Schach im Ring

Mixed Martial Arts, der härteste Kampfsport der Welt, erobert die Sportarenen und Fernsehsender der Welt. In Berlin kann man ihn schon seit Jahren als fairen Amateursport erlernen. Zwei Männer stehen sich gegenüber. Der Größere hebt die Faust und versucht dem anderen ins Gesicht zu schlagen. Doch der Kleinere weicht blitzschnell aus. Nun versucht der Große zu treten, doch der Kleine wehrt den Tritt zum Kopf mit der Schulter ab. Dann nimmt er Anlauf und reißt den Großen zu Boden. Ein Raunen geht durch die 150 Leute, die um die beiden Männer herumsitzen. Dies ist die Szenerie einer ganz legalen Nachmittagsveranstaltung im „MMA Berlin" in der Crellestraße in Schöneberg, mit 350 Mitgliedern eine der größten Kampfsportschulen der Stadt. Die Disziplin heißt „Mixed Martial Arts" (MMA). MMA gilt derzeit als härtester legaler Kampfsport. Neben Faustschlägen sind auch Tritte, Würfe und Hebelgriffe gestattet. Der Grundgedanke der MMA lautet schlicht: „Wer ist der beste Kämpfer, wenn keine Regeln gelten?" Diese Frage ist fast so alt wie der Sport selbst. Ob Ringer oder Boxer stärker sind, wurde bereits zur Zeit der antiken Olympischen Spiele gemutmaßt. Also kam 648 v. Chr. das „Pankration" ins Programm. Der „Allkampf", den die griechische Mythologie zurückführt auf den Kampf zwischen Herkules und Theseus. Die Kämpfe dauerten bis zur Aufgabe eines der Athleten. Die Sieger gehörten zu den bestbezahlten und begehrtesten Sportlern ihrer Zeit. Zweieinhalb Jahrtausende geriet der Allkampf in Vergessenheit. Bis er um 1990 unter dem Namen MMA wieder populär wurde. Seit Jahren boomt MMA. Im Jahr 2006 setzte die Sportart im US-amerikanischen Pay-TV erstmals mehr Geld um als das Boxen. Auch Eurosport zeigt zweimal wöchentlich die „K1"-Serie, eine der populärsten Wettbewerbe im MMA-Kosmos. DSF präsentiert seit März 20 mal jährlich Übertragungen der US-Variante der MMA: die UFC (Ultimate Fighting Championship). Laut UFC-Regelwerk wird in einem achteckigen Ring gekämpft, der mit Drahtgeflecht umzäunt ist. „Cagefight" nennt sich das in der Fachsprache. Diese theatralische Inszenierung erklärt sich auch daraus, dass die UFC vor einigen Jahren von den Fertitta-Brüdern erworben wurde, zwei Casino-Besitzern aus Las Vegas. Und was aus Las Vegas kommt, ist selten leise und subtil. Nach der Vorbereitung per Fernsehbild versucht die UFC gerade, live die Ringe der Welt zu erobern. Auch hierzulande ist der erste Profi-Kampfabend im Juni dieses Jahres in Köln angesetzt. Veranstalter Marek Lieberberg bringt sonst Musikgrößen wie U2 oder Depeche Mode nach Deutschland. Wem die Darbietungen der Profis zu laut und zu martialisch erscheinen, der kann in Berlin eine Amateurszene finden, in der man nicht nur anderen beim Kämpfen zusehen, sondern den Kampfsport auch selbst erlernen kann. Das „MMA Berlin" ist eine Adresse dafür, aber auch in anderen Teilen Berlins gibt es Schulen, die Unterricht anbieten. Aber warum soll man ausgerechnet einen Sport treiben, der auf den ersten Blick derartig hart wirkt? Wolf Menninger, 29-jähriger Besitzer des MMA Berlin, hat diese Frage schon oft gehört. Mit einer Körpergröße von knapp 1,80 Metern und vielleicht 70 Kilo Gewicht sieht er ganz und gar nicht nach einer Testosteron gesteuerten Kampfmaschine aus. Menninger begann mit dem Judo, als er sieben Jahre alt war. Und er war interessiert an anderen Kampfsporttechniken. Also lernte er nach und nach Techniken aus dem Karate, dem Ringen und etlichen anderen Disziplinen. Mit 15 schon begann er zu unterrichten. Vor einigen Jahren eröffnete er seine eigene Kampfschule. Von seiner Zukunft hat Menninger klare Vorstellungen: „Ich wollte nie Weltmeister werden. Lieber möchte ich auch mit 80 noch in der Schule stehen." Er unterrichtet Kämpfer aller Altersklassen, selbst ein Blinder ist darunter. Für Menninger ist MMA der ideale Sport. Weil alle Körperpartien beansprucht werden. Auch der Geist. Wenn man die Wahl zwischen Schlägen, Tritten und Bodenkampf hat, muss man vor jeder Aktion sekundenschnell überlegen, was man als Nächstes tut. Für Menninger ist MMA Schach im Ring. Wie um ihm zu sekundieren, tritt Sven Holländer dazu. Ein 29-jähriger Physiotherapeut und Medizinstudent, der heute schon gekämpft hat. „Es geht darum, Akzeptanz zu üben", sagt Holländer. Auch er ist eher von zierlicher Gestalt. „Man muss in der Lage sein, sich geistig auf anderes einzustellen. Wut oder Hass bringen gar nichts." Auch nicht hier in Schöneberg, wo die beiden Männer sich noch immer einen Ringkampf am Boden liefern. Irgendwie schafft es der kleinere Mann, den linken Arm seines Kontrahenten zu erfassen. Mit einer jähen Bewegung dreht er ihn auf den Rücken. In einen Hebelgriff, der jeglichen Widerstand unterbindet. Der Größere klopft zum Zeichen der Aufgabe auf den Boden. Die beiden Männer erheben sich unter dem Applaus der Zuschauer.

Knud Kohr

 

 

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39 - Sommer 2009
Sport