Berlin-Macher Jörg Woltmann

Wir stellen sie in jeder Ausgabe vor, die Berlin-Macher. Diesmal Jörg Woltmann.

Der Mann erscheint wie die Verkörperung preußischer Tugenden: Bescheidenheit, Fleiß, Pflichtbewusstsein und Mut beispielsweise sind Eigenschaften, die ihm niemand absprechen wird. Mit der Zurückhaltung, die ebenso zu besagten Tugenden zählt, ist das bei ihm seit geraumer Zeit allerdings eine andere Sache – wenn auch nicht ganz freiwillig. Seit Jörg Woltmann sozusagen als „weißer Ritter“ die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin (KPM) vor dem Untergang gerettet und als alleiniger Eigentümer übernommen hat, gehört auch kräftiges Klappern zu seinem Handwerk und das emsige Rühren der Werbetrommel zum täglichen Geschäft.

Ganz glücklich indes scheint der 61-Jährige mit dem ganzen Öffentlichkeitsrummel nicht zu sein. Denn bis zu jenem 24. Februar 2006, als er die Gesellschaftsanteile an der KPM vollständig übernahm, wirkte Woltmann, wie es sich für einen Banker gehört, eher im Stillen, im Hintergrund. Doch damit war es dann schlagartig vorbei. Aber mittlerweile weiß und akzeptiert er es auch, dass das älteste gewerbliche Unternehmen der Stadt heute mehr denn je ein Gesicht braucht – ein Berliner Gesicht.

Und das ist Woltmann, der seine Heimatstadt mehr oder weniger nur zu Urlaubszwecken verlassen hat, ganz sicherlich. Geboren wurde er in Moabit. Aufgewachsen ist er in Lichterfelde, dort, wo heute noch sein Elternhaus steht. Studiert hat er an der Fachhochschule für Wirtschaft Berlin und dort seinen Abschluss als Diplom-Betriebswirt gemacht. Nach ersten Erfahrungen als Unternehmensberater schließlich gründete er mit einem Partner die Allgemeine Beamtenkasse – eine Privatbank, mit der er sich in all den Jahren seit 1979 den finanziellen Spielraum erarbeitet hat, der ihm das Wagnis KPM überhaupt erst ermöglicht.

Denn immerhin riskiert der verheiratete Vater einer Tochter über 10 Millionen Euro aus eigener Tasche. Und das, obwohl ihm alle, die er konsultiert und gefragt hat, abgeraten und es auf den Punkt gebracht haben: „Total bescheuert!“ Doch nach dem Motto „einfach kann jeder“ hatte der „grundsätzliche Optimist“ sich die Rettung des Traditionsunternehmens in den Kopf gesetzt. „Die KPM ist ein Kulturgut. Das muss gerettet werden“, sagt Woltmann voller Leidenschaft und fügt nicht übermütig, aber doch überzeugend hinzu: „Ich weiß, dass ich das hinkriege.“

Und die Sanierung scheint tatsächlich zu funktionieren. Nach den Worten des KPM-Eigentümers sind die Verluste bereits halbiert und der Export verdoppelt. „Wir sind voll im Plan und werden ab 2009 eine schwarze Null schreiben“, lautet die bisherige Bilanz, die für die gebeutelte Manufaktur und ihre immerhin noch über 170 Mitarbeiter Hoffnung bedeutet. Mehr noch: Die Marschroute, die Woltmann vorgegeben hat, lautet nicht „gesund schrumpfen“, sondern „gesund wachsen“. Von Neueinstellungen ist auch schon wieder die Rede.

Das hatte es lange nicht mehr gegeben. In seiner wechselvollen Geschichte hat das Unternehmen schon viele Sanierer und Retter kommen und gehen gesehen. Der Letzte, der vor Woltmann einen solchen Versuch unternommen hat, war Kaiser-Urenkel Franz Wilhelm Prinz von Preußen. Doch auch er scheiterte damit, die drohende Insolvenz abzuwenden und der immerhin weltweit bekannten Marke eine Zukunft zu geben.

Das scheint nun anders zu sein. Vielleicht ist es gerade die Leidenschaft, mit der der neue Chef die Dinge angeht. „Die KPM zählt zu den fünf besten Manufakturen der Welt. Im Service-Bereich sind wir sicherlich die beste“, verkündet Woltmann voller Überzeugung und schildert seinen Wandel „vom Nutzer zum Liebhaber“. Schon im Elternhaus habe es KPM gegeben. „Das gehörte einfach dazu“, erinnert er sich. Und sein Verhältnis zu dem weißen Gold aus Berlin heute? „Ich würde es jederzeit wieder machen und habe meine Entscheidung nicht einmal bereut“, hört man aus seinen Worten das Herzblut, ohne das sechs 12-Stunden-Tage pro Woche auf Dauer wohl auch nicht durchzustehen wären.

Wenn es denn, so wie es aussieht, tatsächlich klappt und die Sanierung gelingt, dann waren und sind es gewiss drei Rahmenbedingungen, für die Woltmann steht und die er dem Unternehmen verschaffen konnte: Kontinuität, schnelle Entscheidungen und finanzielle Unabhängigkeit. Diese Entwicklung hat er konsequent betrieben, das hatte er sich in den Kopf gesetzt. Seine Stärke sieht er darin, dass er hoch diszipliniert sei, obwohl er niemandem Rechenschaft ablegen müsse. „Nicht stur, aber ungeduldig“ sei er – und man glaubt es ihm.

Vor Ort, am Standort an der Wegelystraße, ist der neue Wind, der in der Manufaktur weht, bereits spürbar, sind die Veränderungen für jedermann sichtbar. In einem neuen Flaggschiff-Laden in der historischen Ofenhalle ist für Touristen wie Berliner gleichermaßen KPM zu haben. Eine KPM-Welt, in der sich der Besucher einen Überblick über die Geschichte des Berliner Porzellans verschaffen kann, gibt es seit September letzten Jahres. Zudem lädt ein KPM-Café, in dem auch wir sitzen, zum Verweilen ein.

Auf Woltmann allerdings wartet schon der nächste Termin. Bleibt auf die Schnelle nur noch die Frage: Wenn er denn einen Wunsch frei hätte, was würde er sich wünschen? „Dass auf der ganzen Welt KPM nachgefragt wird“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Und dabei lacht er – nicht aufdringlich, eher bescheiden.

Detlef Untermann

 

34 - Frühjahr 2008