Der besondere Draht

Regisseurinnen rückten in diesem Jahr in den Fokus der Berlinale. Die Retrospektive der Internatio-nalen Filmfestspiele zeigte unter dem Titel „Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen“ eine Auswahl von Filmen, die Frauen verantwortet haben. Aber abgesehen von diesem aktuellen Ereignis lohnt ein Blick in die weibliche Filmgeschichte. 

Es gehen mehr Frauen als Männer ins Kino – und das in jeder Altersklasse. Bei den Machern von Filmen ist dieses Verhältnis umgekehrt. Frauen sind eher die Seltenheit auf dem Regiestuhl. Die Gründe ähneln denen in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Es ist immer die Frage, was trauen Männer einer Frau zu und was trauen sich Frauen selbst zu?

Blickt man in die Filmgeschichte, stehen für die Bundesrepublik Namen wie Rainer Werner Fassbinder und Wim Wenders, für die DDR Konrad Wolf, Frank Beyer, Egon Günther. Wo bleiben die Frauen jener Zeit: Evelyn Schmidt und Jutta Brückner? Rühmliche Ausnahme ist Margarethe von Trotta, deren Filme „Die bleierne Zeit“ (1981) und „Rosa Luxemburg“ (1986) einem breiten Publikum bekannt sind. Aber die anderen Frauen sind einer großen Öffentlichkeit kaum bekannt. Sind sie von der Geschichtsschreibung untergebuttert worden und so schneller in Vergessenheit geraten? Möglich wär’s. Beispielsweise „Zur Sache, Schätzchen“ (1968). Uschi Glas startete mit diesem Film ihre Karriere, Ausdrücke, wie „Dumpfbacke“ oder „fummeln“ fanden den Weg in die Alltagssprache. „Das wird böse enden!“ ist ebenfalls ein Satz aus diesem Film. Die Komödie um den Schlager dichtenden Nichtstuer, der unverschuldet in die Fänge der Polizei gerät, war ein Kino-Erfolg. Wer hat ihn inszeniert? May Spils. Die Regisseurin arbeitet später mit „Nicht fummeln, Liebling“ in der gleichen Richtung weiter. Doch ihr Name ist kaum präsent. Wenn Til Schweiger heute einen Film zeigt, dann ist der Titel nachrangig. Es ist ein Til-Schweiger-Film. Dieser Vergleich ist nicht ganz gerecht, denn die Marketing-Mechanismen haben sich deutlich geändert. Aber solch einem Vergessen fielen einige Regisseurinnen anheim, was ihre Arbeit nicht schmälert. 

So muss man auch an Ingrid Reschke erinnern. Sie war eine von 65 Regisseurinnen der DEFA und schuf mit „Wir lassen uns scheiden“ (1968) und „Kennen Sie Urban?“ (1971) unterhaltsame Gegenwartsfilme, die viele Kinozuschauer hatten. Letzteren arbeitete sie zusammen mit Ulrich Plenzdorf. Er hatte eine Theorie, warum Frauen sooft Heldinnen in DEFA-Filmen waren: In sie konnte man besser den Zweifel an der Zeit und den Umständen pflanzen, ihre Meinungen wurden nicht so ernst genommen, sie konnten mehr Fragen stellen. Mit „Die Legende von Paul und Paula“ hat er eines der besten Beispiele geschaffen. Gemeinsam mit Reschke, die als Regisseurin vorgesehen war, schrieb er am „Paul und Paula“-Drehbuch. Sie konnte den Film nicht drehen, weil sie 1971 bei einem Autounfall starb. 

Einen großen Anteil haben Frauen am Dokumentarfilmschaffen. Beispielsweise „Der Augenzeuge“, die Kino-Wochenschau in der Sowjetischen Besatzungszone, 1946. Marion Keller war Chefredakteurin dieser 15-minütigen Streifen, die vor dem Hauptfilm liefen. Sie hat diese Kurzfilme geprägt, die 1980 eingestellt wurden. Marion Keller war mit Kurt Maetzig verheiratet, der mit zu den DEFA-Gründern gehörte. Der Eintrag auf „Wikipedia“ zum „Augenzeugen“ beschreibt ihre Funktion korrekt, würdigt sie aber eher als „Ersatz“, weil Maetzig so viel zu tun hatte. 

Manchmal sind es persönliche Erlebnisse, Erfahrungen aus der eigenen Familie, die Frauen anregen, Dokumentarfilme zu machen. In „Tue recht – und scheue niemand – Das Leben der Gerda Siepenbrink“ (1975) von Jutta Brückner erzählt die Autorin die Geschichte ihrer Mutter von deren siebten bis zum 60. Lebensjahr. Und der Zuschauer taucht ein ins kleinstädtisch-bäuerliche Kleinbürgertum von 1922 bis 1975. Helke Misselwitz’s „Winter adé“ (1988) beginnt genau an der Stelle, wo sie 1947 im Krankenwagen unter Mithilfe ihrer Großmutter geboren wurde: an der Eisenbahnschranke in Planitz bei Zwickau. Und hier beginnt sie ihre Reise von Sachsen bis an die Ostsee, auf der sie die unterschiedlichsten Menschen trifft. Ein beeindruckender Schwarzweißfilm, den anzusehen es lohnt, vor allem auch, um ostdeutsche Geschichte besser zu verstehen.

Eine besondere Stärke von filmemachenden Frauen ist sicher auch, dass sie gut zuhören und sich in viele soziale Schichten hineindenken können. Der Schlüssel ist möglicherweise ein unausgesprochenes Bündnis zwischen Regisseurin und den Protagonisten. Manchmal braucht es einen besonderen Draht zu den Filmhelden, wie beispielsweise ihn Iris Gusner in ihrem Spielfilm „Alle meine Mädchen“ (1980), in dem es um eine Frauenbrigade geht, fand. Das gilt sicher auch für Petra Tschörtners erfrischendes Dokumentarstück „Berlin – Prenzlauer Berg: Begegnungen zwischen dem 1. Mai und dem 1. Juli 1990“. 

„In den Jahrzehnten entstand, in West und Ost, eine großartige filmische Vielfalt, stilistisch wie thematisch“, urteilt Rainer Rother, Leiter der Retrospektive und Künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek. 

Zu der Thematik sind auch zwei Publikationen erschienen: „Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen“ und „Sie. Regisseurinnen der DEFA und ihre Filme“ Herausgeber: Cornelia Klauß/Ralf Schenk. Dem Buch sind 2 CDs mit insgesamt 18 Filmen beigelegt. Beide Bertz+Fischer Verlag. 

Martina Krüger 

 

77 - Winter 2019
Kultur