscheiben eingeschlagen. Schräg gegenüber das Don Xuan Center, eine Art riesiger vietnamesischer Großmarkt, benannt nach einer ähnlichen Einrichtung in Hanoi. Übersetzt heißt Don Xuan „blühende Wiese“. Welch Ironie in dieser Gegend. Neben unzähligen kleinen Läden gibt es in den weitläufigen Hallen Friseure, Restaurants und kleine Werkstätten. In Lichtenberg weht ein anderer Wind als in den schicken Asia-Restaurants der Innenstadt. Früher war die Gegend eines der schmutzigsten Gebiete Ost-Berlins. Der Industriebetrieb VEB Elektrokohle produzierte in der Herzbergstraße Graphitprodukte. Bevor neues Gewerbe einziehen konnte, musste der belastete Boden saniert werden. Mittlerweile haben Kreative die Gegend entdeckt, es gibt in der Nachbarschaft zwei Künstlerhäuser und das Gelände der sogenannten Fahrbereitschaft, das dem Kunstsammler Axel Haubrok gehört. Auf Kunst deutet in der Lichtenberger Herzbergstraße äußerlich nichts hin. Handwerker und Kulturschaffende arbeiten auf dem Gelände Tür an Tür. Gerade wird ein Film gedreht, augenscheinlich etwas mit Soldaten und Islamisten. Zwei „Kämpfer“ checken in der Drehpause ihre Mails. Lebendige Berliner Mischung. Das 19 000 Quadratmeter große Gewerbegelände diente zu DDR-Zeiten als Großgarage des Ministerrats und diversen geheimen Geschäften. Seit April 2013 hat die private Kunstsammlung und Stiftung Haubrok ihr Domizil in der Fahrbereitschaft. Axel und Barbara Haubrok schätzen das Areal vor allem wegen dieser bestimmten rauen Ausstrahlung, die es noch hat und die anderen Teilen Berlins mittlerweile fehlt. Ihren ersten Standort am Strausberger Platz haben sie dafür aufgegeben. „Wir wollten die Gewerbetreibenden auf dem Gelände halten, denn die Mischung ist uns wichtig“, so Axel Haubrok. Neben Autowerkstätten gibt es einen Rahmenbauer, den Arbeiter-Samariter-Bund, Künstlerateliers, einen Verlag, ein Modelabel, ein Architekturbüro. Die günstigen Preise sind ein Argument und die produktive Nachbarschaft. Am Eingang hängt der Lageplan mit der langen Liste der Mieter. 155 Leute arbeiten auf dem Gelände. Werktätige im Wortsinn sind sie alle.
Regelmäßig stellten die Haubroks in ihren Räumen Kunst der eigenen Sammlung aus, viel Konzeptkunst, Fotos und Minimalart. Auf Anmeldung standen die Räume immer samstags dem Publikum offen. Bei freiem Eintritt. Niemand störte sich daran, die Gewerbetreibenden waren zu dieser Zeit sowieso nicht auf dem Hof. Im Frühjahr dann stellte Axel Haubrok einen Bauantrag für eine Kunsthalle auf seinem Grundstück. „Wir hatten eine Vision, wollten auch andere Künste wie Musik und darstellende Künste mit einbeziehen“, so der Kunstsammler. Sein Begehr wurde umgehend abgelehnt, und wenig später kam der noch größere Schuss gegen den Bug der „Fahrbereitschaft“ nach. Die Baustadträtin Lichtenbergs, Birgit Monteiro, untersagte dem Sammler für die Zukunft jegliche Ausstellungstätigkeit und begründete das mit der Bauordnung, die für dieses Gelände nur Gewerbe vorsehe. „Mir hat es regelrecht die Sprache verschlagen“, dass mündliche Zusagen plötzlich nichts mehr wert sein sollten. Axel Haubrok ließ besagten Brief großformatig drucken und hängte ihn demonstrativ neben das Eingangstor, auf dass alle sehen können, wie man mit ihm umgeht.
Durch die Kulturszene ging daraufhin ein Aufschrei der Entrüstung. Einige Diskussionsveranstaltungen und ein Runder Tisch folgten. Der Berliner Kultursenator und der Bezirksbürgermeister Lichtenbergs sagten ihre Unterstützung zu. Die „Fahrbereitschaft“ wurde immer wieder als Glücksfall für die Gegend beschrieben. Maike Cruse, Direktorin des jährlichen Gallery Weekend und der Kunstmesse Art Berlin im Herbst, hat einen offenen Brief verfasst. Zusammen mit zahlreichen Berliner Galeristen warnt sie darin vor dem „Verlust eines einzigartigen Ortes“. Monatelang ist trotzdem nichts passiert, kein Entgegenkommen vonseiten der zuständigen Stadträtin.
Mittlerweile ist die Haubrok Foundation selbst in die Offensive gegangen. Barbara und Axel Haubrok haben im September bekannt gegeben, in Zukunft keine Ausstellungen ihrer Sammlung auf dem Gelände der „Fahrbereitschaft“ mehr veranstalten zu wollen. In ihrer Mitteilung heißt es: „Nach einem Vieraugengespräch mit Frau Monteiro, der Bewertung aller Fakten und unter Berücksichtigung der Diskussion in den letzten Monaten wurde deutlich, dass wir die Fahrbereitschaft nicht so weiterentwickeln können, wie wir das geplant haben.“ Die dort ansässigen Künstler könnten dennoch Gelegenheit bekommen, hier auszustellen, das unterstützt Axel Haubrok ausdrücklich. Der Ball liegt derzeit bei der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg, die eine Sondergenehmigung erlassen könnte.
Karen Schröder