Was wäre eine Stadt ohne ihre Plätze. Manche sind groß, manche klein. Manche berühmt, manche unbekannt. Sie sind quirlige Touristenattraktionen oder lauschige Rückzugsorte für die Stadtbewohner. Plätze in der Stadt haben ihre Geschichte und kleinen Geheimnisse, die es zu ergründen lohnt. Diesmal: Der Antonplatz
Der Antonplatz liegt dort, wo der Bezirk Prenzlauer Berg endet und Weißensee beginnt. Es ist ein kleiner, unscheinbarer Platz, aber immerhin, der große Lyriker Peter Hacks hat ihn in seinem Gedicht „Irrtümer“ erwähnt:
„Eine rosarote Katze – Eine himmelblaue Maus – Treffen sich am Antonplatze – Und erkennen sich durch-aus …“
Keine Ahnung, was Katz und Maus auf dem Antonplatz zu suchen hatten, ist ja mit den Häusern drumherum, den vielen Autos mittendrin und den Straßenbahnen, die sich ausgerechnet hier quietschend in die Kurve legen, nicht gerade ein Katzen- und Mäuse-Schlaraffenland. Nicht weit weg gibt es schönere Gegenden, unten, am Weißen See, da steht sogar ein Milchhäuschen. Vielleicht waren die beiden ja bloß mal im Kino, das Toni heißt und die größte Attraktion am Platz ist, da laufen manchmal gute Zeichentrickfilme mit Katzen und Mäusen in Hauptrollen.
Die Bebauung um den heutigen Antonplatz begann Mitte des 19. Jahrhunderts. Einer seiner Gründungsväter ist der Bodenspekulant Gustav Adolf Schön, Sohn eines Hamburger Großreeders. Der zog nach Berlin, kaufte vor den Toren der Stadt viel Boden, baute Häuser, gründete mit ein paar anderen Bodenbesitzern das städtische Weißensee. Als das Geld vom vielen Spekulieren knapp wurde, pumpte er seinen Bruder Anton Matthias an. Zum Dank bekam der Platz um 1874 Antons Namen und Anton übernahm auch den Vorsitz im Aufsichtsrat der „Weißenseer Actien-Gesellschaft“. Da war sein Bruder Gustav Adolf schon nach Paris weiter gezogen.
Selbst ein Kaiser-Wilhelm-Denkmal gab es mal, eines von ungefähr 1000, die in Deutschland aufgestellt wurden, und für ein paar Jahre, von 1898 bis 1903, trug der Platz seinen Namen. Wo das Denkmal geblieben ist, ist nicht herauszufinden, wahrscheinlich wurde es eingeschmolzen, als Deutschland Kanonen brauchte für den nächsten Krieg.
Glücklicherweise gibt es das Kino noch, das 1920 hier als Stummfilmpalast mit 700 Plätzen eröffnet wurde, damals als Decla-Lichtspiele – heute heißt es Toni. Inmitten der namenlosen, austauschbaren architektonischen Verirrungen der letzten Jahrzehnte mit Friseur und Reisebüro, Nagelstudio und Apotheke, Schuster und Wettbüro im Erdgeschoss – praktisch und profan – ist das Kino eine letzte Erinnerung an eine längst verlorene Zeit. Weißensee, kaum einer weiß das noch, war einmal Filmstadt. 1913 wurde gleich um die Ecke das erste Stummfilmatelier eröffnet, ein Gebäudekomplex mit allem, was moderne Filmproduktion damals brauchte, ausreichend Größe, Ateliers, Garderobe, Kopiereinrichtungen, Anlagen zum Kolorieren.
„Der Hund von Baskerville“, berichten die Chroniken, war einer der ersten Filme, die hier gedreht wurden. Filme wie „Das weiße Grab“, „Die Brillanten der Herzogin“ und die „Welt ohne Männer“ folgten. Eine zweite Studioanlage entstand. Joe May, der später nach Hollywood ging, produzierte „Die Spinnen“ in der Regie von Fritz Lang. Im gleichen Jahr wurde dort der legendäre Streifen „Das Cabinet des Dr. Caligari“ gedreht. Auch Marlene Dietrich stand, noch in Nebenrollen, in Weißensee vor der Kamera. Erst als ab 1928 der Tonfilm seinen Siegeszug begann, ging es abwärts mit den Ateliers in Weißensee. Wo einst Filme entstanden, steht heute ein Wohnhaus. Nur eine Gedenktafel erinnert an die glorreiche Filmzeit in Weißensee.
Im Kino Toni, dessen roter Schriftzug weit über den Platz leuchtet, wird an diesem Abend „Colette“ gezeigt, Keira Knightley in der Rolle einer Frau, die gesellschaftlichen Zwängen den Kampf ansagt; im Tonino, der zweiten Spielstätte, zeigt Byambasuren Davaa „Meine Mongolei“. In den 1920er Jahren gab es am Platz sieben Kinos, heute sind die Betreiber froh, wenn sie das eine einigermaßen auslasten können.
Die sowjetische Militäradministration übergab das Kino 1947 dem Privatinvestor Herbert Bendel, der es bis 1979 als letzter privater Kinopächter Ost-Berlins betrieb. Zur Wende stand das Toni leer und die Treuhand verkaufte es an den in München lebenden Regisseur Michael Verhoeven. Der ließ es sanieren und baute das Tonino ein. Doch in nur acht Jahren sank die Besucherzahl auf ein Viertel. Besser wurde es erst, als das Toni 2010 in die Berlinale-Spielstätten aufgenommen wurde.
Verhoeven, inzwischen alt geworden, hat das Kino und die Immobilie im Herbst 2017 an Thorsten Frehse und Matthias Mücke, Inhaber des 1997 gegründeten Berliner Filmverleihs Neue Visionen, verkauft, die auch das Moviemento in Kreuzberg und das Central in Mitte betreiben. Zum Programm von Neue Visionen gehören europäische Filmkunst, sozialkritische Filme, Dokumentarfilme und junges deutschsprachiges Kino. Ach ja, die Katze und Maus:
„... Und sie wandeln von dem Platze – Ohne Zwischenfall nach Haus – Rechts, nach Weißensee, die Katze – Links, nach Lichtenberg, die Maus.“
Thomas Leinkauf