Noch schöner wohnen

Sechs Berliner Wohnsiedlungen der Moderne stehen jetzt auf der prestigeträchtigen Liste des Unesco-Weltkulturerbes.

Unesco-Weltkulturerbe? Da denkt man in der Regel an prunkvolle Schlösser, an antike Befestigungsanlagen oder an unberührte Naturlandschaften. Doch seit Juli dieses Jahres können sich auch sechs Berliner Wohnsiedlungen mit dem prestigeträchtigen Titel schmücken – womit die Hauptstadtregion nach den Schlössern und Gärten von Berlin und Potsdam sowie der Museumsinsel nun dreimal auf der Welterbeliste vertreten ist.

Errichtet wurden die jetzt ausgezeichneten Siedlungen größtenteils in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Sie stehen für den reformorientierten Ansatz der Zwischenkriegszeit, mit dem fortschrittliche Architekten und Stadtplaner ein Gegenmodell zum gründerzeitlichen Wohnungsbau mit seinen spekulativ errichteten Mietskasernen realisieren wollten. Statt die Menschen in enge, schlecht belichtete Hinterhofbehausungen zu zwängen, sollten helle, gut durchlüftete Wohnungen entstehen. Ein Balkon war deshalb ebenso vorgeschrieben wie die Möglichkeit der Querlüftung und das Vorhandensein eines Bads in der Wohnung. Da die Logis jedoch auch für Arbeiter und kleine Angestellte bezahlbar sein sollten, wurde auf sparsame Bauweise und effiziente Raumausnutzung geachtet. Häufigster Wohnungstyp war die Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung – und in der wohnten damals ganze Familien.

Nicht weniger als 135 000 solche Wohnungen entstanden in Berlin in den Jahren zwischen 1924 und 1930, wobei Genossenschaften oder gemeinnützige Unternehmen wie die Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft (Gehag) als Bauherren fungierten. Untrennbar verbunden war diese neue Art des Wohnungsbaus mit dem Architekten Bruno Taut (1880–1938) und dem Stadtbaurat Martin Wagner (1885–1957). Deren wohl bekanntestes Werk ist die Hufeisensiedlung im Neuköllner Ortsteil Britz: über 1000 Wohnungen in Reihenhäusern und mehrgeschossigen Wohnhäusern, wobei letztere in einer markanten Hufeisenform angeordnet sind.

Gerade die Hufeisensiedlung weist aber auch auf die Problematik dieser historisch bedeutsamen Anlagen hin: Seit Jahren nämlich verkauft die Gehag die Reihenhäuser an einzelne Eigentümer, was es erschwert, die Vorgaben des Denkmalschutzes einzuhalten. Und die Gehag selbst ist längst nicht mehr die gemeinnützige Gesellschaft, als die sie einst gegründet wurde: Vor zehn Jahren vom Land Berlin privatisiert und in der Folge mehrfach weiterveräußert, ist sie nun im Konzern der börsennotierten Deutsche Wohnen AG aufgegangen. Kapitalgesellschaften gehören auch die meisten anderen Unesco-Siedlungen, lediglich die Gartenstadt Falkenberg und die Siedlung Schillerpark sind noch im Eigentum einer Genossenschaft, die an die Ideale des frühen 20. Jahrhunderts anknüpft.

Paul Munzinger
 

36 - Herbst 2008
Stadt