Der Städter als Gärtner

Der eine hat ihn, der andere hat ihn nicht. Für den einen ist er das Ziel seiner Wünsche, für den anderen eine minimale Selbstverständlichkeit: der Balkon. Dabei ist Balkon nicht gleich Balkon. Er kann groß oder klein sein, gemauert oder in leichter Metallbauweise gefertigt.

Schmiedeeisern verschnörkelt oder sachlich vertikal verstrebt. Möglichst nach Süden heraus zeigen oder nach Westen. Wer hat schon Zeit, auf dem Balkon zu frühstücken? Die Funktion dieses Gebäudevorsprungs ist so vielfältig wie das Leben selbst. Hier kann man sich sonnen, Wäsche trocknen, eine Satellitenschüssel befestigen, eine Zigarette rauchen. Manche Party wird so zur Balkonparty, auch wenn an Tanzen wegen der Enge natürlich nicht zu denken ist. Wie einem Naturgesetz folgend strebt alles nach draußen. Der Gebäudevorsprung ist der ultimative Ort der Kommunikation. Von Balkon zu Balkon kann man das Gespräch suchen oder unfreiwillig Zeuge desselben werden. Hierher kann man seine Nachbarin einladen, um gemeinsam eine Sternennacht zu erleben. Romeo und Julia lassen aus Verona grüßen. Sprichwörtlich ist auch der Urlaub auf Balkonien, nicht nur in Zeiten der Rezession. Der perfekte Balkon schließt an Küche oder Wohnraum an und schafft so die Verbindung von Innen und Außen. Doch was wäre ein Balkon ohne Pflanzen? Blumen gehören für die meisten unbedingt dazu. Balkonblumen eben. Glückliche Balkonbesitzer schleppen zu allen Zeiten säckeweise Gartenerde in den vierten Stock, die sie dann auf Kästen und Töpfe verteilen. Geranien und Petunien sind trotz aller alternativen Bestrebungen immer noch die beliebtesten Balkonblumen. Weil sie so dankbar sind, wie es heißt. Von der Geranie möchte man meinen, sie sei im Balkonkasten zur Welt gekommen. Dem ist mitnichten so, denn diese Pflanze kam erst im 18. Jahrhundert nach Europa. Der Balkon seinerseits musste schon Jahrhunderte ohne Geranien auskommen. Vielleicht war das nicht seine schlechteste Zeit. Hinzu kommt, dass die Geranie eigentlich gar keine ist, sondern korrekterweise Pelargonie genannt werden müsste. Zum Massenphänomen in den deutschen Großstädten wurde der Balkon Anfang des 19. Jahrhunderts. Selbst Häuser, die bis dahin keinen Balkon hatten, wurden nachgerüstet. Arbeiterfamilien kamen auf diese Art zu einem Gartenersatz. Die Balkonkultur ist wie die Gartenkunst den verschiedenen Moden und Ideologien unterworfen. Im Dritten Reich etwa sollte auch der deutsche Balkon von ausländischem Pflanzgut gesäubert und heim ins Reich geholt werden. Zu Kriegszeiten ist hier auch schon mal ein Hausschwein gemästet worden. Dann kam die Nachkriegszeit und in den siebziger Jahren die Zeit des Biogartens. Ein Trend, der sich gerade in alternativ geprägten Stadtteilen bis heute stabil gehalten hat. Der Balkon wurde so mancherorts zur Streublumenwiese und zum Feuchtbiotop. Seit Unkräuter in ökologisch korrekten Kreisen keine mehr sind, werden sie auch auf dem Balkon gerne hingenommen. Kletterpflanzen wie Clematis oder Jelängerjelieber schlingen sich auf manchem Balkon um eigens angefertigte Holzgitter. Sie haben darüber hinaus den Vorteil, einen naturnahen Sichtschutz zu bilden. Sogar Fichte und Rhododendron finden sich mancherorts. Man möchte eben auf nichts verzichten, nicht auf Bäume, nicht auf Kräuter oder Tomaten. Wenn die Freunde von ihren Gärten reden, kann man dann locker mithalten. Außerdem, was gibt es Schöneres, als vor dem Abendbrot auf den Balkon zu gehen und zu ernten. Immer wieder werden auch Wettbewerbe um den schönsten Balkon ausgeschrieben. Gerade Neubauviertel versuchen so, die Bürger zu mehr Engagement für die Begrünung zu veranlassen. Kommissionen werden am Ende losgeschickt, um Üppigkeit und Farbklang zu begutachten. Denn letztlich erfreuen wir uns alle, ob wir einen Balkon unser Eigen nennen oder nicht, an der Blütenpracht. Experten raten, das Grün nicht zu vergessen, damit das Auge ausruhen kann. Die ultimative Steigerung des Balkons ist heute die Dachterrasse, die ungleich mehr Platz und Spielraum für eine individuelle Gartenwelt bietet. Je nach Tragfähigkeit können auf einem abgedichteten Gründach mehr oder weniger anspruchsvolle Pflanzen wachsen. Fette Henne und Dachwurz sprießen auf einer zehn Zentimeter dicken Erdschicht auch ohne große Pflege. Oft schmücken auch Batterien von Kübelpflanzen die grüne Dachwelt. Ganze Bambushecken und Bonsaiwälder werden hier in Töpfe gesetzt. In luftiger Höhe kann schon mal eine steife Brise wehen, deshalb sollten die Kübel besonders standfest sein. Damit einem die Blumenpracht nicht um die Ohren fliegt.

Karen Schröder

39 - Sommer 2009
Stadt