Die neuen Wohnsiedlungen tragen Namen wie Habichtshorst, Grüne Aue, Biesdorfer Stadtgärten oder Altes Gut und spiegeln Biesdorfs Charakter als grünen Stadtteil wider. Das Schloss unweit des alten Dorfkerns gehörte einst der Familie von Siemens. In den letzten zwei Jahrzehnten gab es durch intensive Bautätigkeit in dem Ortsteil von Marzahn-Hellersdorf einen erheblichen Bevölkerungszuwachs, was bis heute eine Herausforderung für die Infrastruktur bedeutet. Bevor die Bagger kamen, fand von 1999 bis 2014 die größte archäologische Ausgrabung Berlins statt. Die Funde werden im Neuen Museum gezeigt.
Auf den ersten Blick erscheint Biesdorf als eine unspektakuläre Wohngegend im Osten Berlins. Dabei wurden hier die erste elektrische Straßenbahn Berlins getestet und Zeppeline gebaut. Auch gibt es mehrere ältere Einfamilienhausgebiete, die kaum bekannt sind. Zu guter Letzt wurde 2015 die traditionelle Bahnhofsgaststätte „Paule“ abgerissen. Eine Bürgerinitiative hatte bis zuletzt dagegen gekämpft.
In den vergangenen Jahren hat sich der Bekanntheitsgrad Biesdorfs aber um einiges erhöht. Einen großen Anteil daran hat nicht zuletzt die intensive Bautätigkeit im Ort. Es begann 1997, als der 66 Meter hohe Schornstein einer ehemaligen NVA-Kaserne in Biesdorf-Süd gesprengt wurde. Ein heftiger Knall weckte seinerzeit das sonst so beschauliche Biesdorf aus dem Dornröschenschlaf. Gleichzeitig war er das Startsignal für den Beginn eines Baubooms. Für das Land Berlin bereitete die Deutsche Bau- und Grundstücks AG das Baufeld Habichtshorst vor. Neben der Armee gab es hier zuvor diverses Gewerbe, darunter einige Gartenbaubetriebe. Nun also Wohnungsbau. Insgesamt 27 Baufelder wurden ausgewiesen und schrittweise an Investoren vergeben. Über 2 000 Wohneinheiten, Einfamilienhäuser, Reihenhäuser und Mehrfamilienhäuser waren geplant. Dazu kamen eine Grundschule, mehrere Kindertagesstätten und ein Stadtteilpark. Am Elsterwerdaer Platz wurde ein Stadtteilzentrum mit Einkaufsmöglichkeiten errichtet. Mehrere Tausend neue Einwohner stellen die Infrastruktur derzeit auf eine harte Probe. Die Schule ist schon jetzt zu klein, und es gibt keine gute Verkehrsanbindung.
Bevor es mit der Bautätigkeit Anfang der 2000er-Jahre richtig losgehen konnte, musste das Baufeld archäologisch untersucht werden. Darauf bestand die Bodendenkmalpflege. Schließlich gab es durch vorherige Zufallsfunde die berechtigte Annahme, dass hier unweit des Flusses Wuhle frühe menschliche Kulturen eine Heimstatt hatten – für die Investoren ein weiterer Beleg dafür, dass es sich schon immer gut leben ließ in Biesdorf.
Besiedelungen gibt es in der Gegend nämlich schon seit 11 000 Jahren und das relativ kontinuierlich. Das ergaben archäologische Untersuchungen in dem Gebiet. Von 1999 bis 2014 fand auf 22 Hektar die größte wissenschaftliche Grabung statt, die es je im Berliner Raum gab. „Ein solch umfassendes Bild früher Siedlungstätigkeit ist noch nirgends in Berlin dokumentiert worden“, sagt Matthias Wemhoff, Landesarchäologe und Direktor des Museums für Ur- und Frühgeschichte. In der dicht bebauten Innenstadt zum Beispiel ließen sich solche großflächigen Grabungen überhaupt nicht machen. Hier geht man eher punktuell vor wie unlängst am Molkenmarkt. Eine Ausstellung im Neuen Museum zeigt derzeit die Ergebnisse und entsprechende Artefakte: angefangen von Steinzeit-Werkzeugen über Keramik aus der Bronzezeit bis hin zu einer römischen Goldmünze.
Was die Besiedlung betrifft, waren die 120 dokumentierten Biesdorfer Brunnen besonders aufschlussreich. Gefunden wurden dabei verschiedene Bauformen, darunter einfache Röhrenbrunnen aus ausgehöhlten Baumstämmen, Korbgeflechtbrunnen und stabilere Balkenkonstruktionen. Durch dendrologische Untersuchungen ließ sich bei letzteren das Alter des verbauten Holzes bestimmen. So konnte nachgewiesen werden, dass der germanische Kastenbrunnen aus dem Jahr 95 n. Chr. stammen muss.
Erste Häuser sind für die Bronzezeit, das zweite vorchristliche Jahrtausend, nachweisbar. Knochen belegen die Essgewohnheiten der frühen Einwohner. Das Highlight der Biesdorfer Ausstellung ist aber zweifellos die Hirschgeweihmaske aus der Steinzeit. Gefunden wurde sie allerdings schon 1953 bei Gartenarbeiten in Biesdorf. In Deutschland sind derartige Funde bislang sehr selten. Ob sie auf der Jagd oder anlässlich schamanischer Rituale getragen wurde, bleibt im Dunkel der Geschichte. Dank der Förderung durch den Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung können im Projekt „Exploring Biesdorf“ Jugendliche der Jugendhilfeeinrichtung Manege gGmbH in Marzahn-Hellersdorf aktiv an der Gestaltung der Ausstellung teilnehmen. Die Hirschgeweihmaske hat besonders fasziniert. Unter Anleitung haben die Teilnehmer ihrerseits Masken gebaut und das Brettspiel „Biesdorfer Wildbeuter“ entwickelt. Damit ist die Biesdorfer Grabungsschau die erste partizipative Ausstellung des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte. Mit „10 000 Jahre – Wohnen an der Wuhle“ könnte man die Ausstellung überschreiben. Das ist ausdrücklich auch eine Einladung an die heutigen Einwohner“, so Matthias Wemhoff.
Karen Schröder
Information
Ausstellung: Berlins größte Grabung. Forschungsareal Biesdorf noch bis 19.04.2020 Museum für Vor- und Frühgeschichte/ Neues Museum