Das Berliner Gedenktafel-Programm erinnert an das Wirken großer Persönlichkeiten in der deutschen Hauptstadt.
Trotz ihrer Schlichtheit sind sie ein Blickfang. Gerade in dieser Kombination liegt das Geheimnis des Berliner Gedenktafel-Programms. Die kunstvoll gefertigten Stücke aus Porzellan erinnern mittlerweile an weit mehr als 300 Stellen zwischen Pankow und Zehlendorf an Persönlichkeiten, die bedeutende Leistungen in der deutschen Hauptstadt oder für Berlin erbracht haben.
Das Haus in der Fontanestraße 8 nahe des S-Bahnhofs Grunewald fügt sich unauffällig ein in die Reihe der zweistöckigen Gebäude jener ruhigen Siedlung im grünen Süden. Es hebt sich weder durch architektonische Besonderheiten noch durch grelle Farbe oder andere Extravaganzen von den benachbarten Bauten ab. Lediglich eine weiße Tafel mit blauer Aufschrift lässt manchen Spaziergänger stocken. Hier also, so verraten die Buchstaben, hat der berühmte Theatermann Max Reinhardt während seiner schaffensreichen Jahre in Berlin gewohnt.
„Ich bin ein bekennender Reinhardtianer“, sagte Dr. Bernd Wilms an dem sonnigen 5. Mai in seiner kurzen Laudatio auf den berühmten Kollegen. Der Intendant des Deutschen Theaters, der die Funktion des Kurators im Hauptstadtkulturfonds übernimmt, enthüllte zusammen mit Walter Momper die Porzellantafel an dem Haus, in dem Reinhardt von 1902 bis 1905 lebte. Momper dankte als Präsident des Abgeordnetenhauses besonders den Sponsoren, ohne die eine Fortführung des zur 750-Jahr-Feier Berlins initiierten Gedenktafel-Programms nicht möglich wäre. In die Reihe der Förderer hat sich zum 160. Geburtstag ihres Unternehmens die GASAG eingereiht, die das Programm noch in diesem Jahr mit zehn Gedenktafeln bereichert. „Gerade in der heutigen Zeit wird es immer wichtiger, gegen das Vergessen anzugehen und die Erinnerung wach zu halten. Deshalb ist es uns eine ganz besondere Freude, mit den Gedenken auf Porzellan an Persönlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens zu erinnern, die sich mit ihren herausragenden Leistungen hervorgetan haben“, sagte Dr. Klaus Haschker, Leiter Konzernkommunikation der GASAG, bei der Enthüllung der Tafel für Max Reinhardt vor der zahlreich versammelten Berliner Theaterprominenz.
Der Berliner Senat misst dieser Aktion große Bedeutung zu und hilft mit allen dafür zur Verfügung stehenden Mitteln. Schließlich ist Kulturstaatssekretär André Schmitz das Gedenktafelprogramm vor allem auch in seiner Funktion als Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer der Historischen Kommission zu Berlin ein vertrautes und wichtiges Thema. So hat diese schon 1992 die fachliche Betreuung übernommen. Die Fortführung des Programms sei mehr denn je auf Sponsoren und Förderer angewiesen, erklärt die Geschäftsführerin der Historischen Kommission Rosemarie Baudisch. Berlin hätte in dieser Beziehung zu anderen traditionellen Weltstädten wie London oder Paris zwar großen Nachholbedarf, ist aber durch die Anstrengungen der letzten Jahren auf einem guten Weg. „Dieses Thema ist nahezu unerschöpflich“, sagt die Historikerin und könnte eine Fülle von Namen nennen, die eine Ehrung im Gedenktafel-Programm verdient hätten.
Die Idee, große Persönlichkeiten auf diese Art in Erinnerung zu behalten, stammt schon aus der Antike. Bereits 480 vor Christus wurde Leonidas, dem König von Sparta, für seine heldenhafte Verteidigung gegen die Perser ein Gedenkstein gewidmet. Die durch Herodot überlieferten Worte darauf hat Friedrich Schiller jedem in deutscher Sprache nahegebracht: „Wanderer kommst du nach Sparta...“
Nun sind aber heute die Erinnerungen nicht mehr in große Granitblöcke gemeißelt, sondern sollen an den Stätten an sie erinnern, wo die Persönlichkeiten gewirkt haben. Das ist teilweise durchaus mit Hindernissen verbunden. Zum einen sind 99 Prozent aller in Berlin geehrten – wie der 1873 als Maximilian Goldmann in Wien geborene Max Reinhardt – überhaupt keine waschechten Berliner. Zum anderen müssen die Eigentümer der Häuser, in denen die Persönlichkeiten gewohnt oder gewirkt haben, für das Programm gewonnen werden. „Das klappt nicht immer so ausgezeichnet wie in der Fontanestraße im Grunewald, wo der Hausbesitzer sogar einige Räume für die Feier zur Enthüllung der Tafel zur Verfügung gestellt hat“, erklärt Rosemarie Baudisch.
Gravierendes Hindernis sind aber die Kosten, die nach der 300-prozentigen Verteuerung der Produktion durch die 1763 vom Alten Fritz gegründete Königliche Porzellan-Manufaktur nur schwer in den Griff zu bekommen sind. „Deshalb freuen wir uns immer sehr, wenn neue Sponsoren, wie jetzt die GASAG, sich für unser Programm erwärmen und tatkräftig mithelfen“, sagt Frau Baudisch. Immerhin kostet so eine Tafel mit dem Originalzepter der KPM zwischen 2.600 und 3.000 Euro. Dazu kommt die Summe für das Anbringen und die Vorbereitung dazu. Bei derzeit etwa 370 Tafeln in Berlin kommt da eine stattliche Summe für die Erinnerung an berühmte Persönlichkeiten zustande.
Wer der erste war, dem in Vorbereitung der 750-Jahr-Feier Berlins die originelle Tafel gewidmet wurde, weiß Rosemarie Baudisch nicht mehr genau. Robert Koch könnte es sein. Mittlerweile sind fast 400 Künstler, Politiker, Pädagogen und Gelehrte dazugekommen. Voraussetzung für die Verewigung auf einer der von Wieland Schütz erhaben gestalteten Tafeln ist ein formloser Antrag an die Historische Kommission mit einer kurzen Begründung und einer Biografie jener Persönlichkeit, die seit mindestens fünf Jahren tot sein muss. Das Feld hierfür ist im sprichwörtlichen Sinne ein weites, und doch hat auch Rosemarie Baudisch für die Zukunft einige Wünsche. Hans Geiger zum Beispiel, jener Erfinder der nach ihm benannten wissenschaftlichen Apparatur, oder Max Schmeling, das Box-Idol des vergangenen Jahrhunderts.
Hans-Christian Moritz