Die Generationen-Ruine

Der Kirchturm der Gedächtniskirche droht zu verfallen. 3,5 Millionen Euro kostet die Restaurierung von Berlins wichtigstem Wahrzeichen. Viele machen sich für die Rettung stark, so auch das Berliner Traditionsunternehmen GASAG.

„Die festgestellten Schäden am Turm lassen die Befürchtung zu, dass sich Teile der Fassade lockern und aus großer Höhe herabfallen“, fasste Martin Germer, Pfarrer an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, zwei Sachverständigengutachten kurz und knapp im Herbst des vergangenen Jahres zusammen. Eine Meldung, die um die Welt ging und sogar in der Londoner Times zu lesen war, der Morgenzeitung von Charles Jeffrey Gray, heute Pensionär und im Zweiten Weltkrieg britischer Bomberpilot der alliierten Streitkräfte. Auch seine Bomben trafen Berlin. Kurzerhand schrieb er an den Vorsitzenden des Kirchengemeinderates der Gedächtniskirche und mahnte: „Sie sollten versuchen, den Kirchturm zu retten und einen Fonds einzurichten. Der Turm muss als Mahnzeichen an die Schrecken des Krieges für künftige Generationen erhalten bleiben.“ Der Brief, der anschließende Besuch von Gray in Berlin, der auch einen Scheck über 500 Pfund überreichte, war eine Art Initialzündung, die Erhaltung der alten Ruine der Gedächtniskirche zu einer öffentlichen Sache zu machen. Auf Initiative der Kirchengemeinde und der Stiftung der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche fanden und finden sich Berliner Unternehmen zusammen, um Geld zur Deckung der erwarteten Sanierungskosten von 3,5 Millionen Euro zu sammeln.

Ein Konzert bildete im vergangenen Jahr den Auftakt der Großaktion. Auch der Berliner Energiedienstleister GASAG macht sich für den Erhalt der Ruine stark: „Wir sind ein Traditionsunternehmen in dieser Stadt – sind 160 Jahre jung. Wir fühlen uns Berlin gegenüber verpflichtet“, sagt Birgit Jammes, Verantwortliche für Sponsoringkommunikation im Unternehmen. Und damit ist das Unternehmen etwa 50 Jahre älter als die Gedächtniskirche, die 1895 geweiht wurde. „Wir sehen in diesem Turm das politische Mahnmal gegen den Krieg und für Versöhnung, es für künftige Generationen zu erhalten, ist unsere Pflicht“, begründet sie das Engagement der GASAG. Doch bloße Geldspenden und Logo-Werbung – letztere lehnt sie in diesem Fall strikt ab,  sie gehöre einfach nicht an ein Mahnmal – sind der GASAG nicht genug. Das Unternehmen will gleich in zweifacher Hinsicht etwas für die künftige Generation tun. Zum einen den Turm für die Heranwachsenden erhalten und zum anderen Nachwuchs fördern. Deshalb unterstützt der Betrieb die Berliner Chopin-Gesellschaft, die sich ihrerseits jungen begabten Musikern verpflichtet fühlt. Warum nicht diese beiden Ideen verbinden? „Genau das wollen wir tun“, sagt Birgit Jammes, „ein Podium für junge Künstler schaffen und damit die Sanierung des Turms vorantreiben.“ Das Konzert findet am 3. April in der Gedächtniskirche statt, so haben die Zuschauer das Objekt des Verfalls vor Augen. Der Erlös aus den Eintrittskarten (25 Euro) kommt 100-prozentig dem maroden Turm zugute.

Dieses Benefizkonzert ist eine schöne, aber bei weitem nicht die einzige Idee von Berlinern, ihren Turm zu erhalten. Pfarrer Germer schwärmt geradezu vom Einfallsreichtum. Schüler backen Kuchen, Jogger organisieren Läufe in der Innenstadt, Prominente gehen mit der Spendenbüchse herum. Solche Aktionen machen aufmerksam, und sie kurbeln das Spenden an. Eine viertel Million Euro ist schon zusammengekommen. Geplant ist eine lange Lese-Nacht aus dem Josephs-Roman von Thomas Mann, die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach wird zu Ostern aufgeführt – ebenfalls als Benefizveranstaltung. Und dem agilen Kirchenmann schwebt auch eine „Fugenpatenschaft“ vor. Der Mörtel rieselt aus dem Gemäuer und lässt den Turm instabil werden. Man könne sich dann symbolisch ein persönliches Stück Fuge kaufen. Eine Urkunde bezeugt dem „Fugenpaten“ sein Engagement. Für Pfarrer Germer hat dieser Turm seine Bedeutung als Mahnmal gegen den Krieg inmitten dieser pulsierenden Stadt. Besonders berührt ihn das Nagelkreuz von Coventry, vor dem er jeden zweiten Freitag, 13 Uhr, fünf Minuten lang eine Andacht hält. Die Nägel dieses Kreuzes stammen aus den verbrannten Dachbalken der englischen Kathedrale, die 1940 nach einem deutschen Bombenangriff in Schutt und Asche fiel. „Hier kommen Menschen her, die Versöhnung suchen, die sich an den Krieg erinnern. Das sind stille Momente, die auch mich immer wieder berühren.“ Aber ganz profan spürt er gerade an diesem Ort auch, was dem Turm so zusetzt: Die Berliner U-Bahn, die nur wenige Meter neben dem Turm in der Tiefe vorbeirast – alle fünf Minuten eine kleine Erschütterung. Auch der Autoverkehr rechts und links des Breitscheidplatzes wirkt sich auf die Bausubstanz aus. Vielleicht ist es auch gut so, dass jede Generation entscheiden muss: Will sie diesen Turm behalten? Ist es notwendig, dieses Mahnmal gegen den Krieg zu erhalten? Was ist den Berlinern ihr Wahrzeichen wert? Zwei Generationen haben sich für den Turm entschieden, der seit der Zerstörung der alten Kirche als Mahnmal neben dem Gotteshaus steht. Nach dem Krieg plante der Architekt Egon Eiermann zunächst einen Neubau ohne Ruine. Ihm schlug daraufhin heftiger Widerstand entgegen. Somit blieb der 68 Meter hohe alte Turm als Mahnmal erhalten, und um ihn herum wurde Eiermanns Neubau gebaut. An dem Turm fraß unaufhörlich der Zahn der Zeit.

Martina Krüger

 

 

Informationen

Kulturtermine in der Gedächtniskirche: 

  • h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach am 23. März, 18 Uhr
  • Klavierkonzert der Fryderyk Chopin-Gesellschaft am 3. April, 19.30 Uhr
  • Thomas-Mann-Lese-Nacht am 5. April, 20 Uhr

 

 

34 - Frühjahr 2008
Kultur