Rot, Rot, Rot

„DREI FARBEN – ROT“ lautet der Titel des XV. Rohkunstbau. Im dritten Teil der von Arvid Boellert, Mitbegründer und künstlerischer Leiter von Rohkunstbau, entworfenen Trilogie zeigt die renommierte Ausstellung zeitgenössischer­ Kunst zehn unterschiedliche Positionen zum Thema Brüderlichkeit.

Zur Eröffnung der diesjährigen Som­mer­­kunstschau Rohkunstbau gab es ein Grillfest für zweitausend geladene Besucher. Das brandenburgi­sche­ Kunst­spektakel, vom einstigen Medi­zin­stu­denten, jetzt Augenarzt, Arvid Boellert, initiiert, jährt sich zum fünfzehnten Mal. Der Präsident der Euro­päischen Kommission, José Manuel Barroso, konnte als Schirmherr ge­wonnen werden. Die Gäste nobel, die Gegend erst recht, das Wasser des Heiligen Sees, so wie fast alle branden­burgischen Gewässer, naturtrüb. Braun. Grau. Grün. Die Ausstellung­ aber trägt den Titel Rot und meint Fraternité – Brüder­lichkeit als nachdenkenswerten Grundwert. Sie folgt mit ihrem dritten und abschließenden Teil wiederum der berühmten Filmtrilogie „Drei Farben Blau, Weiß, Rot“ von Krzyzstof Kie­slowski (1993/94). Zehn internationale Künstler sind geladen, sich mit der Französischen Revo­lution und der Frage, wieviel Brüderlichkeit heute möglich ist, auseinanderzusetzen.
Rot also wie Blut, wie Kampf, wie Feuer, Leidenschaft und Liebe am Heiligen See in der maroden, geschichtsträchtigen Villa; diese noch immer in Grau. Und die Kunst ist in jenen Räumen untergebracht, im Obergeschoss, unterm Dach, die man sonst nicht betritt. Es sind Ritter Blaubarts verbotene Zimmer, abgetrennt durch einen wehenden schwarzen Vorhang, der ein temporäres ­Entree schafft für Bettina Pousttchis Videoinstallation „Blutstropfen“. Bluts­tropfen unterm Mikroskop bedeutet so viel wie historische Akribie bei der Dokumentensichtung, allerdings für größere Zusammenhänge benötigt man dann eher ein Fernglas. Die verborgenen, verbotenen Geschichten, das Wühlen in der Geschichte, ihr ­jeweils subjektiver Nachhall kann ­unterm Dachgebälk mit Blick auf Potsdamer Parklandschaft beginnen. Das Gerümpel, Gerät und Zeugs wurde kurzerhand von den Restaurantbe­treibern und Pächtern des Hauses fortgeräumt: „Sie ahnen ja nicht, wie groß die Villa ist, es findet sich für ­alles ein Plätzchen.“

Richard Hamilton, der britische Pop-Art-Begründer, wurde vom Kurator Mark Gisbourne, ebenfalls Engländer, als Zugpferd aufgeboten. Im ersten Raum sind Collagen zu sehen, die sich mit Idolen der Sechziger eher hübsch auseinandersetzen, dann folgen Cornelia Renz‘ imposante Acrylbilder auf und hinter Glas. Mon­ströse, hybride Kindchenfiguren, Comicgestalten, Bildzitate, „Der Tod des Marat“, Robespierre, nackte Beine, die Rüschen (der Charlotte Corday?), Küchenmesser und Masken bilden ein wohlorganisiertes und gleichfalls chaotisches Drunter und Drüber. Geschichte ist eben keine appetitliche Angelegenheit, eher schwül und unverdaubar, Brüderlichkeit etwas, das vor allem mit Alptraum und Beißwut einherzugehen scheint. Folgerichtig hält ihr roter Clown das Wort „Thriller“ zwischen den Zähnen und passt hervorragend ins Dachstubenmilieu. Weiter geht’s mit der Inszenierung in Rot, „Gudrun und Christiane“ (2008), von Brigitte Waldach. Der Brief­wechsel der RAF-Terroristin Gudrun Enss­lin mit ihrer Schwester bildet das Kernstück der suggestiven Raum­inszenierung aus Wandzeichnung, Schrift und Flüstertönen. Interferen­zen behindern das Verstehen der sich bis über den Boden ausbreitenden Notizen. Aber der Schiller-Satz: „Nur im Spiel ist der Mensch frei“ ist entzifferbar. Um Spiele zu wagen, braucht der Mensch Raum, größer jedenfalls als eine Gefängniszelle. Um Räume wiederum, die in ihrer kühlen Definition und modernen Klassik wenig Spielraum belassen, geht’s bei José Noguero aus Spanien. Guy Ben-Ner, Israel, quartiert seine Familie bei Ikea ein, lässt sie philosophieren und filmt das Ganze. Eine Debattensequenz lautet etwa: Als die Menschen noch Nomaden waren, da brauchten sie kein Privateigentum. Privateigentum ist aber schön und familienfördernd, denn alle, denen es nicht gehört, die dürfen nicht herein.

Gut, denkt man, dass die Villa, seit wenigen Jahren im Familienbesitz des Kunstsammler- und Villenbe­sitzer­ehepaares Sander, gerade noch ihre ­Pforten geöffnet hat. Was wird aber nach der Sanierung aus dem Haus, das in den „Mangerschen ­Gärten“ ­er­­richtet, vor dem Krieg Adel- und ­Diplomatenvilla war, Ende der zwan­ziger Jahre dem Bankier Emile Witten­berg gehörte, bis dieser 1932 emi­grierte, dann den Nazis als Nobel­quartier für die Oberste Heeres­leitung diente, um nach dem Krieg die längste Zeit Domizil des DDR-Kulturbundes zu sein? In den neunziger Jahren avancierte die Villa mit Restaurant- und Kulturbetrieb zum Be­gierde­objekt einer turbulenten Spe­kula­tionsaffäre. Die Zukunft ist eine offene Frage.

Im italienischen Restaurant zwei Etagen tiefer sitzt man an damastweißen Tischdecken. Ein Salon ist für eine Hochzeit geschmückt. Ein Klezmer-Trio spielt sich ein. Blesshühner ­gründeln an der Uferkante. In Korbsesseln kann man von Blicken ver­borgen über die Künste und Rohkunstbau in seinem Jubiläumsjahr nachsinnen. Brandenburger Künstler,­ wie noch im Gründungsjahr 1994 in Cottbus, sind längst nicht mehr von der Partie des arrivierten Kunstfestes. Man kann den früheren Ausstellungen im verkauften Spreewaldschloss Groß Leuthen nachhängen, sich an das ­Vorjahresereignis im Herrenhaus von Sacrow, an „Drei Farben Weiß“ und die zur Mauer ­aufgestapelten ­Laken erinnern. Rohkunstbau ist zum Schlösser- und Villen­nomaden ge­wor­den. Lebensbedroht, wo die Räu­­me ausgehen. Die Namen der Künstler bleiben prominent, die Umgebung vermag Neugierde anzustacheln und ist wie immer zur Landpartie ge­eignet. Dabei sind in diesem Jahr die Rohkunstbauer deutlich dichter an die Stadtgrenze heran gezogen. In der Berliner Vorstadt, im nobelsten Viertel Potsdams angelangt.

Anita Wünschmann

 

 

Ausstellung

XV. Rohkunstbau „DREI FARBEN – ROT“

Noch bis 5. Oktober 2008

Villa ­Kellermann
Mangerstraße 34–36, 14467 Potsdam

Öffnungszeiten: Donnerstag und Freitag 14–19 Uhr,
Samstag und Sonntag 12–19 Uhr

Anfahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln:­ ­
Regionalbahn oder S7 bis Potsdam Hbf, dann Tram 93 Richtung
Glienicker Brücke bis Schiffbauergasse/Berliner Straße

 

36 - Herbst 2008