Herr Majerus, Sie sind Kommunikationschef der größten Möbelmesse in Deutschland, die obendrein das Interieur-Messejahr eröffnet. Wir möchten Sie daher zu den wichtigsten Trends befragen. Lassen Sie uns mit Farben beginnen! Welche neuen Farbtöne werden in Köln das Auge erfreuen?
M.Majerus: Es werden helle, naturnahe Farbennuancen, beige warme Ockertöne, ein Safran, ein pastelliges Terrakotta, auch ein sanfteres Blau präsent sein. Es geht um Farben, die Ruhe schaffen. Das Knallige ist vorbei. Allerdings habe ich schon Situationen gehabt, wo vorab eine Farbe angesagt war und ich bin dann über die Messe zu den Ausstellern und habe inniglich gewünscht: ‚Lass mich blau sehen!’.
Welches Trendtema wird im Mittelpunkt stehen?
M. Majerus: Das sind die Tiny Spaces. Wie leben wir auf kleinen Flächen, diese Frage ist gerade ein Riesenthema.
Sie wollen mit der Messe Wohnstrategien sichtbar machen, welche sind das?
M. Majerus: Wir haben für die Messe sechs Themen miteinander verbunden. Beispielweise sind da die multifunktionalen Möbel mit einem Minimum an Platzverbrauch und einem Maximum an Eleganz und Komfortabilität. Damit reagieren wir auf die Frage nach den Kleinraumlösungen.
Oder nehmen Sie das Thema „Connect oder connected living“! Das ist der Top-Wachstumstrend, verbunden mit smarten Möbeln.
Connect oder smart, was ist der Unterschied?
M. Majerus: „Connecting“ ist noch etwas weiter als „smart“ gefasst. Das wird die Köln-Messe als Ergänzung zur IMM-Cologne mit ihrem Fokus auf Technik interpretieren. Wir bauen Räume auf und sie können diese funktionieren sehen. Das reicht von Lichtsteuerung, über die schon bekannte Waschmaschinen-TV-Verbindung, wo auf dem Bildschirm das Ende des Waschvorgangs eingeblendet wird.
Und warum ist es so wichtig?
M. Majerus: Mann kann es nicht oft genug sagen, smart und connect sind ein Beitrag zur Ressourcenschonung und keine Gimmicks.
Was wird noch bedeutsam sein?
M. Majerus: Das sind die offenen Räume. Dabei steht die Verschmelzung von innen und außen im Fokus. Offene Räume spielen dabei auf allen Funktionsebenen eine große Rolle.
Wünschen sich Menschen, die im Homeoffice am Küchentisch gearbeitet und zugleich die Kinder betreut haben, nicht gerade mehr Abgeschiedenheit?
M. Majerus: Gelegentlich schon, aber der Trend als solcher geht woanders hin. Salopp gesagt, geht es zur Wiederentdeckung der Studenten-WG und zur Umwandlung ihrer Qualitäten auch für andere Generationen. Die Frage lautet: Was brauche ich für mich, was kann sozial geteilt sein? „Sharing“ wird auch fürs Wohnen ein großes Thema. Die Küche, das Wohnzimmer könnten auf diese Weise geteilt werden.
Es klingt nach einer Utopie, die schon in der frühen Sowjetunion gescheitert war? Glück auf fünfzig Qadratmetern und die noch geteilt?
M. Majerus: Ich glaube fest daran, dass Menschen sich nach neuen Raumlösungen, nach einer lebbaren Kombination aus offenen Arealen und Rückzugsbereichen sehnen, wenn die Mieten und Heizkosten weiter steigen. Sharing und offene Räume sind im Übrigen nicht nur ein Thema im urbanen Umfeld, sondern auch auf dem Land. Scheunen werden zu Co-working-Spaces ausgebaut.
Gibt es auch gescheiterte Trends?
M. Majerus: Es gibt immer auch Gegenbewegungen oder Themen, die aufregend daherkommen, aber dann doch nicht so praktisch sind. Dafür würde ich die offene Verschränkung von Bad und Schlafzimmer nennen. Da gab es die tollen Fotostrecken mit freistehenden Badewannen auf Holzböden und Blick auf ein riesiges Bett. Das hat sich nicht in dem Maße durchgesetzt. Manches bleibt dann auch eher praktikabel für Hotels.
Welche generationsbedingten Veränderungen würden Sie sehen?
M. Majerus: Wenn wir über kleine Räume und Sharing sprechen, müssen wir das Thema Rückzug unter die Lupe nehmen. Was gibt es da für Möglichkeiten und Verhaltensmuster? Zum Beispiel das Schlafzimmer. Man glaubt es kaum, aber noch immer dominiert die Monofunktionalität. Dabei könnte es mit einem Sessel, einem Tischchen und Regalen zum Zweitwohnzimmer werden. Solche Raumideen werden mit den entsprechenden Möbeln durchgespielt. Aber es wird auch die Frage generell gestellt: Was bedeutet für wen Rückzug?
Die Jüngeren stecken sich einen Stöpsel ins Ohr, um in eine eigene Welt zu entschwinden. Rückzug wird nicht mehr allein durch Wände und Türen definiert.
In den letzten Jahren ging es mit Begriffen wie „Cocooning“ oder „Hygge“ um Geborgenheit und Wohlfühlen. Nun soll es noch gemütlicher werden. Wie das?
M. Majerus: Nehmen wir den Aspekt des Wohlfühlens. Da geht es um die Nähe zur Natur. Die Sehnsucht der Menschen nach Naturerleben ist immens, weil sie in den Städten nicht mehr verfügbar ist. Natur war bereits ein Megatrend vor Corona gewesen und hat sich noch stärker etabliert. Soziales Miteinander und Natur! Feuer, Holz, Felle, Naturmaterialien, sanfte Farben, das waren und sind Assoziationsketten, die zur Einrichtung werden. Wir hohlen uns die Natur in den Innenraum. Dazu gehörte auch die Erfindung der vertikalen Mooswände vor wenigen Jahren. Es ging um das Klima und um Sinnlichkeit. Ein anderer Aspekt sind die Formen. Es wird weicher, abgerundeter.
Massivholz steht in ihrem Trenddossier und generell hoch im Kurs? Haben Span- und MDF-Platten ausgedient?
M. Majerus: Sie treten in die zweite Reihe, weil sie oft nicht mit dem Umweltengel-Zertifikat deklariert sind und Massivholz abgesehen von seiner warmen Wirkung mehr Nachhaltigkeitspunkte aufweist.
Minimalismus, „Japandi“ als Interieurkonzepte bestechen durch Leere, Reduktion und Materialität. Gilt das noch?
M. Majerus: Die Reduktion wird nicht aufgelöst. Aber die Lust am Dekorieren ist gewachsen und zum festen Bestandteil des Interieurdesigns geworden. Es geht stärker wieder um das Spielerische, die persönlichen Spuren, die das Wohnen anheimelnd machen, wie etwa gesammelte Kastanien im Wohnzimmer. Alle Themenaspekte verbinden sich miteinander, indoor/outdoor, die Nähe zur Natur und die Wertschätzung von Nachhaltigkeit als absolut wichtiger Aspekt für Kaufentscheidungen.
Ein immer wieder diskutiertes Gegensatzpaar sind Minimalismus oder Opulenz. Wohin neigt sich die Waage?
M. Majerus: Wenn sie über die Messe gehen, werden sie richtig opulente Möbel sehen. Es ist nicht ein „Entweder-oder“ sondern ein „Und“.
„Schöheit in Funktion“, ein Slogan vom dänischen Designerduo Truly Truly. Was bringt das Kreativpaar zu dieser Messe mit?
M. Majerus: Die beiden sind unfassbar gut. Sie haben in ihrem Entwurf für die diesjährige Plattform „Das Haus“ einen Entwurf mit entgrenzten Räumen eingereicht. Öffnung und Rückzug werden durch Textilien, durch Vorhänge geschaffen. Es ist ein spannendes Konzept, wie man mittels der Struktur und Eigenschaft des Stoffes, zum Beispiel Schall aufzunehmen, Zonen erschafft.
2022 wird es das zehnjährige Jubiläum der „Haus“-Plattform, ein Special der Messe, geben. Was ist erreicht worden, was ist 2022 anders?
M. Majerus: Das Haus ist alljährlich ein Magnet für immer mehr Besucher-gruppen, eine sehr erfolgreiche Plattform des kulturellen Austausches. Designer haben hier ihre Wohnvisionen gestaltet. Ein großes Spektrum! Louise Campbell hat das offene Wohnen damals schon thematisiert und in einem großen Raum Wohnzonen angedeutet. Sebastian Herkner, das war mein Lieblingshaus, hatte mit seinem runden Glaspavillon ein unglaubliches Raumerleben realisiert. Zum Jubiläum gestalten drei Designer ein Apparte-menthaus. Wir erweitern das Thema hin zum Aspekt der Apartments. Das nomadische Wohnverhalten nimmt zu, wenn man von überallher arbeiten kann und damit auch der Bedarf an vollkommen und edel-designten Apartments.
Können Sie schon etwas zum „Pure Award“ 2022 verraten?
M. Majerus: Die Preisträger sind noch geheim! Der „Pure Award“ ist für die Messe ein Jungbrunnen. Stefan Diez, Sebastian Herkner, die heute zu den internationalen Top-Designern gehören, haben bei uns ihre ersten Preise erworben.
Was ist Ihre Erwartung an die Messe, was würde Sie am meisten freuen?
M. Majerus: Ich freue mich auf volle Messehallen, darauf, wieder Menschen zu sehen.
Danke für das Gespräch.
Anita Wünschmann