Eisbären sind nur scheinbar ruhige Tiere. Das Possierliche schlägt irgendwann um in Herrschsucht und unstillbaren Hunger. Dann schwingen sich die gewaltigen Pelzträger zu Königen auf und dominieren ihre Umwelt. Nicht umsonst hat sich der Berliner Traditionsverein vor anderthalb Jahrzehnten, als die Liga tierisch wurde, den Namen „EHC Eisbären“ gegeben.
Seinerzeit von vielen Clubs bewundert von noch mehreren aber geprügelt und verhöhnt. Die großen Vereine aus Bayern und dem Rheinland wollten den Nebenbuhler aus der fernen Hauptstadt einschüchtern. Der aus dem SC Dynamo hervorgegangene Kult-Club des Ostens sollte klein gehalten werden.
Das gelang. Anfangs. Die Puckjäger aus dem belächelten Wellblechpalast dümpelten am Ende der Liga herum. Bis Philipp Anschutz entdeckte, dass die gewaltige Tradition und die unbiegsame Anhängerschar aus dem Berliner Stadtteil Hohenschönhausen Basis für viel mehr sein könnte. Es brauchte halt nur etwas finanzielle Zuwendung des Milliardärs aus Übersee. Und schnell mauserten sich die kleinen Eisbären von flauschigen Spielkameraden zu gewaltigen Raubtieren, die das Geschehen in der Deutschen Eishockey-Liga diktierten.
Die Geschichte fand ein Happy End, das sich inzwischen als Etappensieg herausstellte. Das war, als der Club sich zweimal den Meistertitel sicherte. Nach der dritten nationalen Krone war plötzlich alles anders. Im Frühjahr 2008 brachen die Eisbären zu neuen Ufern auf. Nach dem Gewinn der dritten Meisterschale weitete sich für den Verein der Horizont. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen wechselte die Mannschaft um das Hohenschönhauser Urgestein Sven Felski in eine andere Heimstätte. Die mit etwa 4500 Zuschauern früher meistens ausverkaufte schmucklose Arena im Sportforum wurde zur Trainingsstätte degradiert. In der neuen O2World am historischen Ostbahnhof brüllen sich jetzt dreimal so viele Anhänger die Kehlen heiser, wenn die Gegner aus Mannheim und Köln, aus Nürnberg und Düsseldorf, aus Krefeld und Hamburg besiegt werden. „Das läuft einem kalt den Rücken runter. Dass ich das auf meine alten Tage noch erleben durfte“, schüttelt sogar Sven Felski verwundert den Kopf über die neue Hallen-Dimension. Als Deutscher Meister haben die Eisbären nun auch automatisch das Startrecht für die neu ins Leben gerufene „Champions Hockey League“ der besten europäischen Vereine erworben.
Das spült neben dem Renommee einen erklecklichen Betrag in die Vereins-Schatulle, womit sich die Aufwendungen des Herrn Anschutz so langsam zu amortisieren beginnen. Insgesamt schüttet die Liga zehn Millionen Euro an Preisgeldern aus – eine im europäischen Eishockey bisher nicht gekannte Summe. Der Gesamtsieger – dafür kommen die Berliner nach dem misslungenen Auftakt in der Vorrunde gegen den hochkarätigen Gegner Metallurg Magnitogorsk aus Russland kaum noch in Frage – kassiert eine glatte Million. Allein die Antrittsgage der Eisbären betrug 300.000 Euro, und für einen Sieg in der Gruppenphase, zum Beispiel gegen Finnlands Krösus Kärpät Oulu, kassierte man auch noch 50 .000 Euro. „Natürlich spielt das Geld auch eine große Rolle“, gibt Manager Peter John Lee unumwunden zu. Und das ist derzeit reichlich vorhanden. Europa läuft der großen NHL – der Profiliga in der USA und Kanada – so langsam den Rang ab. Die zehn Millionen für die Champions League werden ausschließlich von Großsponsoren aufgebracht. Dass hier ein russischer Energie-Riese an der Spitze steht, macht die Sache für die Nordamerikaner noch bitterer. „Das ist der Start in eine ganz neue Ära. Wir können uns jetzt mit dem Fußball vergleichen“, schwärmt Rene Fasel als Präsident des Weltverbandes der Eishockeyspieler, der der Liga eine eigene Hymne und ein Logo verordnete. Und die Berliner Eisbären sind mittendrin im Konzert der ganz Großen. „Da spielen wir gegen die Besten der Besten. Ein irres Gefühl“, frohlockte Mannschaftskapitän Stefan Ustorf schon vor dem ersten Spiel. Und damit hat er recht, denn längst ist die NHL nicht mehr allein Schmelztiegel der Superstars. Die Russen haben die Zeit des Kalten Krieges nicht vergessen, als sie die Amerikaner wenigstens auf dem Eis ab und an besiegen konnten. Doch dann wurden nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die besten Kufen-Könner mit blitzenden Dollars weggelockt aus Moskau.
Daran erinnert man sich schadenfroh in Kreisen der neu-reichen Russen, die mit dem Erwerb von Eishockey-Vereinen ihrem Spieltrieb frönen und nebenbei gleich den Erzfeind in Übersee ärgern. In diesen Zeitvertreib haben sich die sportlichen Macher in Europa geschickt eingeklinkt, und die Eisbären sind mit ihrem nationalen Titel auf den internationalen Schnellzug aufgesprungen. Das Kräftemessen der Giganten, bei dem sie teilhaben dürfen, wird künftig auch interkontinental geführt.
Bisher war im Selbstverständnis der Amerikaner der Gewinner des Stanley-Cups auch gleichzeitig die beste Eishockey-Mannschaft der Welt. Nun wurde ein neues Duell kreiert, das das beste nordamerikanische und das beste europäische Team zusammenführt. In diesem Victoria Cup, der im Oktober in der Schweiz seine Premiere erlebte, muss sich der NHL-Meister dem Sieger der Champions League erwehren. Bei der Premiere in Bern behielten die New York Rangers gegen Metallurg Magnitogorsk vor 14 000 Zuschauern noch einmal hauchdünn und sehr glücklich mit 4:3 die Oberhand.
Damit hat der US-Amerikaner Philipp Anschutz irgendwann in der Zukunft die Gelegenheit zu einem ganz merkwürdigen Coup mit seinen Eisbären: Die Berliner könnten – theoretisch – die beste Mannschaft der Welt werden. Als Sieger der Champions League müssten sie dann nur noch den Gewinner des Stanley-Cups bezwingen. Die Horizonte sind weit geworden. Die Eisbären gehen darauf zu.
Hans-Christian Moritz