Großprojekt unterstützt den Naturschutz

Im Berliner Südosten entsteht derzeit auf einem 45 Hektar großen ehemaligen Rangierbahnhof ein neues Gewerbegebiet. Gelegen in der Nähe des Betriebshofs Schöneweide trägt es den schönen Namen "Gleislinse". Angesiedelt werden sollen sowohl Büros als auch produzierendes Gewerbe. Naturschutz gehört dabei zum Konzept. Die Deutsche Bahn und das Land Berlin haben das Projekt gemeinsam vorangetrieben. 33 Millionen Euro sind für Beräumung und Erschließung veranschlagt.

Es blüht auf der Baustelle. Zwischen den Schottersteinen leuchten die Tulpen. Von der Fußgängerbrücke am Betriebsbahnhof Schöneweide aus lässt sich das Areal gut überblicken. Das Motiv der „Gleislinse“ haben Landschaftsarchitekten in einem Rondell gestalterisch umgesetzt. Es wird Teil des Stadtplatzes sein, eines Entrees für das gesamte Gebiet. Der landschaftliche Grünzug ist bereits fertiggestellt. Ein 800 Meter langes naturnahes Band verläuft direkt entlang der Bahnstrecke. Gegenüber werden derzeit neue Straßen angelegt. Der historische Wasserturm ist eingerüstet. Zusammen mit dem alten Ringlokschuppen erinnert er an die bewegte Vergangenheit des Geländes als Rangier- und Güterbahnhof. Beide Gebäude werden von dem Verein Dampflokfreunde Berlin e. V. betrieben. Mit Zuschüssen der Stiftung Denkmalschutz wird der Turm gründlich restauriert, erhält seine ursprüngliche Putz-Fassade, den alten Schriftzug und den originalen schiefergedeckten Helm zurück. Gut denkbar, dass an diesem besonderen Ort später ein Café entsteht. Entsprechende Überlegungen gibt es bereits.

Bei der Freiraumplanung des Grünzugs hat das Büro Herrburg Landschaftsarchitekten die frühere Nutzung des Geländes ins gestalterische Konzept einbezogen: „Aufeinander lagernde Betonschwellen dienen als rhythmisierende, gliedernde Landmarke sowie als neuer Lebensraum für die heimische Fauna. An diesen Schwellenblöcken haben wir als Referenz an die vergangene Bahngeschichte im Abstand von je hundert Metern sogenannte Hektometerzeichen befestigt“, heißt es in der Projektbeschreibung. Schotter und Gleise wurden gestalterisch einbezogen, wo immer es sich anbot. Anforderungen an den Naturschutz haben die Planer berücksichtigt. Denn geschützte Arten wie die Zauneidechse oder Vögel, zum Beispiel die seltenen Steinschmetzer und Brachpieper, sollen weiter auf dem Gelände heimisch sein können.

Der ehemalige Güterbahnhof war schon 1998 stillgelegt worden. 22 Jahre sind seitdem vergangen, in denen sich die Natur das Gelände zurückerobern konnte. Der sonnige Standort mit seinem  steinigen Untergrund zog vor allem Zauneidechsen magisch an. Einige Hundert hatten die Naturschützer geschätzt. Gezählt worden sind schließlich etwa 2 000 Tiere. Damit gehörte das Areal zu Europas größten Zauneidechsen-Biotopen – eine Herausforderung für den Naturschutz. Denn ein großer Teil der Reptilien brauchte einen neuen Lebensraum. Unter der Leitung des Biologen Nico Stenschke, Mitarbeiter eines Landschaftspflegehofs aus Sachsen-Anhalt, wurden seit 2016 Zauneidechsen eingesammelt und umgesiedelt, unter anderem nach Lichtenberg in den Landschaftspark Herzberge. „Dort waren für die Neuankömmlinge extra eidechsengerechte Lebensräume geschaffen worden“, so Stenschke. „Das Einfangen bedeutet für die Tiere aber immer auch Stress, so sehr wir uns auch bemühen.“ Besser ist es also, sie in der Nähe zu belassen. Der Naturschutzbund hatte deshalb zu Beginn der Projektentwicklung darauf gedrängt, nur umzusiedeln, wenn der Verkauf des ent-
sprechenden Teilabschnitts unmittelbar bevorsteht und vor Ort kein anderer Lebensraum bereitgestellt werden kann. Ein Teil der Echsen-Umzüge erfolgt denn auch ganz in die Nähe. So sind neben dem Ringlokschuppen und auf dem neuen Grünzug geeignete Lebensräume bereitgestellt worden: Sandbänke zur Eiablage, Baumstümpfe zum Verstecken und Steine zum Sonnen. Zauneidechsen werden bis zu 22 Zentimeter groß. Im Sommer legen sie ihre Eier in den heißen Sand. Nach ein bis zwei Monaten schlüpfen die Jungen. Als Nahrung dienen Insekten, vor allem Käfer und Schmetterlinge. In der kalten Jahreszeit verkriechen sie sich in Holzhaufen, Steinspalten oder Erdlöchern.

Mittlerweile sind viele Flächen des Gebietes schon verkauft, weitere werden zur Ausschreibung vorbereitet. Der Technologiepark Adlershof vermarktet die Gleislinse als „Joker“. Das produzierende Gewerbe soll sich dabei möglichst eng mit der angrenzenden Wissenschaft vernetzen. Hervorgehoben wird von den Planern die gute Anbindung durch die S- und Regionalbahn sowie den Flughafen BER. Noch in diesem Jahr soll der Bahnhof in Johannisthal umbenannt werden. Bis zum Jahr 2023 entsteht hier dann eine neue größere Fußgänger- und Radwegbrücke über das Adlergestell und die Bahnstrecke. Sie bedeutet sowohl für Beschäftigte des Gewerbeparks, die für den Arbeitsweg vermehrt das Fahrrad nutzen werden, als auch für die Anwohner der angrenzenden Stadtteile eine Bereicherung.

Karen Schröder

 

82 - Frühjahr 2020
Stadt