Auf dem Gelände des legendären Ausflugslokals Riviera in Grünau soll nach langem Stillstand eine Seniorenwohnanlage entstehen.
Bis zum Schluss stand in dem Tanzsaal mit den hohen Stuckdecken noch ein alter Flügel, als wolle er sagen, bald spielt hier wieder die Musik. Ein melancholischer Charme ging von der Szenerie aus. Der alte Glanz war unter den zahlreich hinzugekommenen Graffiti noch spürbar. Das Bild war Exponat in einer Fotoausstellung zu den besten Lost Places der Stadt.
Einst hatte Paul Lincke im Tanzsaal des Hauses an der Regattastraße sein Orchester dirigiert. Jetzt sind die Abrissbagger und Baumaschinen gekommen. Ende 2018 war die Baugenehmigung für eine neue Seniorenresidenz vom Stadtbezirk Treptow-Köpenick erteilt worden. Für die Terragon AG ist das große Wassergrundstück ein lukratives Investment: „Wir akquirieren bundesweit Grundstücke mit insgesamt circa 15 000 Quadratmeter Geschossfläche, die sich in sehr guten bis mittleren Wohnlagen mit ausgezeichneter infrastruktureller Erschließung befinden. Dabei suchen wir nicht zuletzt auch solche vermeintlichen Problemfälle wie die jahrzehntelang unverkäuflichen Ruinen in der Regattastraße“, sagt Projektentwickler Michael Held. 208 barrierefreie Wohnungen sollen entstehen, zusammen mit Freizeit- und Sporteinrichtungen für die Bewohner. Alles zusammen im „sehr guten Hotelstandard“, wie Held betont. Der historische Riviera-Saal soll erhalten bleiben, um dort eine öffentlich zugängliche Gaststätte zu betreiben. Offen bleibt auch der Uferweg entlang der Dahme.
Riviera Grünau – das ist ein historisches Gebäudeensemble entlang der Regattastraße, prominent am Wasser gelegen. Als Ausflugsziel und Vergnügungsort ist es vielen Berlinern noch in guter Erinnerung. Zahlreiche Schiffe legten ganz in der Nähe an und ab.
Getanzt wurde hier seit dem Bau des Gesellschaftshauses in den Jahren 1874/75 durchgehend, auch in der NS-Zeit und zu DDR-Zeiten. Das Gebäude der Riviera bestach durch seine acht Meter hohen Rundbogenfenster und den direkten Wasserblick. Der offizielle Name war deshalb anfangs Restaurant Bellevue. Erst ab den 1920er Jahren wurde das Anwesen sukzessive erweitert und mit Palmen mediterran ausstaffiert: die Grünauer Riviera war geboren.
Seit einigen Jahren galten die Gebäude als akut einsturzgefährdet, es gab bis auf ein, zwei Säle kaum noch etwas zu retten. Zum Zustand der Bausubstanz und den Möglichkeiten der Wiederherstellung sagt der zuständige Restaurator Ulrich Schneider: „Im Innenraum des Riviera-Saals von 1895 wird die vorhandene bauzeitliche Wandgliederung restauriert, während die Deckengestaltung wegen extremer Schäden vollständig im Sinne einer Kopie erneuert werden muss. Die für die Erneuerung erforderlichen originalen Teile haben Stuckateure in großem Umfang bereits abgenommen.“
Wie konnte es dazu kommen? Standen die Riviera und das angrenzende Gesellschaftshaus doch seit über 40 Jahren unter Denkmalschutz. Nachdem der traditionsreiche Vergnügungsort nach der Wende schließen musste, wurde das Anwesen 2006 an die türkische Immobilienunternehmerin Refika Erdem verkauft, unter der Auflage, das denkmalgeschützte Ensemble zu erhalten. Aber passiert ist nichts. Sehr zum Ärger engagierter Anwohner, die eine Bürgerinitiative „Riviera retten“ ins Leben riefen. Zahlreiche Bürger setzten sich für den Erhalt der legendären Ausflugslokale ein. Dass das Kalkül der Besitzerin aus Ankara aufgegangen ist, ärgert die Grünauer am meisten, denn beim Weiterverkauf hat sie einen deftigen Gewinn eingestrichen. Die Hauptkritikpunkte der Initiative, die auch vom Ortsverein Grünau unterstützt wird, betreffen vor allem die Größe der Anlage und die geplante Gastronomie. Gern hätte man zum Beispiel wieder einen Biergarten am Wasser gesehen. „Das denkmalgeschützte Ensemble wird von den riesigen Baumassen regelrecht erdrückt und ist als ortsprägendes Element nicht mehr erfahrbar“, so Nils R. Schultze von der Bürgerinitiative. Außerdem habe sich der Stadtbezirk Treptow-Köpenick einseitig auf eine Seniorenwohnanlage festgelegt, obwohl es auch Planungen zu einem Kongresszentrum gegeben habe.
Für Michael Held von der Terragon AG deckt die neue Seniorenresidenz einen Bedarf, der im Südosten Berlins durchaus bestehe. Für den denkmalgerechten Umbau konnten die Potsdamer Architekten van Geisten Marfels gewonnen werden, und der Neubau wird von dem Berliner Büro Tchoban Voss verantwortet. Geplant sind fünf Vollgeschosse. Wobei die 60-Quadratmeter-Wohnungen mit einem Mietpreis von 1 650 bis 1 990 Euro, Nebenkosten und Servicepauschale inklusive, im höheren Segment liegen. „Das gesellschaftliche Angebot der Seniorenresidenz orientiert sich an den beiden bereits bestehenden Häusern des zukünftigen Betreibers Agaplesion. Neben sportlichen und kulturellen Angeboten können die Bewohner bei Bedarf auch pflegerische Angebote in Anspruch nehmen“, erklärt Michael Held. Die Seniorenresidenzen Sophiengarten in Steglitz und Havelgarten in Spandau werden ebenfalls von Agaplesion betrieben.
Karen Schröder