Auf Linie

Der Norweger Hans-Christian Bauer hat die klassischen Rillenvasen des Dänen Svend Hammershøi neu interpretiert. Svend Hammershøi war ein bedeutender dänischer Keramiker. 55 Jahre seines Lebens arbeitete er für das Familienunternehmen Kähler in Næstved auf Seeland. Besonders seine gigantischen Rillenvasen aus rotem Ton wurden berühmt. Bald 70 Jahre nach seinem Tod hat der Produktdesigner Hans-Christian Bauer Hammershøis Stilistik aufgenommen und entwirft von der Vase bis zum Speisegeschirr alles, was auf den Tisch gehört. „Diese Linien!“, schwärmt der junge Norweger. Es ist seine Erinnerungsarbeit für ein großes Vorbild.

Hermann J. Kähler (1808–1884), der Firmengründer, war ein Töpfer aus Heiligenhafen. 1839, als Holstein noch ein Herzogtum der Dänen war, machte er sich mit seiner Familie auf nach Næstved ins Königreich, wo er eine kleine Keramikwerkstatt eröffnete. Nicht nur die Herstellung kunstvoller Kachelöfen gehörte forthin zu den Aufgaben von Kähler und seinen Nachkommen, auch auf das Töpfern von feiner Tonware wie Gefäße und Fliesen mit glasierten Oberflächen verstand er sich. Die historischen -italienischen Vorbildern nachempfundene rubinrote Glasur machte Furore. Die in sein Atelier hinzugekommenen verschiedenen Künstler schufen vollendete Formen und Dekorationen.

Bedeutende dänische Jahrhundertwendemaler wie Laurits Andersen Ring oder Hans Andersen Brendekilde hinterließen Tonware mit ihren Motiven. Stadt- und Landschaftsmaler, vor allem aber ein großer Formgestalter war Svend Hammershøi (1873–1948). Von 1883 an bis zu seinem Tod blieb er seinem Meister und den nachfolgenden Generationen verbunden. Während der Weltausstellung 1889 in Paris wurde er mit einer Goldmedaille bedacht. Ein historisches Foto aus dem Firmenarchiv zeigt einen blonden Hünen im weißen Hemd mit schwarzem Wams vor einer riesigen Vase, als wolle er sie zärtlich umarmen. Mit Nachdruck prägte er die Rillenoptik und die voluminöse Form. Er brannte die rote Erde in kleinem Feuer. Das gab ihr am Ende einen samtigen, etwas rauchigen Anschein.

Hans-Christian Bauer studierte Indus-triedesign an der Kunsthochschule Kopenhagen. Der 1980 in Oslo Geborene arbeitete ein Jahr lang als Produktmanager bei Kähler und fand sich bald rein. „Ich liebe deren Historie und wie man damit arbeitet“, verrät er. Die große Vase von Hammershøi hatte es ihm gleich angetan. Die tiefen Rillen waren auch ein haptisches Erlebnis. „So was hat doch Charakter!“ Jetzt ist Bauer Kählers Designer am Bildschirm, nicht mehr wie einst an der Töpferscheibe, aber nicht weniger kreativ.

Die Riesenvase inspirierte ihn zu handlicheren bauchigen Riffelvasen verschiedener Größen in winterlichen nordischen Pastellfarben wie Petrol, Eisblau, Borkengrün, Puderrosa oder Kieselgrau. Dazu entwarf er gedrungene Kerzenhalter, standfeste Becher und das Tafelgeschirr. Die so typischen Rillen in den altweißen Tellern verlaufen sich im Zentrum und verhindern, dass der Löffel in die Suppe gleitet. Die Keramik liegt etwas schwer in der Hand und ist trotzdem elegant. Hergestellt wird sie in Thailand.

Bauers Hammershøi-Familie wächst und gedeiht. Sie ist auch eine Hommage an den alten Meister. Seit Kurzem lässt Bauer die berühmte große Bodenvase in einer etwas kleineren Version wieder auferstehen. Die Linienoptik findet sich auch auf dem keramischen Pfropf einer Pfeffermühle, deren Körper aus Eiche gemacht wurde. Gläserne Vorratsgläser und Karaffen haben den gleichen Verschluss in verschiedenen Farben. Das ist nicht nur schön, man kann ihn auch gut anpacken. Gebrauchskeramik im besten Sinne.

Zu Hammershøis Zeiten waren alle Gefäße noch rein handwerkliche Töpferware. Industrielles Handwerk wird es heute genannt. „Persönlichkeit und Kunstverstand sind trotzdem extrem wichtig“, findet Jesper Holst Schmidt. „Nur unsere Vergangenheit müssen wir nicht extra neu erfinden.“ Sie ist längst da. Jesper ist der Geschäftsführer des Unternehmens, das 1974 nach vier Generationen Kähler in andere Hände ging. 2008 stand es vor dem Bankrott. Da erwarb es Frantz Longhi und schöpft seitdem sehr erfolgreich aus einem wahren Kulturschatz vergangener Künste.

Longhi aus dem jütländischen Aarhus ist Architekt und Unternehmer mit italienischen Vorfahren. Ästhetik ist ihm wichtig. In der von Wikingern gegründeten Stadt am Kattegat befindet sich auch der einzige dänische Flagship-Store seiner Firma mit ausschließlich „hausgemachten“ Produkten. Ein weiteres Geschäft wurde im norwegischen Oslo eröffnet. Außerdem gehören Longhi drei Restaurants. Mitten in Kopenhagens Vergnügungspark im „Kähler i Tivoli“ sitzt der Gast auf dänischen Vintagestühlen im Schein berühmter Pendelleuchten und speist von original Kähler-Tellern. In Aarhus empfangen „Kählers Spisesalon“ und das Fine-Dining-Restaurant „Kähler Villa Dining“ Gäste. Natürlich kommt hier die hauseigene Keramik zum Einsatz.

Aber auch am Firmensitz Næstved ist die Zeit nicht stehen geblieben. Dort, wo alles begann, denn Næstved war einst das keramische Zentrum Dänemarks. Das kann man besonders gut im kleinen Museum im mehr als 700 Jahre alten Heiligengeist-Haus sehen. Der größte Teil der Ausstellungsräume ist Kählers Keramik und seinen Künstlern gewidmet. Eine eindrucksvolle bunte Sammlung von Gefäßen und Kachelöfen. Manche der Vasen, Kummen und Kruken von Hammershøi sind grauweiß glasiert. Die typischen Riefen zeigen schwarze Kanten. Nur die antike kindshohe Vase sucht man vergeblich. Frantz Longhi hat sie irgendwann auf einer Auktion erstanden, und seitdem tourt sie durch die Ausstellungen der Welt.

Die betagten Gebäude aus der Jahrhundertwende, wo Hammershøi und seine Künstlerkollegen einst arbeiteten, stehen noch. Am Rande von Næstved werden wurden die „Kählerbakken“ genannten Backsteinhallen mit den keramischen Bildtafeln restauriert. Im 178. Jahr nach des holsteinischen Keramikers Ankunft in Dänemark wurde alles fertig. Die Büros aus dem Stadtkern zogen um und Ausstellungsräume zeigen nun die alten und die neuen Künste, auch Hammershøis Bodenvase, diesmal aus der Hand von Bauer.

Inge Ahrens

 

Information
www.kahlerdesign.com

 

77 - Winter 2019