Sechstagerennen. Eine sportliche Veranstaltung mit Kult-Status. In diesem Winter wird es zum großen Abschiedsrennen von Erik Zabel.
Es gibt keine Sportveranstaltung in Berlin, die das Publikum so elektrisiert wie das Sechstagerennen. Die einzigartige Atmosphäre, die für den Sportpalast typisch war, lebt heute auf der hochmodernen Bahn im Velodrom fort. Unermüdlich war Dieter Stein im Herbst unterwegs, um dem Fahrerfeld für die Rennen vom 22. bis 27. Januar 2009 den Edelschliff zu verpassen. „Wir präsentieren im Sechstage-Wettbewerb, aber auch in den Rahmenprogrammen und in den Steher-Turnieren internationale Spitzenkönner und natürlich die besten Aktiven in den deutschen Trikots. Spannender und hochklassiger Sport ist garantiert“, versichert der Sportliche Leiter. Der 52-Jährige ist beim Sechstagerennen selbst eine Legende: Als „Schwarze Sieben“ (abgeleitet aus der Farbe der Startnummer) jagte er jahrelang als Publikumsliebling um die Runden. „Viele Akteure wollen unbedingt in Berlin an den Start gehen, weil sie vor dieser Kulisse mit dem begeisterungsfähigen Publikum besonders gern fahren“, weiß Stein. Dabei hat das Velodrom im Gegensatz zu anderen Hochkarätern wie München, Bremen oder Dortmund noch einen ganz entscheidenden Vorteil: Hier sitzt das fachkundigste Publikum. Im Unterschied zu den meist gesellschaftlichen Ereignissen an Isar, Weser oder im Ruhrpott sind die Berliner Besucher vorwiegend auf den Sport fixiert und zählen in den eigens dafür eingerichteten Programmheften nicht selten selbst die Rundengewinne und Punktestände mit.
Die ganz wichtige Frage in diesem Winter heißt natürlich: Geht Erik Zabel in Berlin noch einmal an den Start? Der Ur-Berliner, der sich auf seiner Abschiedstournee im Sattel befindet, hat sich das fest vorgenommen. „Wir sind uns in Gesprächen und Vorstellungen schon sehr nahe gekommen“, feixt der Sprinterkönig und will die Spannung aufrechterhalten. Gern wäre der Profi schon in den Jahren zuvor hier gefahren, doch die Vorbereitungen auf die Straßensaison haben den zuletzt in Diensten des Milram-Teams stehenden Sportler immer verhindert. Die Manager schickten „Ete“, wie er für das Publikum heißt, zur Vorbereitung auf die großen Touren in die warmen Gefilde Südafrikas oder Australiens.
Diesen Zwängen ist Zabel jetzt nicht mehr untergeordnet, denn vor der Straßensaison stellt er sein langgedientes Rennrad in die Ecke. Berlin, das ist längst ein offenes Geheimnis, soll das Abschiedsrennen des echten Jungen aus der Hauptstadt werden. Auf anderen Bahnen hat er sich die Form bewahrt. Der Sieg mit Partner Leif Lampater in Dortmund und nur hauchdünn geschlagen auf Platz 2 in München haben die immer noch ausgezeichnete Klasse des jetzt in Unna lebenden Familienvaters bewiesen. Der Handschlag, den sich Stein und Zabel auf der Piste in Dortmund gaben, hat den Insidern längst verraten: Ete wird das Berliner Publikum im Januar noch ein letztes Mal als Fahrer begeistern. Während Schauspieler für ihr Lebenswerk einen Oscar erhalten, wird Zabel von seinen Fans mit einem sechs Tage anhaltenden Beifall geehrt.
Neben dem Ur-Berliner gehören aber auch andere Helden des Ovals zu den heiß ersehnten Lokalmatadoren für das 18 Mannschaften umfassende Feld im Velodrom. Mit dem jungen Roger Kluge und dem schon 35-jährigen Olaf Pollack, die beide in Cottbus trainieren, haben zwei Brandenburger Asse Ambitionen auf den Erfolg im Velodrom angemeldet. In München war das Duo hinter Bartko und Zabel knapp geschlagen Dritter.
Wenn die Fans ihre Favoriten anfeuern, wird sich kaum einer an die Anfänge der Sechstagerennen erinnern. Erfunden wurde das Spektakel vor 110 Jahren. Schon 1899 fand im Madison Square Garden von New York der erste Wettbewerb für Zweier-Mannschaften statt. Zehn Jahre später hatte Berlin eine solche Veranstaltung erstmals in Europa auf die Beine gestellt. Hier wurde auch die Fahrer-Wertung dafür erfunden, weshalb man lange von der „Berliner Wertung“ sprach, die den Mannschaften Rundengewinne und bei Sprints Punkte brachte. Damals allerdings waren die sechs Tage weniger unter sportlichen als unter gesellschaftlichen Gesichtspunkten zu betrachten. Weil die Rennen wirklich – dem Namen entsprechend – ohne Unterbrechung sechs Tage in Folge verliefen und in dieser Zeit Tag wie Nacht immer ein Fahrer auf der Bahn sein musste, waren die Anstrengungen für die Profis gewaltig.
Heute ist das Programm nicht mehr mit dem aus den Anfangsjahren zu vergleichen. Vergessen ist die Zeit, als die trägen und übermüdeten Profis in den Vormittagsstunden irgendwie auf dem Oval lümmelten, und nur in den späten Abendstunden die echten Rundenjagden das Publikum elektrisierten. Heute stehen eine große Vielzahl sportlich anspruchsvoller Wettbewerbe auf der Tagesordnung. Auch das gesamte Rahmenprogramm, das im Velodrom insgesamt etwa drei Millionen Euro teuer ist, wird immer wichtiger. Im Mittelpunkt stehen aber weiter die abendlichen Jagden der Zweier-Mannschaften. Und 2009 mit Ete Zabel als Hauptheld.
Ein bisschen Historie ist aber auch noch geblieben. Das Velodrom steht genau an jener Stelle, wo im damals geteilten Berlin die Sechstagerennen in der „Werner-Seelenbinder-Halle“ ausgetragen wurden.
Hans-Christian Moritz
Sixdays
37 - Winter 2008