Wenn der ­Hammer fällt

Die Villa Grisebach in Charlottenburg wurde vom Architekten Grisebach als private Gründerzeitvilla erbaut. Sie ist seit 1986 Deutschlands prominenteste Kunstversteigerungsadresse mit der Spezialisierung auf den deutschen Impressionismus und Expressionismus sowie die Klassische Moderne. In diesem Frühjahr gab es einen Extraauftritt für die Gegenwartskunst innerhalb der Abendauktion.

Ein so zauberhaft vermaltes Türkis oder lichtes Zinkgrün durch Ultra­marin und Orange zum Leuchten gebracht, macht süchtig. Seine Kostbarkeit steigert sich noch in der Um­gebung von edlen Violett-Tönen. Das absichtslose Wohlgefallen, welches einen auf Museumsrundgängen angesichts solch feiner Malerei wie etwa August Mackes „Kinder am Hafen“ befällt, verschwindet abrupt, wenn man die hohe Kunst in Auktions­häusern besichtigt. Es packt einen ein geheimes und euphorisches Spiel mit der Selbstverführung der Gedanken: das Türkis an meiner Wand, nur für mich!

Die Schätzpreise allein befinden sich allerdings für den normalen Kunstliebhaber im Phantasiebereich. Aber ein Hassebrauk-Aquarell, angesiedelt im Segment bis 3.000 Euro, oder eine kleine Farblithographie von Ernst Wilhelm Nay? Wohl etliche der Besucher, die sich zu den zweimal jährlich stattfindenden Vorschauen der Frühjahrs- oder Herbstauktionen einfinden, kommen nicht, um später für ein Los ­mitzubieten. Vorbesichtigungen sind auch ein Quasi-Museumsbesuch. Hier wird bislang privat Verborgenes plötzlich öffentlich, und eine Kunstbegegnung der besonderen, weil zumindest fiktional greifbaren Art, findet statt.

Die große Abendauktion innerhalb des mehrtägigen Versteigerungsparcours­ gilt als Herzstück und Hochpreis­segment des Grisebachschen Kunsthandels. Sie ist der elegante, adrena­linintensive Spielort für Sammler,­ Händler und Museums­ankäufer. Das teuerste Werk der diesjährigen Frühjahrsauktion, eben August Mackes Hafenbild, ging für über zwei Millio­nen Euro in den Besitz eines norddeutschen Sammlers über. Ein Lon­doner Händler kaufte ein Pissaro-Gemäl­de („Match de cricet à Bedford Park, Londres“) für das Dreifache des Schätzpreises, was kein Wunder­ ist, wenn man bedenkt, wie grandios­ die Impressionisten beim Marktführer­ So­theby’s verkauft und be­gleitend dazu in den Museen zelebriert wurden.­­

Die faszinierenden Farben des kleinformatigen Bildes von August Macke jedenfalls blitzten kurz wie ein Sonnenstrahl auf, wahrnehmbar für jedermann, ehe es verschwand.

Im Auktionshaus ist die Kunst öf­fent­lich und privat, hier wetteifert ästheti­scher Sinn mit dem Kapital­ver­mö­gen. Und am Ende stehen die atemberaubenden Gewinne, das dem Taxwert hin­zugefügte Mehr, welches zur Erfolgsgeschichte eines Hauses addiert wird. Man kann auch sagen, Auktionen sind die Schaubuden der gehobenen Gesellschaft, die ihre Kunstleidenschaf­ten mit Momenten des Atemstillstands ausleben darf, bis der Hammer fällt.
Das Grisebach-Kunsthaus hat wichtige Jubiläen schon hinter sich: die einhundertste Versteigerung im Jahr 2002, das zwanzigjährige Bestehen, die einhundertfünfzigste Auktion mit Peter Graf zu Eltz am Pult und hohem Spektakelwert. Allerdings sind all seine Hammerschläge nicht gezählt worden! Das Renommee ließe sich nüchtern aus Zahlen bilanzieren – auch mit Blick auf die Kundendatei von über 25 000 Eintragungen aus Übersee, Deutschland, der Schweiz und Australien – wären da nicht auch die Leidenschaften von Sammlern, Bildgebern, Forschern und Galeristen,­ welche die Wege der Kunst begleiten. Und auch das gehört dazu: der En­thusiasmus, die freche Unverfrorenheit der Fälscher, welche die Pfade kreuzen. Die Provenienz-Forschung allein könnte Bände füllen. Daniel von Schacky, für die zeitgenössische Kunst zuständig und von Kindheit an familiär mit dem Haus Grisebach verbunden, sagt: Siebzig Prozent der ­Fälschungen, die uns hier vorgelegt werden, erkennt man mit bloßem Auge. Subtilere Sachen, etwa Picasso-Imitationen mit perfekt gesetztem Wasserzeichen, bedürfen zur Aufklärung des Expertenblicks. „Wir haben auch schon Lose einen Tag vor der Auktion von der Liste nehmen müssen.“ Jedes Werk wird geprüft! Die ­erforschte Biografie eines jeden Kunst­werkes gehört zur Geschäftsgarantie, Transparenz gilt als heiliger Wert, das Berliner Forschungsumfeld als exzellent und vor allem nah. Die Villa ­Grisebach ist ­neben Micaela Kapitzky und Wilfried Utermann vor allem mit dem Namen Bernd Schultz verbunden, mit dem Kunst­visionär, Gründer und Motor, Mitgesellschafter und ­Spiritus Rector des Hauses, der unzählige Geschich­ten zu erzählen hätte, wären da nicht die Termine, die ihn zur Eile zwingen, zum Weitermachen, Briefeschreiben, für Besuche bei Sammlern.

Als er den großbürgerlichen Bau, der zum sogenannten Wintergarten-En­semble aus Käthe-Kollwitz-Museum und Literaturhaus gehört, angemietet hatte, war noch kein rechter Glaube an die Wiedergeburt der Kunststadt Berlin, die heute hinter New York und London den dritten Platz beansprucht. Vielmehr waren Visionen vonnöten, die Vorstellung, dass Berlin an seine von den Nazis zerstörte Kunsthändlertradition der zwanziger Jahre, an die großen Namen wie Paul Cassirer, Flechtheim oder Nierendorf anknüpfen konnte. Inzwischen sind die ­Grisebacher selbst Legende, werden sieben- und achtstellige Summen für die einst unbeachteten Expressio­nisten erzielt, existiert eine Groß­familie, die „Grisebach-Community“, kommen die Internetbieter aus Chile, ­Russland, der gesamten EU dazu.
Legende und Erneuerung! Hinter der schlichten Bezeichnung Auktion Nr. 156 verbirgt sich das Novum des ­Berliner Auktionshauses. Zum ersten Mal gab es in diesem Jahr einen Ka­talog zur Gegenwartskunst. Dass solch eine Erweiterung des Programms nahtlos funktioniert, sei dem „Berlin-Bonus“ zuzuschreiben, meint Daniel von Schacky, der seine exzellenten persönlichen Beziehungen und die im New Yorker Kunsthandel erworbene Kenntnis des Marktes eingebracht hat. Von Scheibitz und Havekost über Daniel Richter, Baselitz, Gerhard Richter bis zu Klapheck – Daniel von Schackys Katalog-Debüt wurde zum großen Auftritt. Die Versteigerung hatte alle Erwartungen übertroffen. Sein Haupterfolg sei Demands Bild „Raum“ gewesen. Er habe es jahrelang „gejagt“. Dieses aus einer Sammlung in Minne­sota/USA herbeigebrachte Werk hat ein privater Kunstliebhaber in Deutsch­land erworben, leider kein Museum, setzt Daniel von Schacky hinzu. Er hätte es sich auch im ­Deutschen His­­torischen Museum oder in der Na­­tio­nalgalerie vorstellen können. Er selbst sei fasziniert vom Sugges­tiven der foto­gra­fi­schen Arbeit, die eine ­bra­chia­le Zer­störung zeigt. Der pro­mi­nen­te Berliner Fotograf setzt sich mit dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 auseinander. Für 190.400 Euro, ein Welt­rekord für den Künstler, kam das Bild unter den Hammer.

Aber was könnte die eigene Bieter-Leidenschaft des Anfangdreißigjäh­­rigen anstacheln? „Nicht alles, was man wirklich mag, kann man sich auch leisten“, sagt Daniel von Schacky. Er liebt außer Daniel Richter z. B. den Belgier Francis Alys. Der Gene­rationswechsel, so ahnt man, bahnt sich auch in der Villa Grisebach an. Wenn Bernd Schultz‘ Herz an Lovis Corinth oder Max Beckmann hängt, fühlt sich Daniel von Schacky, der sich hier als Schüler in einem Expertenteam sieht, dem „Widerschein universeller Bilder in der Gegenwartskunst“ verbunden.   

Anita Wünschmann

 

 

Informationen

Galerie für Gegenwartskunst­ in der Villa Grisebach 

Fasanenstraße 25, 10719 Berlin

Montag bis Freitag 10–18.30 Uhr,
Samstag 11–16 Uhr und nach Vereinbarung

36 - Herbst 2008
Kultur