Siegerentwurf

Im nächsten Jahr sollen die Bauarbeiten auf dem geschichtsträchtigen Wertheim-Areal beginnen. Auch ein Kaufhaus ist wieder geplant.

Erinnert sich noch jemand? Ein Platz im Nirgendwo, verlorene Imbissbuden, verrammelte S-Bahn-Zugänge – so präsentierte sich der Leipziger Platz kurz nach dem Fall der Mauer. Nichts, aber auch gar nichts war zu spüren von der Vornehmheit, die den 1732 unter dem Namen Oktogon (Achteck) angelegten Platz ursprünglich geprägt hatte.

Heute ist die achteckige Grundform des Platzes zumindest weitgehend wiederzuerkennen. In den vergangenen Jahren ist die südliche Seite des Platzes komplett neu bebaut worden, während am nordöstlichen Rand unübersehbar eine große städtebauliche Wunde klafft. Es ist das Wertheim-Areal, benannt nach dem 1897 eröffneten Kaufhaus Wertheim, das als eines der modernsten und schicksten Warenhäuser Europas galt, 1945 aber den Bomben des Zweiten Weltkriegs zum Opfer fiel.

Für 2009 hat das Unternehmen Orco Germany den Beginn der Bauarbeiten an einem gewaltigen Gebäudekomplex mit Läden, Büros, Unterhaltungsangeboten und Wohnungen angekündigt.
Orco ist bereits der dritte Investor, der hierbei sein Glück versucht. Zunächst hatte sich das Münchner Investorenehepaar Isolde und Peter Kottmair das attraktive Grundstück gesichert und präsentierte die bunten Pläne des italienischen Stararchitekten Aldo Rossi, die auch ein ständiges Domizil für den kanadischen Cirque du Soleil vorsahen.
Doch das Kottmair-Imperium brach zusammen, und 2001 nahmen gleich drei Immobilienfirmen gemeinsam einen neuen Anlauf: Die bundeseigene TLG Immobilien, der Shopping-Center-Betreiber ECE und die Projektentwicklungsgesellschaft Bauwert legten einen Masterplan des Berliner Architekten Sergei Tchoban vor. Die Mieter aber, die nötig gewesen wären, um mit den Bauarbeiten beginnen zu können, fanden sich nicht.

Und dann kam auch noch die Jewish Claims Conference ins Spiel, die im Namen der Erben der Kaufhausdynastie Wertheim Rückübertragungsansprüche auf das Grundstück anmeldete – und recht bekam. Erst als die Jewish Claims Conference Ende 2006 das Areal für 75 Millionen Euro an Orco veräußerte, war der Weg frei, um die Planung wieder aufzunehmen.
Dieses Mal stammt der städtebauliche Entwurf vom Berliner Jan Kleihues, der sich in einem Wettbewerb gegen acht Konkurrenten durchsetzte. Er schlägt eine breite Passage vor, die in Nord-Süd-Richtung verläuft und die Voßstraße mit der Leipziger Straße verbindet. Links und rechts davon sind Läden vorgesehen, während an der Ecke zum Leipziger Platz ein markanter Eingang in ein kleines Kaufhaus führen wird. Rund ein Drittel der Fläche haben Kleihues und Orco für hochwertige Wohnungen reserviert, von denen aus die künftigen Bewohner auf einen kleinen Wald im Inneren des Areals werden blicken können.

Architekt Kleihues wird aber nicht das gesamte Areal selbst bebauen; im Interesse der architektonischen Vielfalt sollen mehrere Baumeister zum Zug kommen. Trotzdem dürfte der Leipziger Platz einen weiteren Bestandteil von Kleihues‘ beeindruckendem Œuvre bilden, das bereits das Maritim-Hotel in der Stauffenbergstraße, das Concorde-Hotel in der City West und den im Bau befindlichen Sitz des Bundesnachrichtendienstes in der Chausseestraße umfasst – und außerdem, welch ein Zufall, ein Ende der neunziger Jahre entstandenes Geschäftshaus am Leipziger Platz, das direkt an das Wertheim-Areal angrenzt.

Paul Munzinger

Daten und Fakten: Der Leipziger Platz wurde 1732 angelegt. Er hieß damals Oktogon und war neben dem Quarrée (heute Pariser Platz) und dem Rondell (heute Mehringplatz) einer von drei barocken Schmuckplätzen. Auf dem 20 600 Quadratmeter großen ehemaligen Wertheim-Areal soll eine Bruttogeschossfläche von rund 90 000 Quadratmetern entstehen. 55 Prozent davon sind für den Einzelhandel vorgesehen, 30 Prozent für Wohnungen und 15 Prozent für Büros. Orco Germany will rund 250 Millionen Euro (zuzüglich Grundstückskaufpreis von 75 Millionen Euro) in das Vorhaben investieren.

 

35 - Sommer 2008