Grüne Tunnel im Visier

„Grüne Haine des Reisens“ – so nannte Theodor Fontane die von Bäumen gesäumten Wege und Straßen. Auch heute noch sind sie ein Markenzeichen Brandenburgs. Insgesamt 8200 Kilometer Alleen durchziehen das Land.

Seit dem Barock haben Garten- und Landschaftsgestalter die Geh- und Fahrwege in ihre Planungen einbezogen. In Brandenburg machte Friedrich Wilhelm I. (1713 bis 1740) den Anfang und veranlasste das Pflanzen von Alleen. Friedrich der Große (1740 bis 1780) setzte die Pflanzungen fort, auch weil Soldaten in ihrem Schatten bei Hitze besser und länger marschieren konnten. Heute geht kaum noch jemand auf einer Allee. Der Straßenverkehr ist in den letzten Jahrzehnten immer dichter geworden, so dass man sich bei diesem Thema zunehmend im Spannungsfeld von Verkehrssicherheit und Landschaftsschutz bewegt.

Doch was eine Allee tatsächlich ausmacht, ist häufig umstritten, weiß Professor Jürgen Peters von der Fachhochschule Eberswalde. Akademisch definiert er diese besonderen Verkehrswege als „regelmäßig und linienförmig, meist zweireihig mit Bäumen bepflanzte Landverkehrswege“. Eine Reduzierung nur auf den Baumbestand lehnt er ab, „vielmehr müssen auch all die anderen Elemente, die eine Straße oder einen Weg ausmachen, mit einbezogen werden“. Alleen seien eben nicht nur Natur, sondern auch kulturhistorische Zeugen und als solche wertvoll.

Der ökologische Nutzen der Straßenbäume ist dennoch unbestritten. Sie schirmen Staub und Schadstoffe ab und spenden Sauerstoff. Darüber hinaus sind sie wertvoller Lebensraum für Vögel, Insekten und Fledermäuse. Alleen verbinden vielerorts zwei Biotope, wobei sich die Tiere an den linienförmigen Strukturen gut orientieren können.

Doch die Brandenburger Alleen sind in Gefahr. Zum einen wegen des relativ hohen Alters der Bäume und zum anderen wegen deren Zustand. Ein kleinerer Teil stammt aus der Zeit vor 1914, vereinzelt sogar aus dem 19. Jahrhundert. Der allergrößte Teil des Baumbestands wurde jedoch in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gepflanzt. Danach gab es eine jahrzehntelange Pause. Erst nach der Wende besann man sich wieder auf seine Fürsorgepflicht für die Alleen. Nach dem Brandenburgischen Naturschutzgesetz von 1992 sind sie unter Schutz gestellt. Alleen dürfen „als Ganzes nicht beseitigt, zerstört, beschädigt oder sonst beeinträchtigt werden“. Jährlich wurden seither Tausende von Bäumen gesetzt, so dass heute ein Fünftel des Bestands jünger als 20 Jahre ist. Dagegen sind 70 Prozent in dem für Alleebäume kritischen Alter von 70 oder 100 Jahren. Die mittlere Generation fehlt. Ein Großteil der Bäume sei darüber hinaus in einem schlechten Zustand, beklagt Wolfgang Mädlow von der Schutzgemeinschaft Brandenburger Alleen. „Ursachen sind aus unserer Sicht ein massiver Tausalzeinsatz, teilweise unsachgemäße Schnitt- und Pflegemaßnahmen, Wurzelschädigungen durch Bauarbeiten sowie mechanische Verletzungen durch Mahd der Randstreifen und nicht behandelte Anfahrtschäden“, erklärt er auf Anfrage.

Von der Schutzgemeinschaft und den Naturschutzverbänden kritisiert wird auch das neue Alleenkonzept der Landesregierung, das künftig für die Brandenburger Bundes- und Landesstraßen gelten soll. Danach wird in den nächsten Jahrzehnten davon abgegangen, für jeden gefällten Baum mindestens einen nachzupflanzen. Bislang galt dieses Prinzip. Stattdessen will man jährlich konstant 5000 Bäume auf 30 Kilometern Straße neu pflanzen, und das in jeweils längeren geschlossenen Straßenabschnitten. Durch kontinuierliches Pflanzen soll eine ausgeglichene Altersstruktur der Alleen erzielt werden. Dabei wird eingeräumt, dass es in den nächsten Jahrzehnten zwischenzeitlich zu einer Verringerung des Alleenbestandes kommen wird, denn aufgrund der Altersstruktur müssen mehr Bäume gefällt werden als nachwachsen. Erst etwa im Jahre 2055 werden wieder genauso viele Alleebäume die Straße säumen wie heute.

Und noch eine entscheidende Neuerung sieht das Alleenkonzept vor: Bäume werden an Brandenburger Bundes- und Landesstraßen generell nur noch in einem Abstand von viereinhalb Metern zur Fahrbahn gepflanzt. Das Landesministerium folgt damit einer Empfehlung des Bundesverkehrsministeriums, denn bei 35 bis 40 Prozent aller Autounfälle mit Todesfolge, war die Ursache die Kollision mit einem Straßenbaum. Die neue Abstandsregelung könnte das Aus für die grünen Tunnel bedeuten, denn die Kronen der Bäume werden nur noch in Ausnahmefällen zusammenwachsen.

Die Naturschutzverbände sowie die Schutzgemeinschaft Brandenburger Alleen fordern hingegen, für jeden gefällten Baum auch in Zukunft mindestens einen jungen nachzupflanzen. „Denn das neue Alleenkonzept hat keinerlei rechtliche Verbindlichkeit, heute nicht und erst recht nicht in 30 Jahren. Die dahinter stehende Strategie geht ja nur auf, wenn das Prinzip über 50 Jahre konsequent befolgt wird“, begründet er den Standpunkt. Wolfgang Mädlow von der Schutzgemeinschaft jedoch ist skeptisch, dass es langfristig tatsächlich zur Pflanzung der zugesagten 5000 Bäume kommt.

Karen Schröder

 

36 - Herbst 2008