Erfolgreich ist Architekt Eike Becker schon lange. Doch derzeit entstehen in Berlin gleich mehrere wichtige Bauwerke.
Die gründerzeitliche Fassade der Häuser in der Fehrbelliner Straße in Mitte wirkt unscheinbar. Doch was dahinter Gestalt annimmt, ist spektakulär: Unter dem Projektnamen Fehrbelliner lässt hier der Investor Orco eine der aufwendigsten Wohnanlagen der Hauptstadt realisieren. In dem rund 130 Jahre alten Fabrikgebäude und in angrenzenden Neubauten entsteht ein Ensemble aus Lofts, Penthouses und Townhouses, das sich nach den Worten von Orco-Chef Rainer Bormann an „vermögende Berlin-Enthusiasten“ richtet, die ein lebendiges Umfeld mit höchstem Wohnkomfort verbinden wollen. Edelste Materialien und modernste Haustechnik dürfen die künftigen Bewohner ebenso erwarten wie Schrebergärten auf dem Dach und ein 20-Meter-Schwimmbecken.
Die Planung dieses Prestigevorhabens liegt in den Händen von Eike Becker, der zusammen mit seinem Partner Helge Schmidt das Büro Eike Becker Architekten führt. Die Fehrbelliner bezeichnet Becker als „Traumprojekt“ – und dies aus mehreren Gründen. „Sie befinden sich mitten in der Stadt und weisen so einen sehr urbanen Kontext auf“, begründet er seine Begeisterung. Zudem biete das Projekt die Möglichkeit, Alt- und Neubau in zeitgenössischer Formensprache zu kombinieren. Und vor allem lasse sich an ihm die Frage beantworten, „wie wir besser, entspannter und komfortabler wohnen können“.
Das ist eine Frage, die den 1962 in Niedersachsen geborenen Architekten auch bei anderen Vorhaben umtreibt. Voraussichtlich in diesem Jahr werden direkt neben dem Berliner Ensemble die Bauarbeiten am Projekt „Am Zirkus“ beginnen. Auch dieser Komplex wird höchst exklusive Wohnungen umfassen, daneben ein Hotel, Büros und Läden. Nach Beckers Plänen ist der Bau äußerlich weniger auffällig als die Entwürfe, die nach der Wende vorgelegt wurden. Dafür aber sind sie nach Ansicht des Investors besser geeignet, die künftigen Nutzungen aufzunehmen. „Das Zusammenspiel von Form und Funktion ist unser Ziel“, unterstreicht Eike Becker. Außerdem hat er keine Scheu vor der Zusammenarbeit mit Großinvestoren: „Wir müssen mit den und nicht gegen die wirtschaftlichen Kräfte arbeiten.“ Seine Planungstätigkeit versteht er als „Expedition im Zusammenspiel mit Investor, Nutzer und öffentlicher Hand“. Wichtig sei es aber, dabei stets nach der besten architektonischen und städtebaulichen Lösung zu suchen. „Denn wir sind als Architekten auch Vertreter der Gemeinschaft“ – und ein Gebäude bleibe nun mal als Zeugnis unserer Zeit jahrzehntelang stehen.
Voraussichtlich ebenfalls in diesem Jahr werden die Bauarbeiten an der Schlossstraße 20 beginnen, wo an der Stelle eines in die Jahre gekommenen Woolworth-Kaufhauses ein neues Geschäftshaus entstehen wird. Und auf einem jetzt noch als Kleingartenanlage genutzten Grundstück an der Württembergischen Straße, unweit des Kurfürstendamms, planen Becker und sein Team eine Wohnbebauung.
Dass jetzt gleich mehrere seiner Entwürfe in die Realisierungsphase eintreten, scheint den Baumeister selbst fast ein wenig zu überraschen. Denn jahrelang ist er in Berlin kaum zum Zuge gekommen. „Zeitweise fühlten wir uns als Außenseiter in der eigenen Stadt“, sagt der Architekt im Hinblick auf die rigiden Vorgaben, die der frühere Senatsbaudirektor Hans Stimmann machte.
Dabei ist Becker, der nach Londoner Lehrjahren bei Richard Rogers und Norman Foster wie so viele andere Berufskollegen Anfang der neunziger Jahre in die Stadt kam, ein begeisterter Anhänger Berlins. Ganz besonders schätzt er an der Stadt, dass sie sich „in einer großartigen Weise gegenüber dem Anderen und Neuen öffnet“. Zusammen mit drei Kollegen gründete Eike Becker 1991 im Hotel Esplanade am Potsdamer Platz das Büro Becker Gewers Kühn & Kühn. Es entstand u.a. das Kunst- und Wohnensemble Sophie-Gips-Höfe in Mitte. 1999 gründete er sein eigenes Büro, das seither im GSW-Hochhaus in der Kochstraße residiert, für Becker einer der gelungensten Nachwendebauten.
Zu seinen wenigen Berliner Projekten aus der Stimmann-Ära zählen das zum Friedrich-Carré gehörende Bürohaus Friedrichstraße 148 neben dem Bahnhof Friedrichstraße sowie das 2004 eröffnete Hotel in der Oranienburger Straße in Mitte, direkt neben dem Tacheles, das mit seiner gläsernen Fassade wie ein Protest gegen das steinerne Berlin wirkt. Ursprünglich war geplant, diese Glasfassade mit Videoprojektionen zu bespielen. Zum Leidwesen Beckers hat sich dieses Konzept wegen des Widerstands des Hotelpächters nicht in die Tat umsetzen lassen. Die Integration von Kunst in die Architektur ist für ihn stets ein wichtiges Thema; so arbeitete er beispielsweise bei der Neugestaltung des Leipziger Bahnhofsvorplatzes mit dem Künstler Carsten Nicolai zusammen.
Diese Nähe zur Kunst geht auf Beckers intensive Auseinandersetzung mit barocker Architektur zurück. Die war nämlich vom Miteinander von Architekt, Bildhauer, Maler und Stuckateur geprägt. Dass sich Becker ausgerechnet auf den Barock bezieht, wirkt etwas überraschend, hat doch seine klare Formensprache nichts gemein mit der überladenen Ästhetik des 17. und 18. Jahrhunderts. Doch auch sonst vermag der Architekt im Gespräch immer wieder zu verblüffen. So beweist die Begeisterung, mit der er von einem Vortrag des Lyrikers Durs Grünbein berichtet, dass sein Horizont nicht auf Architektur beschränkt ist. Vom Möbeldesign bis zum Städtebau gibt es keine Aufgabe, die Becker nicht bearbeitet hätte. Besonders wichtig ist ihm dabei der ökologische Aspekt, wobei er seine Erkenntnisse stets weiterzuentwickeln versucht. Das Thema der natürlichen Kühlung beispielsweise setzte er sowohl beim 2002 errichteten Züblin-Verwaltungsgebäude in Stuttgart um als auch später bei der Hauptverwaltung der Neusser Stadtwerke.
Nicht weniger eingehend beschäftigen sich Becker und seine Mitarbeiter mit der Entwicklung neuer Arbeitswelten. Beim Neubau der Hauptverwaltung des Unternehmens Rheinkalk in Wülfrath zum Beispiel begriffen sie das Unternehmen als Dorf. „Wir entwarfen einen H-förmigen Grundriss, der in den äußeren Teilen Büros für konzentrierte Arbeit und in den Wegkreuzungen einen Marktplatz vorsieht.“
Eine Aufgabe allerdings blieb dem Architekten trotz all seiner Erfolge bisher versagt: der Bau eines Hochhauses. Gleichsam als Vorgriff darauf hängt im Besprechungsraum seines Büros die Ansicht des bisher nicht realisierten Turms, mit dem er 2002 einen Wettbewerb für das Areal am Ostbahnhof gewonnen hat. Vielleicht werde es doch noch etwas damit, hofft Becker. „Denn Hochhäuser begeistern mich. Sie sind eine großartige Möglichkeit, Identität zu erzeugen und Räume zu schaffen, die man so in keinem anderen Jahrhundert realisieren konnte.“
Paul Munzinger