„Ups!“, denkt sehr wahrscheinlich der Besucher eines Designerhotels in Trier, wenn er den ersten Schritt aus dem Fahrstuhl hinaus in den atriumhellen Flur macht. Das Kopfsteinpflaster ist nicht so holprig wie gewohnt. Es gibt nach unter den Füßen. Schön weich. Es ist eine charmante Illusion, ein perfekter Fotoprint auf einem textilen Bodenbelag und erinnert an den historischen Ort. Das Spiel mit irritierenden Sinneswahrnehmungen und haptischen Erlebnissen hatte die Schweizer Dada-Künstlerin Meret Oppenheimer mit ihrer berühmten Pelztasse “Déjeneur en fourrure“ ja quasi schon vorweggenommen.
Die Vortäuschung von Material und Raum wiederum erfreute sich bereits in der Renaissance großer Beliebtheit. Trompe-l’œil-Malerei auf Wänden oder Böden dient einer suggestiven Wahrnehmung und gilt ob der inszenierten Perspektiven als Interieurraffinesse.
Dank neuer Scann- und Printtechnologien bzw. digitalisierter Webverfahren, können nun Textilböden Strand vortäuschen, sie können wie Granit oder Marmor anmuten. Auch ein „Rasen“ ließe sich ausbreiten. Edler sind geometrische Suggestionen. Neue Raumgefühle entstehen dort, wo sich beispielsweise abstrakte dreidimensionale Rhomben an Boden und Wand gleichermaßen ausbreiten.
Aber nicht nur das: Die Berliner Künstlerin Amélie Grözinger legt auf das marode Fischgrätparkett des Schlossbodens im märkischen Lieberose anlässlich einer Sommerkunstschau trittfeste Spiegelfolie. Der Boden unter den Füßen erreicht eine schwindelerregende Tiefe. Die Bodenhaftung scheint verloren. Schwanken und schweben statt stehen und gehen. Dabei sind Aspekte wie Sicherheit, Halt, Orientierung, Stabilität, Tritt- und Gehschalldämmung, Wärme- oder Kühlespeicherung sowie die Reinigungsfähigkeit wesentliche Faktoren für die Herstellung und Auswahl von Bodenmaterialien. Da ist noch nicht die Rede von Oberflächendesigns, von Material, Farbe, Tradition und Avantgarde.
Egal ob Natursteinböden, Holz, Laminat, Fliesen oder textiler Bodenbelag, es muss „gemetert“ werden mit dem wachsender Bedarf weltweit. Dabei existiert gleichzeitig der Wunsch nach dem Besonderen, Einmaligen, dem individuell Passrechten. Die Notwendigkeit nachhaltiger Herstellung kommt hinzu, wenn nur die Frage gestellt wird, wohin sollen die Quadratkilometer abgetretener grauer Acrylbodenflächen aus den unzähligen Büros verschwinden? „Cradle to Cradle“, die Hoffnungsformel für den geschlossenen Kreislauf vom Rohstoff zum Produkt zum Rohstoff, gerät zur Pflicht. Die Fußbodenmesse Demotex zeigt die Vielfalt des Möglichen bis zum smarten Fußbodenbelag, für dessen Zukunft der Startschuss gegeben ist etwa mit LED-integrierten Läufern oder Böden, die einen Wärmeabdruck durch stürzende Personen weitermelden können.
Wo und wie wollen wir wohnen, was wollen wir unter den Füßen fühlen, soll darauf gesessen oder nur gegangen, gespielt oder auch geschlafen werden? Sitzmöbel verwandeln sich zu Teppichen wie in Patricia Urquiolas „Garden Layers“-Projekt, das auch indoor vorstellbar ist, oder Teppiche rücken „näher an den Körper“ und wachsen vom Boden hinauf und legen sich über Daybetten und Hocker, wie es die Berlinerin Katrin Greiling mit ihrem Experiment „Structures“ in Mailand vorgeführt hat. „Elements“ von Werner Aisslinger ist wiederum ein prominentes Beispiel für den Trend modularer Bodenbeläge, die im Übrigen so wie die guten alten Wandteppiche eben auch vertikal kuschelig, vor allem aber schalldämpfend wirken. Dies ganz besonders im Zusammenspiel mit Sichtbeton und Estrich.
Natur ist ja bekanntlich ein Megatrend in den wachsenden Städten. Holz, Wolle und Pflanzen gehören dazu, aber auch komplexere Erfahrungen wollen wiedererlebt werden: Wie kann man mit einem Teppich das Gefühl wecken, als schlurfe man durch Herbstlaub, haben sich z. B. Sarah Gerner und Johanna Kolb an der Hochschule Hannover gefragt und einen Teppich entworfen, auf dem Korkpailletten beim Betreten hochklappen. Kork ist auch nicht mehr nur der Kompromiss zwischen Dielen und Li-noleum mit einem Hauch von schlechtem Gewissen wegen der Eichen. Wächst die Rinde jetzt schneller? Susana Godinho und Sónia Andrade weben jedenfalls weltweit die ersten Korkteppiche, farbenfrohe Exemplare wie „Beiriz“ und „Arraiolos“. Die beiden Frauen haben in Mozelos, südlich der Stadt Porto dafür ein Startup gegründet und nutzen Bäume aus nachhaltigem Anbau. Traditionelle Materialien, die mit Hochtechnologien veredelt oder Handwerkskünste, die samt ihrer Muster und Strukturen adaptiert und zu alt-neuen Geschichten umgewandelt werden, ermöglichen eine Vielfalt an Böden voller Zauber und sind dabei so elegant minimalistisch wie Jutta Werners „Nomad“. In ihrem Designstudio lässt die Hamburgerin graue Wolle mit silbernem Kettfaden aus recyceltem Bonbonpapier verweben.
Inwiefern vermitteln die Fußböden Identität? Können sie Geschichten erzählen? Kulturelle Begegnungen und die Entdeckung des anderen sind Inspiration für Designer, und dann trifft Geometrie auf Ornament, der Norden auf den Süden und umgekehrt oder vertraute, opulente Muster lösen sich in Pixel auf als trieben Bruchstücke ahnenhafter Informationen durch den Raum. Oder eben: „Lüdenscheid meets New York“. Geburtsort und Arbeitsplatz der deutschen Designerin Alex Proba könnten kaum verschiedener sein. Ihre Erfahrung wird einfach zu zwei Teppichen mit Mustern verknüpft, die ihre jeweils eigene Geschichte zu erzählen scheinen: „The One“ und „The Other“ bestehen aus Himalayawolle und Seide und 152 000 Knoten pro Quadratmeter und sind verwandter als gedacht.
Das Leitthema der kommenden Bodenmesse im Januar 2019 lautet „Create‘n‘Connect“. Vernetzung in allen Lebensbereichen trägt dazu bei, so heißt es im Pressedossier, dass sich Wohnen, Arbeiten und Zusammenleben ständig verändern. Technologie und digitaler Wandel beschleunigen diese Entwicklung. Es geht um neue kulturelle Gewohnheiten, ein Miteinander, das sich auch in der Wohnumwelt ausdrückt.
Pastell- und naturfarbene nahezu monochrome Bodenbeläge als Ruheinseln und Laufstrecken bleiben dabei wohl immer beliebt. Vor allen wenn sie so schlicht skandylike daherkommen wie Margrethe Odgaards Teppich „Ply“ oder die subtilen grafischen Schönheiten des dänischen Labels „Linie Design“.
Anita Wünschmann