Verdichtete Stadt

Sie haben das E-Werk in der Mauerstraße umgebaut, und jetzt hauchen sie dem Café Moskau­ in der Karl-Marx-Allee neues Leben ein: Die drei Berliner Architekten Florian Hoyer, Harald­ Schindele und Markus Hirschmüller haben ein Händchen für interessante Projekte.

Eine mutige Entscheidung war es zweifellos, als Florian Hoyer und Harald Schindele 1997 nach Abschluss ihrer Studien gleich ihr eigenes Architekturbüro in Berlin gründeten. Der Nachwende-Bauboom neigte sich damals bereits dem Ende zu – und trotzdem hat es das Büro, mittlerweile mit Markus Hirschmüller als drittem Partner, seither geschafft, seine immer größer werdenden Spuren im Berliner Stadtbild zu hinterlassen.

Das prominenteste Projekt des Büros HSH: das als E-Werk bekannte, unweit vom Checkpoint Charlie gelegene ehemalige Abspannwerk in der Mauerstraße. Von 2004 bis 2005 bauten es die Architekten im Auftrag des neuen Eigentümers, eines Software-Unternehmens, komplett um. Das in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts errichtete Gebäude zählt zu den wichtigsten Industriedenkmalen der Hauptstadt, und es gewann in den Nachwendejahren als Ort eines Technoclubs legendären Ruhm.

Beim Abspannwerk konnten sich die drei Architekten denn auch exem­plarisch am Umgang mit denkmalgeschützter Bausubstanz abarbeiten. Klar war: Um das Haus für die Büro­nutzung tauglich zu machen, waren einschneidende Maßnahmen nötig. „Den geschlossenen Charakter des technischen Bauwerks“, schildern sie die damalige Aufgabe, „galt es zu verwandeln in ein lichtes, modernes Bürogebäude, das sich zur Stadt hin öffnet.“ Gleichzeitig bewahrten sie jedoch in den Hallen im Erdgeschoss, die heute als Veranstaltungsort dienen, die Spuren der Vergangenheit. So zeichnen sich zum Beispiel am Boden noch immer die Standflächen der Turbinen ab.

Als Ziel ihrer Arbeit bezeichnen es die drei Partner folgerichtig, „die Qualitäten von Alt- und Neubauten miteinander zu verbinden“. Neue Elemente wollen sie deutlich kennzeichnen; beim Abspannwerk erreichten sie dies beispielsweise durch farbige Glasbrüstungen vor den Fenstern, die von der Wilhelmstraße aus gut zu sehen sind.

Vor ähnlichen Herausforderungen stehen sie bei ihrem derzeit wichtigsten Projekt, dem Umbau des Café Moskau in der Karl-Marx-Allee. Vom neuen Eigentümer des zu DDR-Zeiten beliebten Ausgehtempels, der Investmentgesellschaft von Nicolas Berggruen, haben sie den Auftrag er­halten, das in den 1960ern errichtete Bauwerk so umzugestalten, dass künftig auch größere Veranstaltungen darin stattfinden können, ohne dass der ursprüngliche Charakter verloren geht. „Die Herausforderung besteht darin, die Nutzung und die baugeschichtlichen Qualitäten zusammenzubringen“, sagt Markus Hirschmüller. „Authentische Oberflächen, die die Zeit­läufte mitgemacht haben, halten wir dabei für sehr wichtig.“ Von der ­räumlichen Struktur her sollte das Gebäude jedoch seinen ursprünglichen  transparenten Charakter zurückerhalten. Schließlich gilt das Café Moskau als herausragendes Beispiel einer schwerelosen und reduzierten  Architektur der sechziger Jahre. Bis 2009 sollen die Umbauarbeiten abgeschlossen sein. Betreiben werden die Veranstaltungsflächen Ralf Regitz und Silke Friedrich, die auch die Events im E-Werk managen. Trotzdem kamen Hoyer, Schindele und Hirsch­müller nicht etwa über diese persönlichen Beziehungen zum Auftrag für das Café Moskau, sondern über ein vom Investor ausgelobtes Gutachterverfahren. Ansonsten aber setzen sie bewusst auf die Kraft ­persönlicher Kontakte. Von Anfang an versuchten sie nicht über Wettbewerbe ihr Glück, sondern über kleine Altbausanierungen in Prenzlauer Berg und Mitte, aus denen sich dann ­immer wieder neue Aufträge ent­wickelten.

Erstmals das Aufsehen der Fachwelt erregten sie 2001 mit einem neu errichteten Wohnhaus in der Auguststraße 62 in Mitte. An ihm werden zwei Prinzipien deutlich, welche die Wohnungsbauten von HSH prägen: Statt die Wohnungen horizontal zu gliedern, konzipierten sie die Einheiten als ineinander verschachtelte Maisonette-Wohnungen. Zugleich schufen sie offene Räume mit Außenbezug.

Ähnliche Entwurfsprinzipien lassen­ sich auch an der Gormannstraße 8/9­ in Mitte verfolgen. Dort planten Hoyer, Schindele und Hirschmüller ein Gebäude, das von außen wie ein einziges Haus aussieht, in Wirklichkeit aber drei mehrgeschossige Stadt­häuser mit eigenem Eingang umfasst. Jawohl, von Stadthäusern spricht das Trio und nicht, wie es derzeit Mode ist, von Townhouses. „Die Townhouses auf dem Friedrichswerder“, kritisiert Harald Schindele, „sind in der Masse nicht gelungen, da sie repetitiv sind.“

An einem vergleichbaren Projekt wie in der Gormannstraße arbeiten sie in der Waisenstraße in Mitte: Direkt neben der mittelalterlichen Berliner Stadtmauer wird der Betrachter das Gefühl haben, vor einem einzigen Gebäude zu stehen, obwohl es sich in Wahrheit um vier getrennte Stadthäuser handelt. Selbst bei Villen im noblen Berliner Südwesten setzen sie auf ähnliche Grundsätze, wie ein aus drei kubischen Baukörpern bestehendes Wohnhaus in Grunewald zeigt.

Besonders markant umgesetzt haben die drei Architekten ihr Leitthema „verdichteter urbaner Raum“ in der Choriner Straße in Prenzlauer Berg. Eine seit jeher bestehende schmale Lücke zwischen zwei Gründerzeitwohnhäusern nutzten sie auf spektakuläre Weise aus: Am neu errichteten Dachgeschoss des einen Wohnhauses hängten sie nämlich drei übereinander geschichtete Container auf, die als Erweiterung der daneben liegenden Wohnungen dienen. Die Durchfahrt im Erdgeschoss bleibt dabei offen. Etwa zehn solche Mini-Baulücken, die einst als Feuerwehrzufahrt dienten, haben sie in Berlin ausgemacht; einen weiteren Eigentümer davon zu überzeugen, das Experiment zu wagen, ist ihnen bisher allerdings nicht gelungen. 

Paul Munzinger

 

35 - Sommer 2008