Sie war die schnellste Frau der Welt, die Königin des Sprints. Heute begibt sich die ehemalige Leichtathletin Katrin Krabbe auf lange Wandertouren und engagiert sich in der Hospizbewegung.
Die Distanzen haben sich nicht verdoppelt oder verdreifacht. Sie haben sich verhundert-, ja vertausendfacht. Statt die kürzesten Strecken in der Leichtathletik in rasender Geschwindigkeit zu durcheilen, genießt Katrin Zimmermann heute lange Wanderungen. „Ja“, gibt sie lachend zu, „die Streckenlänge hat sich schon gravierend geändert.“ Die Leichtathletik liegt für Katrin Zimmermann in so weiter Ferne wie die große Bühne, auf die sie der Sport vor fast einem halben Menschenleben katapultierte. „Jahrelang hatte ich mit der Leichtathletik nichts mehr am Hut, nahezu alle Kontakte waren abgerissen. Erst die Europameisterschaft in Berlin hatte mich im vergangenen Sommer wieder ein bisschen neugierig gemacht und ich war drei Tage zu Wettkämpfen im Olympiastadion“, sagt die einstige Königin des Sprints.
Oft wird die Neubrandenburgerin als einst schnellste Frau der Welt identifiziert und um ein Autogramm oder das heute üblichere Selfie gebeten. Vor allem dann, wenn sie sich durch Fernsehsendungen in die Öffentlichkeit begab, die sie jahrelang mied. Aber auch bei der Arbeit im Autohaus, in dem die Mutter zweier erwachsener Söhne seit anderthalb Jahrzehnten angestellt ist. „Meine Arbeit hat mit Sport nichts mehr zu tun“, winkt sie bei der Schilderung ihrer Tätigkeit ab, die sich „geprüfte Serviceassistentin“ nennt und für die sie einen zwölfmonatigen Lehrgang in Köln sowie mehrere Stationen bei ihrem Arbeitgeber absolvieren musste. „Die Arbeit ist in Ordnung, wir verstehen uns hier alle gut.“
Die Explosivität, mit der die blonde schlanke Läuferin vor fast drei Jahrzehnten aus dem Startblock schoss, hat Katrin Zimmermann abgelegt. Zwar plaudert sie angeregt über die unterschiedlichsten Themen, doch jeder Satz scheint wohlüberlegt zu sein. „Ja“, gibt die als Katrin Krabbe bekannt gewordene Sportlerin zu, „ich habe mich geändert. Sicher bin ich auch vom Wesen eine andere geworden“, fügt sie an. Als erster gesamtdeutscher Sportstar wurde die noch Jugendliche von den Medien zuerst mit einstimmigen Jubelarien auf den Thron gehoben, von dem sie mit schmerzenden Buh-Rufen wieder hinuntergestoßen wurde. „Ich wurde durch meine sportlichen Erfolge in eine Welt geschleudert, die nicht meine war und in der ich mich nicht wie gewohnt bewegen konnte“, erinnert sich die heute 49-Jährige der Monate nach ihren Goldmedaillen 1990 bei der Europameisterschaft in Split und erst recht nach ihren fast sensationellen Triumphen ein Jahr danach bei der Weltmeisterschaft in Tokio. Dort besiegte die damals 21-Jährige für viele sensationell die als unschlagbar geltende Merlene Ottey aus Jamaika und sämtliche US-Sprinterinnen sowohl über die Königsdisziplin 100 Meter als auch über die doppelte Distanz. Vielleicht wäre die Weltmeisterin weiter wie eine Heldin gefeiert und mit dem Glorienschein bedacht von einer Talkshow in die nächste gereicht worden, hätte sie als bekennende Ostdeutsche nicht die Selbstherrlichkeit des politisch siegreichen Westens angekratzt. Dass sie sich an die neue Hymne gewöhnen müsse, weil die der DDR jahrelang ihre gewohnte war, brachte dem Teenager in der Führungsriege ebenso Minuspunkte ein wie ihre Kritik an übersättigten Funktionären.
Man suchte akribisch und fand den dunklen Fleck. Als ihrer Sportgruppe unter Trainer Thomas Springstein enorm kostenaufwendig am Ende eines Trainingslagers in Südafrika Dopingproben abverlangt wurden, die ein Kölner Labor als verdächtig einstufte, mutierte der Triumphmarsch binnen kürzester Zeit zum Spießrutenlauf und die Sportlerin wurde medial vom Thron an den Marterpfahl gestellt. Aus den unzähligen Anschuldigungen, Verhandlungen und Urteilen ging Katrin Krabbe zwar als Siegerin hervor und wurde mit einer stattlichen Entschädigung bedacht. Doch der Ruf schien ruiniert, die Nerven waren es nach jahrelangem Rechtsstreit ohnehin, und wegen der Geburt ihres ersten Sohnes schmiss der einst gefeierte Sportstar die Laufschuhe 1995 endgültig in die Ecke.
Die ersten Aufs und Abs schienen überstanden, zumal Katrin mit dem ehemaligen Leistungssportler Michael Zimmermann ihren Traummann gefunden hatte und die Söhne Bruno und Aron das harmonische Familienleben komplettierten. Doch der falsch versteuerte Millionen-Bonus aus dem Rechtsstreit um ihre ungerechtfertigte Dopingsperre ließ den Fiskus auf den Plan treten, und der Daumen zeigte erneut nach unten. Auch das meisterte die Neubrandenburgerin und rappelte sich dank der Hilfe vieler Freunde wieder auf. Das Familienleben mit den beiden Söhnen war intakt, bis der Selbstmord ihres Mannes im Mai 2015 sie wieder schlagartig in die gemiedene Öffentlichkeit zerrte. Die zahlreichen Tiefschläge formten Katrin Zimmermann zur Stehauffrau, die nun aber aus dem Schatten trat und ihre Probleme nicht in aller Stille in sich hineinfraß.
Dabei half ihr die Hospizarbeit, die sie ein paar Monate zuvor begann. „Ich habe irgendwann einen Vortrag darüber gehört – das hat mich sehr stark berührt“, erinnert sie sich. Nach einer Nacht des Nachdenkens suchte sie Kontakt zu entsprechenden Stellen, machte Lehrgänge und Schulungen und ist seither ehrenamtlich Ansprechpartnerin für Personen, denen sie mit Trost, Nähe oder einfach ihrer Anwesenheit helfen kann. „Ich weiß, wie wichtig diese Arbeit ist. Ich habe keine Berührungsängste und freue mich, wenn ich andere Menschen in schwierigen Situationen unterstützen kann“, erzählt sie. „Ich versuche, den Leuten noch schöne Momente zu vermitteln.“ Auch Lachen kann helfen oder sogar heilen. In Seminaren bildet sie sich ständig weiter zu diesen Themen und ist in der Hospizarbeit mittlerweile fest verwurzelt.
Die schönen Momente kann Katrin Zimmermann mittlerweile auch selbst wieder genießen. Nicht nur im hübschen Haus in Neubrandenburg, in dem Katrins Bruder als Architekt eine Etage für seine Familie, eine für Katrins und eine für die Eltern geplant und gebaut hat. „Ich dachte am Anfang: Drei Generationen unter einem Dach? Aber es geht, man hat kurze Wege und immer Hilfe, wenn sie gebraucht wird“, freut sich die Frau, die auch fast 25 Jahre nach dem Karriereende als Leistungssportlerin ihr Wettkampfgewicht gehalten hat und fit scheint wie eh und je.
„Ganz habe ich dem Sport auch nicht tschüss gesagt“, gesteht sie. Einmal in der Woche trainiert sie in der Gruppe. Am Nationalfeiertag umwanderte sie mit einer Freundin den Tollensesee. „37 Kilometer! Die letzten sind uns ganz schön schwergefallen. Aber es hat Spaß gemacht.“ Das Wandern ist zu einer Passion geworden. Mit der Freundin absolvierte sie vor zwei Jahren ein strammes Programm zu Fuß auf der britischen Cornwall-Halbinsel, im Vorjahr kreiselte das Duo von Lindau aus um den Bodensee. „Bei schönem Wetter macht es natürlich mehr Spaß, dann haben wir Essen und Trinken fürs Picknick unter freiem Himmel immer dabei.“
Hans-Christian Moritz