Die Autorinnen Judith Kessler und Lara Dämmig folgen in ihrem Reiseführer einem unwiederbringlich jüdischen Leben im Berliner Umland.
Immer wieder finden sich im Berliner Umland Spuren jüdischen Lebens. Wie lebendig dieses einst gewesen sein muss, lassen heute oft nur noch Straßennamen erahnen und Friedhöfe, die mehr oder weniger gepflegt am Wegrand liegen. In Storkow, Müncheberg, Schwedt und Potsdam beispielsweise kann man sie finden. Die ältesten jüdischen Grabsteine der Region aus den Jahren 1244 bis 1474 sind in der Zitadelle Spandau ausgestellt.
Jüdische Geschichte zeigt sich auch an vielen anderen Orten. Siedelten doch vom Mittelalter an Menschen jüdischen Glaubens im Berlin-Brandenburger Raum. In Bad Freienwalde zwischen Bahnhof und Schlossplatz gibt es noch heute die Judentreppe, an deren Ende einst die Synagoge stand.
An der Pfarrkirche in Beelitz ist ein Judenkopf zu sehen. In Erinnerung an zwei Juden, die Mitte des 13. Jahrhunderts auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden sind, weil sie Hostien gestohlen haben sollen. Letztere sollen daraufhin angefangen haben zu bluten, heißt es. Schließlich ist die Beelitzer Wunderblutkapelle gebaut worden. Ein Beispiel für den weit verbreiteten Antijudaismus im Mittelalter.
So eingeschränkt die Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten per Gesetz über lange Zeiträume waren, gab es immer auch Phasen eines relativ gleichberechtigten Nebeneinanders von Juden und Christen. Die Uckermark und insbesondere Schwedt-Vierraden waren seit dem 17. Jahrhundert ein Zentrum des Tabakhandels, der maßgeblich von jüdischen Händlern bestritten wurde. Noch 1926 gehörten vier von sechs Rohtabakhandlungen jüdischen Kaufleuten. Heute erinnert ein Tabakmuseum an diese Tatsache. Gerade in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts haben jüdische Mitbürger das Leben in Berlin-Brandenburg entscheidend mitgeprägt.
In Luckenwalde führt der Weg zur von Erich Mendelsohn 1921/23 gebauten Hutfabrik. Auf einer Grundfläche von 10000 m2 entstanden vier Produktionshallen, ein Kessel- und Turbinenhaus, eine Färbereihalle sowie zwei Torhäuser. Avantgardistisch vor allem die hutförmige Dachkonstruktion der Färbereihalle, die eine moderne Entlüftung erhielt. Die Fachwelt staunte, und die Stadt bekam ein Wahrzeichen.
Ein anderes prominentes Beispiel ist Albert Einstein. Der Nobelpreisträger, der in Berlin arbeitete, verbrachte von 1929 bis 1932 die Sommermonate in seinem Haus am See in Caputh. Der jüdische Architekt Konrad Wachsmann hatte es für ihn entworfen. Viele Prominente besuchten Einstein nachweislich hier, darunter Heinrich Mann, Otto Hahn und Gerhart Hauptmann.
Steckelsdorf im Havelland gehört heute zur Stadt Rathenow. Hier befand sich in den 1930er Jahren ein sogenanntes Hachschara-Lager, wo jüdische Jugendliche auf ihre Auswanderung nach Palästina vorbereitet wurden. Die Bürgersöhne und -töchter lernten mit Spaten und Hacke umzugehen, sollten sie doch bald ihre neue Heimat urbar machen. Heute erinnert eine Gedenktafel an dieses Kapitel deutsch-jüdischer Geschichte, das 1942 ein jähes Ende fand. Es steht aber nicht hier, dass seine Bewohner nach der Auflösung des Lagers mehrheitlich deportiert wurden. Jüdische Geschichte wurde hier wie überall in Deutschland für Jahrzehnte ausgelöscht.
Karen Schröder
Buchtipp
Judith Kessler/Lara Dämmig: Jüdisches im Grünen.
Ausflugsziele im Berliner Umland. Vorwort von Hermann Simon.
Mit 230 Abbildungen. Teetz, Berlin. Hentrich & Hentrich 2007.
160 S. Kartoniert. 19,80 €