Die Berlin Volleys sind einer der erfolgreichsten Volleyballvereine Deutschlands. Ihren Aufstieg haben sie vor allem einem zu verdanken: ihrem Manager Kaweh Niroomand (66).
„Der Sport ist so vielschichtig, wie er leider in den Medien nie dargestellt wird.”
Das Telefon klingelt. Ein flüchtiger Blick auf die Nummer, dann bittet Kaweh Niroomand: „Da muss ich mal kurz ran. Das ist wichtig.“ Das Gespräch dauert nicht länger, als einen Schluck aus der Kaffeetasse zu nehmen: „Jetzt haben wir wieder Zeit zur Unterhaltung“, sagt er. Bis zum nächsten Schnurren des mobilen Gerätes.
Der Manager der Berlin Volleys war in diesem Winter mehr beschäftigt denn je. Es lief nicht wie gewohnt rund bei dem Verein, der den nationalen Volleyball der Männer in den vergangenen zehn Jahren geprägt hat wie kein anderer. Sogar die kontinentale Spitze mischten die Berliner auf, standen 2015 im Halbfinale der Champions League und gewannen im Jahr darauf erstmals einen Europapokal.
Diese Erfolge wären undenkbar ohne Kaweh Niroomand, dessen Name für Volleyball in Berlin steht wie Marco Baldi für Basketball und Bob Hanning für Handball.
„Mister Volleyball“ hatte den damaligen SC Charlottenburg kurz nach der deutschen Wiedervereinigung für sich entdeckt und als Geschäftsführer aus einer grauen Maus zur Nummer 1 gemacht. Und nun rütteln Clubs aus dem tiefen Süden der Republik am Thron des Meisters, der in den vergangenen sieben Jahren sechsmal ganz oben stand. Da ist der Manager gefragt, seinem Team nochmal eine personelle Auffrischung zu verpassen. Bei der internationalen Vernetzung der Profisportler und ihrer heute üblichen Berater geht das bis zum möglichen Probetraining und der endgültigen Vertragsunterschrift vorwiegend telefonisch. Deswegen klingelt das Gerät gerade wieder.
Berliner Volleyball und Kaweh Niroomand – das ist wie ein Synonym. Dabei rannte der im Dezember 1952 geborene Junge im heimatlichen Teheran wie alle Gleichaltrigen dem Fußball hinterher. „Das war noch richtiger Straßenfußball. Und ich war immer dabei, wenn mein Vater gerade mal weggeschaut hatte“, erinnert sich der gebürtige Iraner. Da sein Vater aber nicht immer wegschaute und Kaweh die bestmögliche Ausbildung ermöglicht werden sollte, beschloss der Familienrat die Fortsetzung der Schule und anschließendes Studium in Deutschland.
Ohne ein Wort der fremden Sprache kam der Zwölfjährige zu einer Gastfamilie nach Tecklenburg. „Deutsch war mir völlig fremd, ich sprach kein Wort. Aber das geht in dem Alter unheimlich schnell, wenn man darauf angewiesen ist.“ Seine Fußball-Liebe allerdings musste er in andere Bahnen lenken. „Ich wohnte nördlich von Gelsenkirchen und Dortmund. Die Bundesliga kannte ich ja aus unseren Medien. Und als mich jemand 1967 zum Spiel Dortmund gegen Bremen mitnahm, wurde ich Borussia-Anhänger. Nicht wegen des 2:1-Sieges damals. Aber ich verfolge bis heute aufmerksam den Verein, bin sozusagen Fan.“
Seine Schule hatte aber Volleyball statt Fußball auf dem Stundenplan, und so entdeckte der Junge eine für ihn neue Sportart. Und damit entdeckte er seine große Liebe. Als Aktiver schaffte er es mit dem VC Hannover bis in die Bundesliga, als Inhaber der höchsten Trainer-Lizenz bis zum Assistenten des Bundestrainers. Und als Übungsleiter einer Frauen-Mannschaft lernte er seine Frau Jutta kennen, mit der er zwei erwachsene Söhne hat; und im April steht die Geburt des ersten Enkels bevor.
Aus der geplanten Rückkehr in den Iran wurde nichts, weil nach dem Ende der Schah-Herrschaft durch das heute noch regierende Mullah-Regime alles andere als eine Demokratie einzog. Zudem hatte sich der Mann aus Nahost mit den deutschen Werten sehr angefreundet, fand vor allem die Trennung zwischen Staat und Religion sinnvoll, die gerade in seiner Heimat als Verschmelzung praktiziert wurde. Also sah er sich mit abgeschlossenem Studium als Bauingenieur an der TU in Berlin nach einem Job in der neuen Heimat um und machte schließlich bei einem großen internationalen Software-Unternehmen Karriere als Top-Manager. Ohne aber jemals seinen mittlerweile geliebten Volleyball zu vernachlässigen. In dem Sport geht der 66-Jährige nach dem Abschied aus dem Berufsleben nahezu völlig auf. „Aber alles ehrenamtlich. Ich mache nichts mehr für Geld“, gibt er lachend zu Protokoll. Dabei wäre Geschäftsführer eines am obersten Level spielenden Bundesligisten ein tagfüllender und hauptamtlicher Job – wie man schon an den ungezählten Telefonaten während dieser Stunden ablesen kann. Doch nicht für Kaweh Niroomand, der ehrenamtlich auch in der Vereinigung Berliner Kaufleute und Industrieller, als Sprecher der Berliner Profisportvereine oder im Aufsichtsrat der Securitas aktiv ist und seit dem vergangenen Herbst als gewählter Vizepräsident die Finanzen im Deutschen Olympischen Sportbund verantwortet.
Dieses unermüdliche Tätigsein für andere ist Niroomand so in Fleisch und Blut übergegangen, dass er auf dieser Schiene auch mit seinen Volleys arbeitet. „Der Sport ist so vielschichtig, wie er leider in den Medien nie dargestellt wird“, sagt er. Viele Konflikte könne man über den Sport lösen. Dabei muss man nicht an die große Weltpolitik denken. Allein was Mobilität, Bewegung und Gesundheit angeht, steht der Sport an erster Stelle. Doch als Sozialfaktor werde er zu wenig wahrgenommen. Mit der Suchtklinik Vivantes, den Herzfreunden und neuerdings auch der Berliner Stadtmission verbinden die Volleys ihr soziales Engagement. „Da gibt es so viele Möglichkeiten“, sagt Niroomand und nennt aus der jüngsten Zeit ein Essen für Helfer dieser Organisationen, Spendensammlungen während der Bundesliga-Begegnungen. Demnächst ist ein kompletter Spieltag für Sozialprojekte geplant.
Einige der Aktivitäten sind abgestimmt mit den anderen Berliner Vereinen, die Profisport bestreiben und deren Sprecher Kaweh Niroomand ist. Die Aktion „Proficlubs machen Schule“ ist so großartig angenommen worden, dass die Fußballer, Eishockeyspieler, Hand- und Basketballer sowie Volleyballer jetzt nicht nur Schüler besuchen, sondern ihr Angebot seit einigen Monaten auch erfolgreich auf Kindergärten ausgedehnt haben. „Wir können dabei Werte vermitteln – das ist das Wichtigste.“ Und die sollen nachhaltig sein. Es ärgert Kaweh Niroomand, wenn Erfolge im Nichts verpuffen. „Unsere Nationalmannschaft ist Vizeeuropameister geworden. Und hier hat es keiner mitgekriegt“, bedauert er die fehlende Aufmerksamkeit für die Volleyball-Nationalmannschaft bei Ereignissen außerhalb des Landes. Für einen Erfolg mit seinem Club sorgte er allerdings mit dem gewagten Schritt, vor einem Jahrzehnt die kleine Charlottenburger Arena zu verlassen und die Begegnungen in der mehr als doppelt so großen Max-Schmeling-Halle auszutragen. „Das war ein Risiko, schon wegen der viel höheren Kosten. Aber wir haben jetzt einen Volleyballtempel, der Deutschland schon ein bisschen revolutioniert hat“, freut er sich über den Schnitt von 5 000 Zuschauern pro Spiel, die in die alte Halle nicht einmal hineingepasst hätten.
Dass aus der Vereinigung der Profivereine einer neidvoll auf den anderen blickt, sieht Kaweh Niroomand nicht. „Ich werde das oft gefragt. Aber ich vergleiche das mit einer Gaststätte, neben der sich eine andere ansiedelt und dann noch eine. Die Straße wird durch ihre Gaststätten bekannt und zieht immer mehr Publikum an. So ist es auch bei uns. Wir arbeiten nach dem Motto: Eine Stadt – eine Stimme.“ Und so besucht er, je nach Gelegenheit, auch die Partien von Union oder Hertha, den Eisbären, Alba oder den Füchsen.
Dass die Freizeit nach dem Abschied aus dem Berufsleben mehr geworden ist, das will Kaweh Niroomand nicht unterschreiben. Vielleicht hat sich die Anzugsordnung verändert. Der Krawattenfreund kommt heute schon mal im legeren Pullover daher. Das geliebte Joggen musste wegen des lange verschleppten Knieleidens dem Radfahren und Walken weichen. Das immer noch hautnahe Verfolgen des Geschehens im Iran braucht auch seine Zeit. Doch bereut hat er es nie, dass er nach dem Studium nicht in die alte Heimat zurückgegangen ist. Die neue Heimat ist für ihn keine neue mehr. Kaweh Niroomand hat längst nicht nur den deutschen Pass und sich in mehr als 50 Jahren hier auch sein komplettes Leben aufgebaut, seinen Freundeskreis, seine Beschäftigung, seine Hobbys, wie er erzählt. Dann klingelt wieder das Telefon …
Hans-Christian Moritz