Große Bauprojekte von Investoren oder Raum für Strandbars und alternative Kultur? Die Zukunft des östlichen Berliner Spreeraums zwischen Jannowitz- und Elsenbrücke ist zum Streitfall geworden.
Es ist eines der interessantesten Berliner Gebiete mit großem Entwicklungspotential: der Raum beidseits der Spree zwischen Jannowitz- und Elsenbrücke. Hier finden sich Zeugnisse der Vergangenheit wie die aus dem 19. Jahrhundert stammende Heeresbäckerei in der Köpenicker Straße oder die East Side Gallery, das längste erhaltene Teilstück der Berliner Mauer. Hier gibt es aber auch moderne Bürogebäude wie das vom renommierten Hamburger Architekturbüro Bothe Richter Teherani entworfene Energieforum oder das Hochhaus der Treptowers. Und hier locken im Sommer beliebte Strandbars wie das Kiki Blofeld in der Köpenicker Straße oder das Yaam vor dem Ostbahnhof.
Schon diese Vielfalt zeigt, welche Interessengegensätze im östlichen Spreeraum aufeinanderprallen. Vollends deutlich wurde dieses Konfliktpotential im Juli dieses Jahres, als die Mehrheit der Abstimmenden im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg für das Bürgerbegehren „Mediaspree versenken – Spreeufer für alle!“ votierte. Damit sprachen sich die Friedrichshainer und Kreuzberger dafür aus, einen 50 Meter breiten Streifen neben dem Spreeufer nicht zu bebauen und auf Hochhäuser komplett zu verzichten – gegen den Willen des Bezirksamts, das im Fall der Umsetzung des Bürgerbegehrens Schadensersatzforderungen der Investoren in Höhe von 165 Millionen Euro befürchtet.
Die Höhe dieses Betrages erklärt sich dadurch, dass für zahlreiche Projekte bereits ein Bebauungsplan vorliegt und nicht wenige Investoren auch schon eine Baugenehmigung in der Tasche haben. Dürften sie ihre Vorhaben nun nicht realisieren, müsste sie die öffentliche Hand entschädigen. Ob es dazu kommt, ist unklar; rechtlich bindend ist das Bürgerbegehren nämlich nicht, und die Vertreter des Senats haben deutlich gemacht, dass sie nicht vorhaben, geltendes Baurecht zu verändern.
Doch nicht nur aus diesem Grund lässt sich die Forderung, das Ufer der Spree unbebaut zu lassen, gar nicht so leicht verwirklichen. Denn die Bauherren des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verschwendeten keinen Gedanken daran, dass dereinst am Flussufer Sandhaufen aufgeschüttet und Cocktails gemixt werden könnten, und bauten ihre Häuser direkt an die Spree. Weil der Fluss damals nicht als Erholungsraum wahrgenommen wurde, sondern als Wasserstraße, entstanden hauptsächlich Gewerbe- und Industriekomplexe. Vielerorts ist deshalb bis heute die Spree nicht zu sehen, obwohl man sich nur wenige Meter von ihr entfernt befindet.
Mittlerweile hat sich die Wahrnehmung geändert: Architekten und Politiker versuchen jetzt, die Stadt auf das Wasser hin auszurichten. Die Planung sieht denn auch vor, dass es auf beiden Seiten der Spree einen durchgängigen Uferweg geben wird; dort, wo Bestandsgebäude bis ans Ufer reichen, sollen Stege errichtet werden. Damit werde die Forderung erfüllt, das Spreeufer für alle zu öffnen, heißt es beim Regionalmanagement Mediaspree, in dem sich 21 Investoren zusammengeschlossen haben. Und dieser Uferweg bleibe „nicht auf bestimmte Altersgruppen und/oder Party-People beschränkt“. Das ist ein Seitenhieb auf die Strandbars, die sich an der Spree angesiedelt haben und welche die Kritiker der Großprojekte als Garanten für die freie Verfügbarkeit des Spreeufers betrachten. Ältere Menschen, kontert die Gegenseite, seien in diesen Strandbars gar nicht willkommen. Zudem seien die Betreiber dieser Bars ebenso auf Profit aus.
Eine vergleichbare Kontroverse wie die um den Spreeraum hat es in der deutschen Hauptstadt seit der Wende immer wieder an wechselnden Orten gegeben: Auf der einen Seite stehen Vertreter einer wirtschaftlichen Denkweise, die mit Arbeitsplätzen argumentieren; auf der anderen Seite Menschen aus dem alternativen Spektrum, die Freiräume für kreative Aktivitäten und Wohnraum auch für weniger Begüterte einfordern. Beispielhaft dafür steht die Argumentation der Initiatoren des Bürgerbegehrens: „Wir sehen die Sozialstruktur des Bezirks in Gefahr, sollte Mediaspree den umliegenden Kiezen seinen Stempel aufdrücken. Im Mediaspree-Konzept wird nur in den Hochpreissektor investiert, soziale Infrastruktur und preisgünstiger Wohnraum sind nicht vorgesehen.“
Neu ist dieses Konzept übrigens keineswegs: Ein Großteil der jetzt so umstrittenen Planungen geht nämlich auf die neunziger Jahre zurück. Viele Architektenwettbewerbe, zum Beispiel derjenige für den Postbahnhof am Ostbahnhof, sind schon vor Jahren entschieden worden, ohne dass bisher ein einziger Baukran aufgestellt worden wäre, und manch aufsehenerregendes Vorhaben wie etwa der geschwungene Spreesinus östlich der Jannowitzbrücke ist mangels Büromietern längst wieder in der Schublade verschwunden.
Viel tut sich derzeit allerdings am ehemaligen Osthafen, der sich zu einer Medien- und Modemeile entwickelt: Nachdem sich vor einigen Jahren der Fernsehsender MTV in einem ehemaligen Lagergebäude eingemietet hat, entstehen jetzt unter dem Namen Labels Berlin Showrooms für Designer. Und auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs zwischen Warschauer Straße und Ostbahnhof hat das spektakulärste Projekt des gesamten Mediaspree-Gebiets Gestalt angenommen: Die O2 World, eine Veranstaltungshalle mit 17 000 Plätzen.
Emil Schweizer
Begehrtes Spreeufer
36 - Herbst 2008