Schlange stehen vorm Kabarett! Dass es so etwas noch gibt: Anstehen für Kultur. Aber Fehlanzeige. Ziel ist die Gemüsedönerbude direkt nebenan. Wie es scheint, ist sie in den Berlin-Reiseführern aufgeführt, was den Andrang erklären könnte. Vorbei an hungrigen Touristen rauf in den fünften Stock ins BKA, in den Comedyhimmel mit Aussicht auf die Dächer von Kreuzberg. Seit 30 Jahren hat die Berliner Kabarett Anstalt (BKA in Anlehnung an die Abkürzung für das Bundeskriminalamt) hier ihren Sitz.
Das Kabarett startete in den 1980er Jahren in einem Zelt am Mariannenplatz. Rainer Rubbert, einer der Chefs des Hauses, war von Beginn an dabei. Auf der Suche nach einem festen Wohnsitz zogen sie in die ehemalige Discothek „Dachluke“, in der früher Schlagerlegende Gunter Gabriel auflegte.
Eine Zelt-Variante blieb, das BKA-Luftschloss löste sich allerdings 2004 auf. Fortan spielte man nur noch unterm Dach am Mehringdamm. Hat man so weit oben einen Überblick über die Kabarett-Szene? Uwe Berger, Geschäftsführer und Programmgestalter ebenso wie Rainer Rubbert, sagt dazu, dass man sich diesen stets erarbeiten muss. „Da muss man immer schauen, neue Leute zu entdecken.“ Zumal sich gerade in dieser Szene vieles schnell verändert. Die Erfahrung schafft Gespür für Leute und für Trends. Ende der 70er Jahre gehörte Rubbert zu den Gründern des Kabaretts „CaDeWe“, aus dem „Die Enterbten“ hervorgingen, ein Musikkabarett, dann folgte die Gründung des BKA. Musikkabarett war neu. Und Rubbert war dafür der richtige Mann, denn er ist Komponist sowohl für Kleinkunstbühnen als auch für große Oper. Er wollte den etablierten Häusern „Die Stachelschweine“ und „Die Wühlmäuse“ etwas entgegensetzen. „Damals kam uns das bieder vor, was sie da auf der Bühne machten“, erzählt Rubbert.
Kostüme und viel Musik hielten Einzug. Die Kleinkunstbühne wurde frech, witzig und politisch. Es war nicht mehr die ganz hohe Dosis Politik und hatte für ein größeres Publikum mehr Schauwert. Die Chansonwelle überspülte Anfang der 1990er Jahre die Bühnen. College of Hearts, Georgette Dee und Tim Fischer, Popette Betancor waren die Trendsetter und gehören auch heute noch zu den Stammkünstlern des BKA. Ein wenig stolz sind die Macher auch darauf, dass sie die Travestie-Szene aus den dunklen Kneipen ins Rampenlicht geholt haben. Das Leben auf den Kleinkunstbühnen wurde damit vielfältiger, bunter. Und das politische Kabarett? „Das ist immer da“, sagt Berger. Christian Ehring, Arnulf Rating, um nur zwei Namen zu nennen, stehen hier regelmäßig auf der Bühne. „Nur“, schiebt Rubbert ein, „viele der jungen Kabarettisten nennen sich heutzutage lieber ‚Comedian‘, das klingt schicker, moderner.“ Und in den Programmen vermischen sich Alltagskritik und Witzeleien aus der Welt der Politik. Besonders auffällig gut gelingt diese Art des Kabaretts, wenn sich Künstler eine Bühnenfigur erschaffen, die aus dem Kiez kommt. So wie Edith Schröder, die von Ades Zabel zum Leben erweckt wurde. Die Dame, 52, bezieht allerlei Leistungen vom Staat und stammt aus Neukölln, ehemals Problembezirk und heute extrem angesagt (siehe Dönerstand). Diese Bühnenfigur hat sich soweit verselbstständigt, dass sie sogar Stadtrundfahrten anbietet. La Signora ist die italienische Mama mit dem Akkordeon. Carmela de Feo stattet sie reichlich mit Musik und sogar Tanz aus. Das ist sozusagen verlässliche Comedy.
Experimente sind schwieriger. „Die Humor-Reizschwelle ist in Berlin sehr hoch. Es braucht manchmal ein bisschen“, sagt Berger. Er sieht das bei den Poetry-Slam-Leuten, die zuhauf auf die Bühnen strömen, und er erinnert sich an einen fast traurigen Fall. Ein Schweizer, der zweifellos gut war, funktionierte in Berlin nicht. Der Humor kam hier weniger an.
Und das Haus setzt in seinem Spielplan einen einzigartigen Kontrapunkt: die wöchentliche Reihe „Unerhörte Musik“ mit zeitgenössischer Tonkunst des ausgehenden 20. und des 21. Jahrhunderts.
Martina Krüger